HSV-Maskottchen Dino Hermann neben Bakery Jatta

2. Bundesliga Datenanalyse: Darum ist der HSV jetzt der Zweitliga-Dino

Stand: 13.05.2024 09:26 Uhr

Der Hamburger SV hat auch im sechsten Anlauf die Rückkehr in die Fußball-Bundesliga verpasst. Wenig Effektivität im Angriff, defensiv oft zu zaghaft und ein Trainerwechsel, der am Ende nichts gebracht hat: Die Datenanalyse der HSV-Saison erklärt, warum es wieder nicht gereicht hat.

Von Matthias Heidrich

Ambivalenter hätte das Ende aller Aufstiegsträume des HSV nicht ausfallen können. Nach der verdienten 0:1-Pleite in Paderborn feierten die mitgereisten Hamburger Anhänger ihr Team, anstatt es auszupfeifen. Kapitän Sebastian Schonlau und Co. standen konsterniert und auch etwas ungläubig vor der eigenen Fankurve.

"Die Reaktion nach so einem Moment ist alles andere als selbstverständlich. Da muss man sich schon fragen, ob wir das überhaupt verdient haben", sagte Schonlau. Das Wohlwollen des eigenen Anhangs vielleicht schon, den Bundesliga-Aufstieg definitiv nicht.

Die starke Konkurrenz mit den Aufsteigern FC St. Pauli, Holstein Kiel und dem Relegationsteilnehmer Fortuna Düsseldorf ist das eine. Das andere sind die nackten HSV-Zahlen der Saison 2023/2024, die auch vor dem letzten Heimspiel gegen Nürnberg ziemlich deutlich belegen, warum der einstige Bundesliga-Dino nun in seine siebte Spielzeit in der 2. Liga geht und zum Zweitliga-Dino mutiert.

Die spielerischen Schwächen im HSV-System

Beim HSV rollt man des Analyse-Feld anhand der GSN-Daten am besten von vorne auf. Die Effektivität im Angriff ließ zu wünschen übrig. Die Chancen waren da, aber nicht genug Effizienz. 0,56 Aluminiumtreffer im Schnitt pro Partie - der höchste Wert ligaweit - könnten noch unter Pech wegsortiert werden, aber 5,03 Schüsse am Tor vorbei (Rang 17 im Ligavergleich), 4,09 geblockte Schüsse (18.) und 3,16 geblockte Flanken (16.) lassen ein Muster erkennen, das die Hamburger am Ende Punkte gekostet hat.

Neben einer generellen Schwäche in offensiven Kopfballduellen lief für die Hanseaten in der Luft ohnehin nicht viel zusammen. Nur 0,31 Flanken nach Standardsituationen mit Torabschluss produzierte die Mannschaft - kein Team war schlechter. Ebenso wie bei den lediglich 51 Prozent erfolgreichen langen Bällen. Das verursachte gleich zwei Probleme im HSV-Spiel: zu wenig erfolgreiche Spielverlagerungen, um den Druck über die Außen zu erhöhen, und ein zu langsames Umschalten von Verteidigung auf Angriff.

Auch im Rückwärtsgang hakte es in entscheidenden Bereichen. Nur 34,13 Balleroberungen im eigenen Defensivdrittel (16.) und 6,81 abgefangene Pässe durch eigene Mittelfeldspieler (18.) zeigen, dass der HSV große Probleme damit hatte, gegnerische Angriffe frühzeitig zu unterbrechen und den Ball zurückzugewinnen.

Stürmer-Ausfall beim Thema Tackling

In einem funktionierendem System, erst Recht im taktischen 4-3-3 des HSV, sind dafür auch die Stürmer mitverantwortlich. Aber beim Thema Tackling taten sich Robert Glatzel und Co. nicht hervor. 0,06 Tacklings durch eigene Angreifer sind der schwächste Wert der Liga, 1,03 durch eigene Mittelfeldspieler ebenfalls. Dabei geht es in der Datenanalyse nicht nur um Grätschen, sondern generell alle Aktionen, in denen der Gegner robust, aber regelkonform vom Ball getrennt wird.

Welche Spieler sind unter ihren Möglichkeiten geblieben?

An den nackten Zahlen und Daten stehen keine Namen dran, aber natürlich gilt es auch zu beurteilen, welche Spieler hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind. Defensiv ist dabei Stephan Ambrosius zu nennen, der mit einem "Performance-Score" von 54,05 im Liga-Ranking der Innenverteidiger nur auf Platz 42 von 68 landet. Außenverteidiger Moritz Heyer (55,14) schafft es lediglich auf Rang 30 von 57.

Was ist der "Performance-Score"?

