Schach-Großmeister Dommaraju Gukesh

Schach Inder Gukesh gewinnt sensationell das Kandidatenturnier

Stand: 22.04.2024 17:16 Uhr

Sensation im Schach: Der 17-jährige Inder Dommaraju Gukesh gewinnt das Kandidatenturnier. Er darf nun Ende des Jahres Weltmeister Ding Liren herausfordern.

Viel spannender kann ein Schachturnier nicht sein. Vier der acht Spieler beim Kandidatenturnier in Toronto konnten vor der letzten Runde in der Nacht zum Montag (22.04.2024) das Turnier noch gewinnen und damit das Recht erspielen, Weltmeister Ding Liren aus China herauszufordern. Unter ihnen die drei großen Favoriten: Die Amerikaner Caruana und Nakamura und der Russe Nepomniachtchi (der unter neutraler Flagge spielt). Als Vierter war Dommaraju Gukesh aus Indien am Start.

Alle vier Aspiranten spielten in direkten Duellen gegeneinander. Caruana hatte gegen "Nepo" die Chance auf den Sieg, damit wäre es zum Stechen im Tie-Break mit Gukesh gekommen, er ließ eine Gewinnstellung aber liegen. Einen sich vorher erarbeiteten Vorteil brachte Caruana damit nicht ins Ziel.

So gingen alle Schachstars leer aus. Und den Sieg holte tatsächlich der erst 17-jährige Inder Gukesh. Er spielte das ganze Turnier überzeugend, war immer im Rennen vorne dabei - und doch ist sein Triumph das, wovon im Sport sonst oft inflationär die Rede ist: Eine Sensation.

Gukesh auf dem Weg zum jüngsten Schach-Weltmeister

Nie gab es einen jüngeren Sieger des Kandidatenturniers, Ende 2024 könnte Gukesh nun auch der jüngste Schach-Weltmeister aller Zeiten werden. Noch jünger als ein Bobby Fischer oder Magnus Carlsen. Carlsen selbst hatte vor dem Turnier Gukesh auf den vorletzten Platz seiner Favoritentabelle gewählt. Indiens Schachboom ist zwar für alle seit Jahren offensichtlich. Aber kaum jemand hatte gedacht, dass er so schnell Früchte trägt.

Außer Gukesh selbst. Anfang Februar spielte er bei einem Schachturnier an der Ostsee mit. Wir treffen den Teenager zum Interview.

"Im April startet das Kandidatenturnier, Sie sind dabei. Wer ist ihr Favorit?"

"Offensichtlich ich selbst."

"Wirklich? Bei all den großen Namen, die dabei sind?"

"Ja, wirklich. Wenn ich einen Favoriten wählen muss, nehme ich mich selbst."

Er ist äußerst selbstbewusst, aber nicht arrogant. Für seine Gegner hat er immer lobende Worte übrig. Aber klar wird: Dieser 17-Jährige mag auf dem Papier noch ein Teenager sein, aber er ist schon verdammt weit. Vor allem am Schachbrett.

Schmerzhafte Niederlage, dann Bestform

Während des Kandidatenturniers war er von Anfang an aussichtsreich vorne dabei. Als er in der siebten Runde gegen den Franzosen Firouzja verliert, gehen Videos von ihm, verzweifelt am Brett hockend, todtraurig die Hand zur Aufgabe reichend, im Netz viral. Er wirkt in diesem Moment völlig aufgelöst. Aber der Schock bricht Gukesh nicht.  

"Obwohl ich gerade eine schmerzhafte Niederlage erlitten hatte, fühlte ich mich danach in Bestform", sagt er rückblickend. In der nächsten Runde schlägt er mit den schwarzen Figuren seinen indischen Konkurrenten Vidit in einer spektakulären Partie.

Es ist nicht die einzige Partie, die Gukesh gewinnt. Er hat einen aggressiven Stil, geht oft ins Risiko. Fordert ihn ein Gegner in einer offenen Stellung zum Kampf auf, nimmt Gukesh die Herausforderung oft an - und scheitert selten.

