Die deutsche Sportschützin Nadine Messerschmidt (Bidl: IMAGO/Gerhard König)

Schusswaffen, Schützenfeste und Olympioniken Sportschießen in Brandenburg: Zwischen Popularität und Vorurteilen

Stand: 01.05.2024 10:08 Uhr

Olympioniken, Luftpistolen-Liebhaber und viel Tradition – als sechstgrößter regionaler Sportverband vereint der Brandenburgische Schützenbund all das. Das Ergebnis: eine Gemeinschaft, die stets mit Vorurteilen und der Sport-Frage konfrontiert wird.

Mit ruhigem Atem und konzentriertem Gesichtsausdruck steht Josefin Eder morgens an Fenster Nummer 8. "Es wird jetzt laut", hat sie gerade vorgewarnt, noch aber ist es leise. Einatmen, ausatmen. Eder öffnet ihre Augen, dreht den Kopf nach rechts und hebt ihren Arm – 90 Grad, parallel zum Oberkörper, direkt aus dem Fenster. Sie atmet, zielt und schießt. Ein Knall hallt durch den Raum mit der langen Fensterreihe. Eder nimmt den Arm herunter und legt ihre futuristisch anmutende und perfekt eingestellte Pistole vor sich ab. Auf einem kleinen Monitor vor ihr leuchtet eine grüne Zehn.

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Josefin Eder ist Sportschützin. Rund eine Woche, bevor sie an diesem Morgen im Schießsportzentrum Frankfurt (Oder) ihre Trainingsroutine mit der Luftpistole durchläuft, hat sie sich für die diesjährigen Olympischen Spiele in Paris qualifiziert. Die 28-Jährige ist damit eines der Aushängeschilder einer Sportart, die in Deutschland und nicht zuletzt in Brandenburg eine oft vergessene Popularität erfährt.
 
Rund 12.300 Mitglieder machen den Brandenburgischen Schützenbund zum aktuell sechstgrößten Sportverband des Bundeslandes. Aber wie organisiert sich der Schießsport in der Region? Wer sind die Menschen, die in ihm ihre Leidenschaft gefunden haben? Und was ist dran an den oft sehr kritischen Vorurteilen, die sie und ihr Sport hierzulande regelmäßig erfahren?

Diskussionen und ein differenzierter Blick

Die Antworten auf diese Fragen sind vielfältig, teils auch kompliziert. Fest steht jedoch: Mit der Laissez-fairen Waffenkultur, die man insbesondere aus den USA kennt, hat das sportliche Schießen in Deutschland wenig zu tun. Und dennoch gibt es auch hier immer wieder Diskussionen über die Arbeit der Schützenvereine und -verbände und mögliche Gefahren. Alleine schon die oft gestellte Frage nach der sportlichen Natur des Schießens kann sehr differenziert betrachtet werden. Schließlich wird auch in Brandenburg auf unterschiedlichste Arten sowie mit unterschiedlichsten Waffen und Ambitionen geschossen.
 
Im Fall von Josefin Eder sind die Ambitionen klar, ist der sportliche Charakter ihres Trainings durchaus erkennbar. Die Therabänder zum Aufwärmen, die Rücksprachen mit ihrem Trainer, die mentale und physische Ruhe beim Schuss – all das kennt man auch aus anderen Sportarten. Und so läuft eben auch die Talentförderung in Frankfurt (Oder) und dem Rest Brandenburgs so, wie in anderen Sportarten auch. "Wir haben insgesamt ca. 90 Athleten, von der fünften Klasse bis zu den Erwachsenen am Bundesstützpunkt", sagt Sara Franke und ergänzt: "Am Nachwuchsleistungszentrum sind davon ca. 60 Kinder und Jugendliche aktiv."

