Überalterung in der Nationalmannschaft Hannes Wolf will mehr Musiala und Wirtz
Im Kader für die Testspiele der Nationalmannschaft sind mit Jamal Musiala und Florian Wirtz vermutlich nur zwei Spieler unter 23. DFB-Nachwuchsdirektor Hannes Wolf will das ändern.
Sandro Wagner ist Vater von vier Kindern. Seine beiden Söhne spielen begeistert Fußball, bei seinen Töchtern "kommt das vielleicht noch", sagte der Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft am Mittwoch (06.03.2024) und schmunzelte.
Der 36-Jährige war in dieser Woche erst Augenzeuge des Befreiungsschlags des FC Bayern in der Champions League gewesen, ehe er bereits am nächsten Morgen als Kronzeuge auf dem DFB-Campus aufschlug: um dafür zu werben, dass die Fußball-Basis in Deutschland im Umgang mit zwei Millionen Kindern und Jugendlichen umdenken muss.
Maximilian Beier wäre der dritte junge Hoffnungsträger
Wagner befürwortet wegen der Erfahrung mit seinen Kindern aus voller Überzeugung, dass künftig nach einer neuen Trainingsphilosophie ausgebildet werden muss, um die individuelle Entwicklung zu verbessern. All das dient dazu, dass der deutsche Fußball auch in der Spitze künftig mehr Talente ausspuckt. Dass es viel zu wenig sind, wird die Nominierung des nächsten Kaders der A-Nationalmannschaft am kommenden Donnerstag (14.03.2024) offenbaren.
Dann verkündet Bundestrainer Julian Nagelsmann sein Aufgebot für die Länderspiele gegen Frankreich in Lyon (23.03.2024) und gegen die Niederlande drei Tage später in Frankfurt: Diese Spieler werden zugleich das Gerüst für die Heim-EM bilden.
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass ein Kreis benannt wird, der ein bisschen in die Jahre gekommen ist. Jamal Musiala, 21 Jahre alt, und Florian Wirtz, 20, erhalten vielleicht durch den Shootingstar Maximilian Beier, 21, Unterstützung, der bei der TSG Hoffenheim mit seinen zwölf Saisontoren in aller Munde ist.
Mit der Rückkehr von Toni Kroos steigt der Altersschnitt
Doch ansonsten herrscht in dieser Altersklasse auf oberstem Niveau die große Leere. Mit der Rückkehr von Toni Kroos, 34, verstärkt sich der Trend, dass Nagelsmann (gezwungenermaßen?) noch mehr auf Routiniers setzt. Auch Wagner erkennt in dem Mittelfeldmann einen immensen Mehrwert: "Er ist ein Riesenspieler!" Sein Comeback, verriet Kroos im Anschluss an das Champions-League-Heimspiel von Real Madrid gegen RB Leipzig (1:2), habe auch damit zu tun, "wenn man sieht, wie die letzten Jahre gelaufen" sind.
Nämlich auch wegen des Mangels an Talenten bei drei Turnieren richtig mies. Deshalb soll der Weltmeister von 2014 nun helfen. Es ist nicht abwegig, dass gegen Vize-Weltmeister Frankreich mit Manuel Neuer, Toni Rüdiger, Mats Hummels, Pascal Groß, Ilkay Gündogan, Niclas Füllkrug und eben Rückkehrer Kroos sieben Akteure in der Startformation stehen, die 30 Jahre und älter sind.
Sieht als Familienvater die Fehler an der Basis: Sandro Wagner
Schon die ersten Aufgebote unter Nagelsmann hatten ein rekordreifes Durchschnittsalter. Seine 27 Spieler für die Länderspiele gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) waren im Schnitt 28,48 Jahre alt, davor beim Einstand gegen die USA (3:1) und Mexiko (2:2) sogar 28,54 Jahre. So alt wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr.