  • Tore, Pässe, Fouls, Schüsse oder auch Abseitspositionen: die Spiel-Basisdaten und weiterführende Analysen wie "Expected goals" oder "Action scores" werden beim "Performance-Score" durch einen Algorithmus in einen übergeordneten Kontext gesetzt - zum Beispiel positionsbezogen.
  • Beim "Performance-Score" sind alle Spieler zunächst einmal auf 0 gesetzt und werden anhand der reinen Leistungsdaten, kombiniert mit Datenmodellen, bewertet.
  • Damit liefert dieser Wert eine Einschätzung, wie gut oder schlecht ein Spieler aktuell spielt.
  • Der "Performance-Score" ist ein Baustein des GSN-Index, der wiederum eine generelle, langfristige Bewertung aller Fähigkeiten, Potenziale und Qualitäten eines Spielers ist.

Der technisch hoch veranlagte Immanuel Pherai (3 Tore, 5 Vorlagen) hat gemessen an seinen Möglichkeiten eine durchwachsene Saison gespielt. Sein "Performance-Score" von 56,20 sortiert den Niederländer auf Platz 36 von 49 zentralen Mittelfeldspielern ein.

András Nemeth (51,75 / Rang 38 von 39 im Sturm) war als Glatzel-Ersatz ein Ausfall. Zwar oft nur eingewechselt, steuerte der Ungar in 27 Einsätzen kein Tor oder Assist zur HSV-Saison bei.

Baumgart: "Müssen schauen, welche Jungs die richtigen sind"

Das Fass Kader-Zusammenstellung machte Baumgart direkt nach der Paderborn-Pleite selbst auf. "Wir müssen schauen: Welche Jungs sind die richtigen, um diesen Angriff auf die Bundesliga wirklich anzugehen, nicht nur davon zu reden. Sondern ganz klar zu sagen: Was brauchen wir, um in Hamburg, an diesem Standort aufzusteigen", sagte der 52-Jährige bei "Sky": "Brauchen wir nur die besten Spieler oder brauchen wir Jungs, die auch andere Qualitäten haben? Darüber reden wir."

Schonlau fehlte (zu) oft

Auch ein Blick auf die Top-Spieler verrät, woran es am Ende gelegen hat. Neben Miro Muheim (61,10) und Ignace van der Brempt (60,51) als beste Außenverteidiger der Liga ragen Sebastian Schonlau (65,70 / Rang 2 der Innenverteidiger) und Glatzel (60,42 / 19 Tore, 7 Assists / Rang 2 Sturm) heraus.

Das Problem: Schonlau fehlte den Hanseaten (zu) oft, absolvierte verletzungsbedingt nur 16 Partien. So musste der HSV die ersten vier Spiele der Rückrunde ohne seinen Kapitän auskommen und kassierte zwei bittere 3:4-Pleiten gegen Karlsruhe und Hannover. Glatzel, der in der Rückrunde ebenfalls zwei Mal fehlte, erzielte nach zwölf Toren in der Hinrunde nach der Winterpause "nur noch" sieben. Darunter auch den Treffer zum Derbysieg gegen St. Pauli. Um ganz oben angreifen zu können, hätte es aber auch hier etwas mehr gebraucht.

Walter vs. Baumgart: Welche Rolle spielte der Trainerwechsel?

Die oben erwähnte 3:4-Heimpleite gegen 96 Anfang Februar besiegelte das Aus für Tim Walter im Volkspark. Es war die eine vogelwilde Niederlage zu viel für die HSV-Bosse, die den Trainer freistellten. Gegen Elversberg übernahm Steffen Baumgart und verordnete den "Rothosen" eine Defensivkur. Mit Erfolg, unter dem neuen Coach kassierte der Club von der Elbe deutlich weniger Gegentore (1,5 bei Walter im Schnitt, 0,91 bei Baumgart). Allerdings ging das zu Lasten der Offensivkraft. Waren es bei Walter noch 2,05 Tore pro Partie, sank dieser Wert unter Baumgart auf 1,36.

Ob ein "Weiter mit Walter" geholfen hätte? Vielleicht. Sicher ist, Baumgart hat im Team und im Volkspark nicht die tragende Euphorie ausgelöst, die sich viele von ihm versprochen hatten.

Kein Händchen für Kellerkinder

Der eine Wert, der alles erklärt, ist in der HSV-Datenanalyse nicht auszmachen. Auffällig ist allerdings, dass die Hamburger zwölf Punkte gegen die Kellerkinder der Liga Hansa Rostock, Kaiserslautern, Wehen Wiesbaden und VfL Osnabrück liegengelassen haben. Vor allem die beiden 1:2-Niederlagen gegen Schlusslicht Osnabrück dürften viele Fans in der Rückschau schmerzen und die berechtigte Frage aufwerfen, ob der HSV der Saison 2023/2024 neben den messbaren spielerischen Mängeln auch an seiner Mentalität gescheitert ist.

Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 12.05.2024 | 22:50 Uhr