Sportschützinnen um Josefin Eder (3.v.l.) bei einem Turnier in Suhl-Friedberg (Bild: IMAGO/Gerhard König)

Sportschützinnen um Josefin Eder (3.v.l.) bei einem Turnier in Suhl-Friedberg. | Bild: IMAGO/Gerhard König

Leistungssport in Frankfurt (Oder)

Franke ist die Leiterin des besagten Bundesstützpunktes. Mit einigem Stolz guckt sie erst Josefin Eder beim Training zu, dann eine Trainingshalle weiter David Obenaus und Lukas Bönisch. Während der 18-jährige Obenaus "aus einer Familie voller Schützen" komme, wie Sara Franke sagt, wurde der gleichaltrige Bönisch an einer Grundschule entdeckt. Neben seiner modernen, rund 2.500 Euro teuren Luftpistole stehend, erzählt er vom Besuch der Schützengilde Frankfurt (Oder) an seiner Schule, von Tests seiner Handruhe, Konzentration und allgemeinen Physis. "Ich wurde zum Probetraining fürs Lichtpunkt-Schießen eingeladen", erzählt Bönisch.
 
Was skurril klingt, ist – zumindest im Kindesalter – der typische Einstieg ins Sportschießen. Schließlich besagt Paragraph zwei des deutschen Waffengesetzes, "dass der Umgang mit Waffen oder Munition nur Personen gestattet ist, die das 18. Lebensjahr vollendet haben." Selbst mit der Ausnahmegenehmigung, die Sara Franke und das Nachwuchsleistungszentrum ihren Talenten organisieren, dürfen diese dort "erst" ab 14 Jahren mit Flinte und Kleinkaliber-Pistole schießen. Also macht das Lichtpunkt-Schießen, bei dem ein Laserstrahl die Munition ersetzt, den Anfang, gefolgt von der Luftpistole, die ab zwölf bzw. zehn Jahren (mit Ausnahmegenehmigung) geschossen werden darf.

Waffengesetz gibt den Rahmen vor

Auch sonst regelt das Waffengesetze sehr detailliert und teilweise auch kompliziert den Umgang mit Schusswaffen hierzulande. Es sind Paragraphen, mit denen sich auch Gert-Dieter Andreas gut auskennt, ja auskennen muss. Er ist der Präsident des Brandenburgischen Schützenbundes (BSB) und sagt: "Der Weg, um überhaupt eine Waffe besitzen zu dürfen, ist lang." Um eine sogenannte Waffenbesitzkarte zu bekommen, bedarf es vieler erfüllter Kriterien, von denen an dieser Stelle nur die Bedeutendsten erwähnt werden sollen.
 
Ein Mindestalter von 18 Jahren, der Nachweis einer "Bedürftigkeit" für die Jagd oder den Schießsport, bei letzterem eine mindestens einjährige Vereinsmitgliedschaft inklusive regelmäßigen Trainings, ein bestandener Sachkundelehrgang und eine Überprüfung durch die Polizei. Zwar kann nahezu jeder einen Schützenverein besuchen und dort "am Schießstand unter Aufsicht zum Ausprobieren ein paar Schüsse abgeben", wie BSB-Präsident Andreas sagt. Eine eigene legale Waffe zu besitzen, ist in Deutschland allerdings durchaus kompliziert.

Eine Luftdruckpistole, wie sie auch die Sportschützen aus Frankfurt (Oder) benutzen (Bild: IMAGO/Gerhard König)

Eine Luftdruckpistole, wie sie auch die Sportschützen aus Frankfurt (Oder) benutzen. | Bild: IMAGO/Gerhard König

Erhöhte Gewaltpotenziale bei Sportschützen?

Und dennoch werden auch in Deutschland immer wieder Stimmen laut, die noch strengere Waffengesetze fordern, den privaten Besitz von Schusswaffen weiter einschränken wollen und explizit auch im Sportschießen Gefahren sehen. Die Initiative "Keine Mordwaffen als Sportwaffen" ist eine davon, setzt sich seit Jahren beispielsweise für ein Verbot von scharfen Waffen ein, wünscht sich Laser- und Luftpistolen als einzige Sportwaffen. Ihr Hauptargument sind hierbei über 320 bekannte Todesfälle in Deutschland durch registrierte Waffen von Sportschützen seit dem Jahr 1990, die die Initiative auf ihrer Webseite aufschlüsselt und mit Quellen belegt. Die Zahl ist allerdings statistisch nur schwer einzuordnen. So gibt es in Deutschland wenig statistische Erhebungen zu Straftaten von Schusswaffen – von einem möglichen Zusammenhang mit Sportschützen ganz zu schweigen.
 
