Premier League Salah mit Blanko-Vertrag nach Saudi-Arabien? Viel mehr als ein irres Gerücht
Vordergründig geht es um den möglichen Transfer eines weiteren Superstars nach Saudi-Arabien. Aber der Fall von Mohamed Salah zeigt auf, dass viel mehr dahintersteckt. Der Fußball ist nur ein Strahler.
Um 9.45 Uhr Ortszeit begann am Freitag (25.08.2023) die Pressekonferenz mit Jürgen Klopp vor dem nächsten Spiel in der Premier League. So durfte auch der Trainer/Manager des FC Liverpool schon sehr früh wiederholen, was der Verein einigen Reportern mit erheblicher Reichweite in sozialen Netzwerken schon am Vorabend gesteckt hatte: Mohamed Salah bleibt.
Das hatte auch sein Manager Ramy Abbas Issa schon am 7. August gesagt, als es angeblich den ersten Vorstoß von Al-Ittihad gab, den ägyptischen Nationalspieler nach Saudi-Arabien zu holen.
Aber was zählen schon solche Behauptungen im Fußball, speziell im Transfergeschäft. Es gab Experten, die vermuteten, dass die Pandemie die Preise drücken werde, auch die Gehälter senken. Aber seitdem Saudi-Arabien mit Milliarden den Markt zuschüttet, würden diese Experten ihre Expertisen am liebsten löschen.
Ein saudi-arabisches Portal mit ebenfalls sehr großer Reichweite schrieb am Donnerstag, dass ein weiteres Angebot von Al-Ittihad eingegangen sei. Es soll so gestaltet sein, dass der FC Liverpool die Ablöse und Salah sein Gehalt frei bestimmen könne. Weitere Quellen gibt es dafür nicht. Aber so absurd, wie sich das noch vor wenigen Monaten angehört hätte, ist das inzwischen nicht mehr.
Neue Zeitrechnung
MIt der Verpflichtung von Cristiano Ronaldo durch den Klub Al-Nassr begann eine neue Zeitrechnung im Fußball. Die saudi-arabischen Klubs, vier von ihnen inzwischen verstaatlicht, zeigen ihre Macht, die in ihrem exorbitanten Reichtum begründet ist. Das zeichnet sich immer mehr ab. Es sind nicht nur alternde Stars wie Jordan Henderson, der ehemalige Kapitän des FC Liverpool, die mit einem kolportierten Gehalt von knapp mehr als 40 Millionen Euro pro Jahr angelockt wurden.
Gabriel Veiga, genannt "Gabri", ein 21 Jahre alter Spanier, der das Interesse von europäischen Topklubs weckte, steht vor einem Wechsel zu al-Ahli. Einen entsprechenden Post des auf Transfernews spezialisierten Journalisten Fabrizio Romano kommentierte Toni Kroos mit "peinlich".
Toni Kroos: "Gefahr für den Fußball der Zukunft"
Bei Ronaldo und Karim Benzema, den alternden Stars mit etlichen Titeln, habe er Verständnis, dass sie wegen der astronomischen Gehälter wechselten, so der deutsche Weltmeister in seinem Podcast "Einfach mal Luppen". Bei einem jungen Spieler wie Veiga jedoch fehle ihm das Verständnis: "So ein Einschnitt in seine sportliche Karriere, seine Ansprüche nur wegen des Geldes so runterzuschrauben, davon bin ich kein Fan. Das ist ein unfassbar schlechtes Vorbild für ganz viele junge Jugendspieler, dass da Geld die Motivation ist."
Kroos sieht "eine Gefahr für den Fußball der Zukunft". Andere wichtige Stimmen aus der Branche sehen es gelassener. Für Hans-Joachim Watzke, den Geschäftsführer von Borussia Dortmund und Aufsichtsratschef der Deutschen Fußball Liga, ist es "zu früh" für eine Prognose: "Wenn der Staatschef auf einmal abpfeift, dann ist das Spiel zu Ende. So war es vor ein paar Jahren in China auch schon."
Bericht über Mord an Flüchtlingen an saudischer Grenze
Staatschef in Saudi-Arabien ist faktisch der Kronprinz Mohammed bin Salman. Er wird verdächtigt, einen Mord an einem Journalisten in Auftrag gegeben zu haben, kritische Stimmen brutal zu unterdrücken. Aktuell sorgt ein Bericht der Menschenrechtsorganistion "Human Rights Watch" (HRW) für diplomatische Verwicklungen.