Die U17 Weltmeister brauchen noch Zeit
Ein Fakt, der dem neuen DFB-Direktor für Nachwuchs, Training und Entwicklung, Hannes Wolf, missfällt. "Wir müssen uns eingestehen, dass wir es in der Vergangenheit nicht so gut gemacht haben. Wir brauchen 20- bis 25-jährige Spieler, die auf allen Positionen in die Nationalmannschaft drängen", sagte Wolf auf Nachfrage sportschau.de.
Wo sind die schwarz-rot-goldenen Hoffnungsträger, um bei einer Welt- oder Europameisterschaft wieder um Titel zu spielen? Die U17-Weltmeister um Paris Brunner müssen erst einmal in der Bundesliga Fuß fassen - und das wird schwer genug. Bei der vermasselten U21-EM im vergangenen Sommer, wegen der die Männer im Gegensatz zu den Frauen nun nicht am Olympischen Fußballturnier teilnehmen, habe Qualität gefehlt, warnte Wolf.
"Der Talentpool, auf den Antonio di Salvio zurückgreifen konnte, war ein Drittel oder ein Viertel von England und Frankreich. Von dem was wir an Potenzial hatten, haben wir es nicht gut gemacht." Die deutschen Nachwuchskräfte hinkten auch in Sachen Einsatzzeiten deutlich hinter, so der 42-Jährige.
Wir müssen auf dem Topniveau so ausbilden, dass die Spieler mit 19 Jahren in der dritten, zweiten oder ersten Liga auf den Platz kommen.
Bei den Trainingsformaten stehen die meisten dahinter
Das sei oben aber nur ein Problem, das andere sei "der Drop-out". Zu viele Junioren hören vor dem Erwachsenwerden auf. Wolf: "Dann hast du zwar vier E-Jugendteams, aber in der A-Jugend nur eine Spielgemeinschaft. Das müssen wir drehen, und jede Minute für die Entwicklung individueller Qualität aufwenden." Deshalb ist Wolf mit seinem Team mit Feuereifer dabei, für ein Umdenken zu werben.
Im Verband und in Vereinen, an den Stützpunkten, aber auch an Schulen. Die Faustformel: kleinere Felder, kleinere Teams. Der Verband argumentiert, dass bei der Variante Drei-gegen-Drei gegenüber einem Sieben-gegen-Sieben vier Mal so viele Ballaktionen und fußballspezifische Entscheidungen herauskommen.
"Wir können das nicht entscheiden, aber wir haben das Gefühl, dass wir den Paradigmenwechsel hinbekommen – und die Taktisierung zurückdrehen. Wir rennen offene Türen ein - vor allem bei den Trainingsformaten. Bei den Spielformen gibt es hier und da noch Vorbehalte - aber es bewegt sich in eine gute Richtung", sagte Wolf.
Auch in höheren Altersklassen könnte noch Reformbedarf bestehen
Freude, Intensität und Wiederholung lauten die Schlagworte. "Trainingsziel ist die ganzheitliche Entwicklung von individueller Qualität", heißt es in einem DFB-Leitsatz. Nur Runden drehen, Spannstoß proben oder Kopfball üben: So soll kein Training aussehen. Und: Auf der Bank sitzen oder nicht im Kader stehen, bringt bei den jüngsten Kickern niemanden weiter.
Für Wagner ist es "völliger Irrsinn, dass Kinder am Wochenende zu Hause bleiben müssen. Mir persönlich zerreißt es auch das Herz, wenn ein Vater sein Kind eine Stunde zum Fußball fährt und es dann gar nicht spielen sieht."
Erst einmal ist die Reform der neuen Spielformen nur bis zu den E-Junioren ab Sommer gültig. Wolf stellte beim ersten Update selbstkritisch fest, dass danach ab den D-Junioren "gewisse Dinge nicht gelöst" seien.
Hier müssen weitere Untersuchungen, Vorschläge und Debatten folgen, um vermutlich auch hier die Mannschaftsstärke zu reduzieren. Die Dringlichkeit könnte sich erhöhen, wenn die EM 2024 fürs Heimteam sportlich nicht nach Wunsch verläuft. Weil einige der Auserwählten vielleicht ihren Zenit schon überschritten haben?