Fakt ist, dass die 1,3 Millionen Sportschützen in Deutschland im Jahr 2023 die größte Kraft unter den rund 942.000 privaten Waffenbesitzern (Stand 2024) und den rund 1,9 Millionen Inhabern einer Waffenbesitzerlaubnis (Stand 2019) sind. Dass deren Leidenschaft fürs Schießen in Kombination mit ihren insgesamt rund fünf Millionen registrierten Waffen für Diskussionen sorgen, scheint nachvollziehbar. Die eine Seite schreibt auch Jägern, aber allen voran den Sportschützen ein durch ihren Sport gestiegenes Gewalt- und Unfallpotenzial zu.
 
Gert-Dieter Andreas und Bundesstützpunktleiterin Sara Franke wiederum wehren sich gegen genau diese Einschätzung vehement: "Natürlich gibt es Beispiele, die uns belasten, aber das sind absolute Einzelfälle, die unsere Sinne zusätzlich schärfen", sagt Andreas und Franke ergänzt: "Sicherheit und Aufklärung haben bei uns oberste Priorität. Trotzdem haben Sportschützen ein schlechtes Image, während illegale Waffenbesitzer das viel größere Problem sind."

Sport oder kein Sport?

Mit einem schlechten Image der ganz anderen Art müssen sich David Obenaus und Lukas Bönisch tagtäglich herumschlagen – an der Sportschule, die Teil der Förderung in Frankfurt (Oder) ist. "Wir haben an der Sportschule allgemein den Ruf, dass wir keine Sportler sind", sagt Obenaus, "aber jemand, der noch nie geschossen hat, weiß nicht, wie anstrengend es ist, voll konzentriert 40-mal zu schießen."
 
In den Diskussionen um das Wort "Sport" in "Schießsport" treffen vergleichsweise geringe physische Anforderungen auf maximale Anforderungen in Sachen Konzentration und Mentalität. Außerdem natürlich die im Leisstungssport üblichen Trainingsumfänge und Wettkämpfe, die auch Schützen wie Obenaus und Bönisch abreißen. Diese allerdings unterscheiden sie auch von den allermeisten Sportschützen in Deutschland.

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Schließlich sind die weder Olympioniken noch Leistungssportler, sondern eher Menschen, die zwar auch möglichst genau ihre Zielscheiben treffen wollen, aber eben nicht nur deshalb schießen. Das zumindest legt ein Besuch bei der Schützengilde Bernau nahe. Gegründet im Jahr 1418 ist der Verein der älteste in der kleinen Stadt knapp oberhalb von Berlin.
 
Anders als am modernen Schießsportzentrum in Frankfurt (Oder), springt einen die Historie des Schießens hier förmlich an. Ein Kasino mit Tresen, vielen Wappen und einer jahrzehntealten Vereinsflagge, dazu ein Flur mit Urkunden sowie altersabhängig mal mehr, mal weniger scharfen Fotos von Schützenfesten und dem Vereinsleben. Die Stimmung an den jeweiligen Schießständen für Luft- und Feuerwaffen ist locker. "Unser Schützenwesen unterscheidet sich natürlich vom Leistungssport", sagt Rick Leimbach.

Schützenvereine wahren Traditionen

Mit seinen 36 Jahren ist er ein im Schießsport ungewöhnlich junger Vereinsvorsitzender bzw. Schützenmeister. Und wenngleich auch in der Schützengilde Bernau – wie im Schießsport üblich – ältere Männer die Mitgliederstatistik prägen, betont Leimbach schnell: "Wir sind ein Verein für alle. Da wird nicht unterschieden, wie alt oder jung jemand ist oder wo er herkommt. Das ist völlig irrelevant." Im Grunde gehe es in der Schützengilde, so klingt es durch, vor allem darum, sich dreierlei zu verschreiben: den klaren Regeln, die die Sicherheit aller Beteiligten am Schießstand garantieren sollen, der Gemeinschaft des Vereins und zumindest in Teilen auch dessen Tradition.
 