Saudische Grenzpolizisten hätten zwischen März 2022 und Juni 2023 "Hunderte äthiopische Migranten und Asylsuchende", die versucht hätten, über die Grenze mit dem Jemen nach Saudi-Arabien zu kommen, getötet. Die Bundesregierung erbat aufgrund des Berichts von HRW eine Stellungnahme der Saudis, drohte mit Konsequenzen. Deutschland liefert Kriegsgerät an Saudi-Arabien, bildete auch saudische Grenzpolizisten aus.
Gefahr der Doppelmoral
Auch deshalb heißt es häufig, dass Kritiker des brutalen Regimes der saudischen Königsfamilie mit einer Doppelmoral argumentieren. Die Gefahr besteht. Es ist schwierig, das eine ohne das andere zu betrachten. Es ist leicht, sich zu verrennen.
Es geht nur vordergründig um Fußball. Es geht nur vordergründig um den Wunsch, die Fußball-Weltmeisterschaft 2030 oder 2034 ausrichten zu dürfen. Es geht nur in einer Facette um Sportswashing.
Die Zeit nach den fossilen Brennstoffen
Es geht um Geopolitik. Saudi-Arabien ist, genau wie Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate, reich an fossilen Brennstofen und damit so reich geworden. Fossile Brennstoffe sind in Zeiten des zunehmenden Bewusstseins um eine drohende Klimakatastrophe die Vergangenheit.
Die Golfstaaten stellen sich für die Zukunft auf, drängen in andere Märkte, knüpfen diplomatische Bande. In der katarischen Hauptstadt Doha haben die Taliban ein Büro, im saudi-arabischen Dschidda tagte Anfang August eine Konferenz mit dem Ziel, zumindest einen Ansatzpunkt zu finden, wie Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine beendet werden könnte.
Die Vereinigung der Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, nach den Anfangsbuchstaben "Brics" genannt, kündigte nach ihrer Tagung am Donnerstag an, sechs weitere Länder aufzunehmen, darunter auch Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten. Die ab dem 1. Januar 2024 dann mehr als doppelt so große Gruppe werde bis zu 37 Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts zu Kaufkraftparitäten erwirtschaften und 46 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren, sagte Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva beim Treffen von "Brics".
So etwas wirft ein Licht auf Länder, und sei ihr Umgang mit Menschen und Menschrechten auch noch so dunkel.
Der Fußball ist ein Strahler im geopolitischen Gefüge, und Mohamed Salah mag mit seinen 31 Jahren auch ein alternder Star sein, aber er ist der Superstar in seiner Heimat Ägypten, den Maghrebstaaten im Norden Afrikas und auch dem Rest des Kontinents. Das sind Regionen der Welt, zu denen sich muslimisch geprägte Staaten wie am Golf viel eher hingezogen fühlen als in das weiterhin christlich geprägte Europa, das seit Jahrhunderten abschätzig nach Süden und Südosten schaute.
Größer als Ronaldo und Messi
Salah aus der besten Liga der Welt nach Saudi-Arabien zu locken, wäre der bislang größte Coup, größer als die Verpflichtung von Ronaldo als Fußballer und Lionel Messi als Tourismusbotschafter.
Wahrscheinlich wird Mohamed Salah noch mindestens eine Saison beim FC Liverpool bleiben. Sein Stürmer habe sich "zu 100 Prozent" zum Verein bekannt, sagte Jürgen Klopp am Freitagmorgen. Er schimpfte auch noch darüber, dass der Transfermarkt in Saudi-Arabien bis zum 20. September geöffnet sei, also etwa drei Wochen länger als in den großen Ligen Europas: "Die Verantwortlichen sollten klarmachen, dass sie (die Saudis) ihre Geschäfte zu einer Zeit machen müssen wie jeder andere auch, wenn sie Teil des Systems sein wollen."
Wenn Salah am Sonntag (27.08.2023, Ausschnitte in der Sportschau im Ersten ab 19.15 Uhr) bei Newcastle United antritt, das zu einem Großteil dem saudischen Staatsfonds gehört, steht in der höchsten brasilianischen Liga der 21. Spieltag an. Der Transfermarkt in Brasilien ist für Zugänge seit Anfang August geschlossen. Aber wenn Jürgen Klopp - oder welcher europäische Verein auch immer - einen Profi aus Brasilien verpflichten möchte, kann er das problemlos bis Anfang September tun. Die Gefahr der Doppelmoral besteht.
Der Fußball ist durch das massive Anwerben aus Saudi-Arabien globaler geworden - und noch politischer.