Die Enttäuschung ist Lena Lattwein (v.l.), Kathrin Hendrich und Marina Hegering vom VfL Wolfsburg ins Gesicht geschrieben

Internationale Konkurrenzfähigkeit gefährdet Ist die Frauen-Bundesliga ohne den DFB besser aufgestellt?

Stand: 31.01.2024 10:10 Uhr

Konstruktiv, aber durchaus provokant: So nennen Katja Kraus aus der Initiative "Fußball kann mehr" und Axel Hellmann als Vorstandssprecher von Eintracht Frankfurt selbst ihr Thesenpapier, um die Zukunftsfähigkeit des Profifußballs der Frauen in Deutschland abzusichern. Beide sind mit dem Ist-Zustand nicht zufrieden und haben das auch wiederholt beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) persönlich in Gesprächen hinterlegt.

Dass die internationale Konkurrenzfähigkeit gefährdet ist, hat die Women’s Champions League auf fast schon tragische Art und Weise vor Augen geführt. Trotz eines herzerfrischenden Auftritts kam der FC Bayern am Dienstagabend (30.01.2024) auf dem eigenen Campus unter dramatischen Umständen nur zu einem 2:2 gegen Paris St. Germain. Damit langte es nur zu einem Sieg in der Gruppenphase und folglich Platz drei. Das vorzeitige Aus für den deutschen Meister.

Zuvor war Vizemeister und Pokalsieger VfL Wolfsburg als letztjähriger Finalist der Königsklasse (2:3 gegen den FC Barcelona) bereits in den Playoffs an Paris FC vor der Gruppenphase hängengeblieben. Eintracht Frankfurt hatte vor dem letzten Heimspiel gegen den FC Rosengard am Mittwochabend keine Chance aufs Weiterkommen.

Historischer Tiefpunkt für den Vereinsfußball

Das ist genauso wie das WM-Vorrundenaus der Frauen-Nationalmannschaft ein historischer Tiefpunkt. Seit Gründung eines Europapokalwettbewerbs für Frauen-Vereinsteams ab der Saison 2001/2002 - der zunächst UEFA Women’s Cup hieß - stand immer mindestens ein deutscher Verein im Viertelfinale. Jetzt findet erstmals die Runde der letzten Acht ohne Bundesliga-Beteiligung statt.

Auch deshalb will Kraus Denkanstöße geben und eine Diskussionsgrundlage liefern, um die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig wiederherzustellen. Ihre Kernforderung: "Professioneller Frauenfußball muss als eigenes Geschäftsmodell funktionieren." Genau wie der Eintracht-Funktionär Hellmann ist die ehemalige Torhüterin des FSV Frankfurt der Ansicht, dass die Frauen nicht bloß als Anhängsel der Männer behandelt werden dürfen.

Profis ohne Mindestlohn

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Eigene Identität und eigenständiges Denken werden benötigt

Die in Hamburg lebende Geschäftsführerin der Sportmarketingagentur Jung von Matt/sports erkennt für Deutschland ein erhebliches Potenzial. "Wir benötigen eine eigene Identität und ein eigenständiges Denken, um neue Zielgruppen zu gewinnen." Ihrer 2021 ins Leben gerufenen Initiative Fußball kann mehr mit prominenten Köpfen wie der Ex-Nationaltorhüterin Almuth Schult gehört Hellmann als Beirat an.

Der Jurist sieht ebenfalls Bedarf, den Frauenfußball "in einem deutlichen kürzeren Zeitraum als die nächsten zehn Jahre" auf ein höheres Niveau zu bringen. "Die Gesamtentwicklung geht nicht schnell genug. Die Engländer lagern die Frauen aus dem Verband aus, die US-Amerikaner haben das schon getan. Beide haben eine ganz andere mediale Tiefe und ziehen magnetisch die Werbepartner an."

Deutschland droht ein Ausbildungsmarkt zu werden

In Deutschland seien viele amerikanisch geprägte Konzerne zu Investitionen in den Frauenfußball als Teil ihrer Diversitätsstrategie bereit, "aber wegen fehlender Reichweite setzt die Marketingabteilung dann ein erheblich niedrigeres Preisschild als im Männerfußball dahinter. Wenn wir nicht rasch reagieren, werden wir ein Ausbildungsmarkt für größere Ligen."

Er sei jedenfalls aus der Klubperspektive mit dem Entwicklungsstand des Frauenfußballs nicht zufrieden: "Wir können mehr erreichen. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht immer Sand in die Augen zu streuen und uns beweihräuchern, obwohl wir nicht wirklich gut sind."

Eine 16er Liga soll schnell kommen

Der 52-Jährige regt konkret an: "Wir müssen bald zu einer 16er-Liga kommen und bei der Professionalisierung mehr tun, wozu möglicherweise Minimum-Gehälter, aber auch ein Salary Cap gehören. Vielleicht brechen wir das System mal so auf, dass mehr Spannung entsteht, damit wir eine größere Öffentlichkeit erreichen."