So betont Leimbach – wie auch Gert-Dieter Andreas vom BSB – die historische Entwicklung des Schießens. Früher sei die Schützengilde für das Bewachen der Gemeinde verantwortlich gewesen, sagt Leimbach. Gleiches gilt Deutschlandweit für viele Schützenvereine und ist ein Teil der Erklärung für die verhältnismäßig große Beliebtheit von Schützenvereinen in ländlichen Regionen. Etwas veraltet anmutende Trachten, Schützenfeste mitsamt Tontaubenschießen, das Krönen eines Königspaares und Waffen im eigenen Haushalt haben dort nicht selten Tradition. Mehr Tradition jedenfalls als in größeren Städten, in denen Schützenvereine insbesondere für jüngere Menschen fernab ihrer Lebensrealität liegen.

Links: Die Schützengilde Golßen eröffnet den Spreewälder Gurkentag 2017. Rechts: Bernd Eccarius von der Schützengilde Bernau im Jahr 1992. (Bilder: picture alliance/dpa/Settnik/Franke)

Links: Die Schützengilde Golßen eröffnet den Spreewälder Gurkentag 2017. Rechts: Bernd Eccarius von der Schützengilde Bernau im Jahr 1992. | Bilder: picture alliance/dpa/Settnik/Franke

In der Schützengilde Bernau versucht man Tradition und Jugend zu verbinden. Zwar krönt man auch hier noch Schützenkönig und Schützenkönigen mitsamt einer prestigeträchtigen Kutschfahrt, rekrutiert aber gleichzeitig interessierten Nachwuchs. "Wir haben einiges an weiblichen Mitgliedern dazubekommen und die Jüngste bei uns ist acht Jahre alt", sagt Rick Leimbach. Insgesamt kümmern sich fünf Trainer in einem Luftpistolen-Bereich und am Schießstand für Feuerwaffen um die rund 160 Mitglieder des viertgrößten Schützenvereins in Brandenburg.

Die Motivation für den Schießsport

Besagte Mitglieder seien dabei aus ganz unterschiedlichen Gründen zum Schießen gekommen, erzählt Leimbach. Die Faszination für Schusswaffen spiele dabei natürlich auch eine Rolle, sagt er und gibt somit das Stichwort für seinen neben ihm sitzenden Jugendwart Andreas Raddatz. "Ich habe als kleiner Junge jedes längliche Stück Holz als Gewehr benutzt", erzählt der und ergänzt: "Irgendwann war ich dann in einem Jugendclub, der auch Luftgewehre hatte. Da habe ich dann festgestellt, dass das ja gar nicht so leicht ist wie im Film." Es folgte der Eintritt in den Schützenverein und ein Wandel seiner Leidenschaft fürs Schießen – von der Faszination für die Waffe hin zur Wichtigkeit von Gemeinschaft und Genauigkeit im Wettstreit gegen sich selbst und andere.
 
"Für viele ist auch das Mentale, das Runterkommen durch die Konzentration", sagt Raddatz und Leimbach ergänzt: "Gerade unter den Älteren gibt es auch viele, die gar keine Feuerwaffen schießen, sondern nur im Luftbereich." Hinzu kommen Bogen- und Blasrohrschießen, die das Sportschießen in Deutschland komplettieren. Und dennoch: Das Gros der Sportschützen findet zumindest auch - und oft noch mehr - Gefallen am Schießen mit scharfen Waffen.
 
Die unterscheiden sich zum einen in Sachen Hall und Rückstoß von ihren Luftdruck-betriebenen Artgenossen. Zum anderen sind sie auch optisch eher die Art von Schusswaffen, die man aus dem Schießsport-fernen Alltag eben tatsächlich eher als Waffen und nicht als Sportgeräte kennt.

Ein Schütze visiert bei einem Lehrgang zum Schrotschießen sein Ziel an (Bild: IMAGO/Enters)

Ein Schütze visiert bei einem Lehrgang an der Flinte sein Ziel an. | IMAGO/Enters

Sendung: rbb24 Inforadio, 29.04.2024, 18:15 Uhr