Gukeshs Erfolg schockt die Elite

Für die Altstars des Schachs ist sein Erfolg ein Schock. Für sie war es die womöglich letzte Chance, noch einmal um die Weltmeisterschaft zu spielen. Der Russe Nepo lag lange vorne, verlor keine einzige seiner 14 Partien. Ihm wurden zu viele Remis zum Verhängnis.

Die Amerikaner Caruana und Nakamura lagen nach der ersten Turnierhälfte schon fast aussichtslos hinten. Ihre Aufholjagd kam am Ende zu spät. Mit 8,5 von 14 möglichen Punkten hätten sie in der Vergangenheit oftmals ein Kandidatenturnier gewonnen. Dieses Mal war ein Teenager aber noch einen halben Punkt besser.

WM-Sieger Ding Liren im Formtief

Nun kommt es also erstmals zum Duell der beiden bevölkerungsreichsten Länder der Welt um die Schach-Krone. Der genaue Termin, wann der Inder Gukesh den Chinesen Ding Liren herausfordert, steht, ebenso wie der Ort, noch nicht fest. Seit seinem WM-Sieg 2023 ist der Chinese in ein Loch gefallen. Er ist außer Form, hat Schlafprobleme und ist noch immer in psychischer Behandlung.

"Für mich war der WM-Sieg Segen und Fluch zugleich", sagte Ding der Sportschau im Februar. Beim Weissenhaus-Turnier im Februar wurde er Letzter, bei den Grenke Chess Open über Ostern Vorletzter.

Obwohl er der Herausforderer ist, gilt Gukesh deshalb aktuell als Favorit. Er könnte nach Vishy Anand der zweite indische Weltmeister werden. Anand war es, der Schach in Indien zum Nationalsport machte. "Vor Vishy war Schach bei uns gar nichts", sagt Gukesh. "Aber seit er Weltmeister wurde, ist er bei uns Nationalheld. Ich habe auch wegen ihm angefangen, Schach zu spielen."

Schach in Deutschland - Viele Talente, wenig Förderung

Niklas Schenk, Sportschau, 04.04.2024 15:55 Uhr

Indien macht Schach zum Nationalsport

Anand ist zwar immer noch ein Weltklasse-Spieler, fördert die indischen Talente aber auch, unter anderem mit seiner Crowdfunding-Initiative "E4", für die er wohlhabende Familien als Sponsoren sucht. Die indischen Talente profitieren auch davon, dass viele von ihnen in staatlichen Unternehmen angestellt werden und ein Grundgehalt erhalten, dafür aber keine Arbeitsleistung erbringen müssen.

Um die Schach-Olympiade 2022 kurzfristig ins Land zu holen, stellte die indische Regierung 13 Millionen Dollar zur Verfügung – in Deutschland undenkbar. Talente wie Gukesh gehen oft nur bis zum Alter von zehn oder elf Jahren zur Schule, setzen früh komplett auf den Sport.

Ein Umstand, den viele durchaus auch kritisch sehen. Das deutsche Top-Talent Vincent Keymer etwa hat parallel zum Sport noch sein Abitur gemacht. Für seinen ein Jahr jüngeren Konkurrenten Gukesh nahezu unglaublich: "Ich war geschockt, als ich das gehört habe", sagt er. "Schach auf dem höchsten Niveau braucht viel Zeit und Arbeit. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat, ich hätte das nicht geschafft."

Keymer sieht "unterschiedliche Voraussetzungen"

Keymer hat seine Entscheidung nicht bereut. Trotzdem spricht er im Vergleich mit den indischen Top-Talenten von "unterschiedlichen Voraussetzungen. Da frage ich mich oft schon, wie ich die weiter aus- und angleichen kann".

Bisher ist es Keymer ziemlich gut gelungen, diese Unterschiede auszugleichen. In der Weltrangliste stand Gukesh vor dem Kandidatenturnier nur knapp vor ihm. Beide galten als Talente auf Augenhöhe. Dass eben dieser 17-jährige Gukesh aus dem indischen Chennai Ende des Jahres womöglich Schach-Weltmeister ist, zeigt deshalb auch, wie schnell es im Schach aktuell nach ganz oben gehen kann.