Frankfurts Klubchef stört sich an der seit einem Jahrzehnt anhaltenden Dominanz des FC Bayern und VfL Wolfsburg, die sich seit 2013 mit einer Ausnahme - 2014 der Pokalsieg des 1. FFC Frankfurt - alle nationalen Titel aufteilen: "So verliert eine Zwölfer-Liga, die netto nur fünf Monate im Jahr spielt, ihren Reiz. Und wenn ich mir dann noch anschaue, wie stark bezuschusst die Frauen sind, ist das kein System, auf dem wir dauerhaft eine stabile Berufsgrundlage für Fußballerinnen gründen können."

Zweifel, ob der DFB der richtige Träger ist

Unverhohlen klingt eine gehörige Portion Skepsis durch, ob der DFB als Träger der höchsten Spielklasse bei den Frauen die aus ihrer Sicht erforderlichen Entwicklungsschritte einleiten kann oder will. Kraus erklärt: "Die Frage ist doch, wo gibt es die bestmöglichen Voraussetzungen, um den Sport dauerhaft erfolgreich zu machen. Kann der DFB das leisten oder nicht?"Es brauche Investitionen: "In das Spielniveau, in Sichtbarkeit und Reichweite, in die Qualität der Übertragungen, neue Formate und Distributionswege. Dafür müssen strategische Partner gefunden werden."

Kann das der Verband mit seinen langen Entscheidungswegen wirklich am besten? Hellmann erläutert: "Es wird vom DFB abhängen, ob diese Debatte aufkommt oder nicht. Es gibt nicht nur bei mir, sondern auch bei anderen Profiklubs ein Grummeln, eine Unzufriedenheit, auch wie die Klubs eingebunden sind. Das ist nämlich kein Thema für Kommissionen oder Hinterzimmerkonferenzen."

Katja Kraus

Katja Kraus

Wenn die notwendigen Anpassungen in der Struktur des DFB erreicht werden könnten, habe er damit überhaupt kein Problem. "Wenn das aber nicht der Fall ist, müssen wir darüber nachdenken, den Frauenfußball eigenständig zu organisieren."

England löst den Ligabetrieb aus der FA ab

England dient ihm durchaus als Beispiel: Dessen Verband, die Football Association (FA), hat sich gegen die Ablösung gar nicht gesträubt. Ab der kommenden Saison steuert ein neues Unternehmen die Vermarktung der Klubs aus erster und zweiter Liga. Die erste Geschäftsführerin der neuen Gesellschaft wird Nikki Doucet sein, eine Investmentbankerin, die in führender Position beim Sportartikelhersteller Nike gearbeitet hat.

Ein solches Modell kann sich auch Kraus gut vorstellen: Es brauche Menschen, die Erfahrung mit der Entwicklung einer solchen Organisation haben und Frauen, die als Botschafterinnen der Liga nach außen wirken. Die 50-Jährige moniert: "Es ist so wenig Begeisterung spürbar, mir ist alles viel zu leise und brav". Derzeit ist nicht mal die Zuständigkeit wirklich geklärt: Vergangene Woche ist Tobias Trittel als Vorsitzender des DFB-Ausschusses Frauen-Bundesligen entnervt zurückgetreten, weil ihm alles viel zu langsam geht.

Heike Ullrich als frühere Direktorin Frauenfußball ist als Generalsekretärin überwiegend mit dem Männerfußball beschäftigt, Doris Fitschen verantwortet die Strategie Frauen im Fußball, Sabine Mammitzsch als DFB-Vizepräsidentin Frauenfußball scheint für alles und nichts zuständig, und die neue Sportdirektorin Nia Künzer soll nur die Nationalmannschaft und die U20 verantworten.

Es droht ein Abbild der Tabelle aus dem Männerfußball

Kraus, das einstige Vorstandsmitglied des Hamburger SV hat ein großes Faible für Projekte wie bei Viktoria Berlin, wo die Gründerinnen ein eigenes Konzept umsetzten, das für große Aufmerksamkeit sorgte. Der Klub scheiterte in den Relegationsspielen gegen den HSV am Zweiliga-Aufstieg. Kraus warnt davor, die Frauen-Bundesliga "als kleiner gedachte Version der Männer“ aufzustellen: "Wenn die Tabelle zukünftig ein Abbild der Wirtschaftskraft der Männerklubs ist, wird die Frauen-Bundesliga nicht dauerhaft attraktiv sein."

Hellmann sagt sogar: "Wenn wir nichts am bestehenden System ändern, bin ich mir sicher, dass wir in zehn Jahren bei Männern und Frauen exakt dasselbe Tabellenbild haben, weil die Leistungsfähigkeit im Frauenfußball dann komplett vom Männerfußball abhängt. Wir hätten dann eine Riesenchance vertan." Und den Anschluss vielleicht für lange Zeit verloren.