Martin Kind steht in der Zentrale der Kind-Gruppe.

Hannover 96 80. Geburtstag von Martin Kind: Der ewig streitbare Fußballfunktionär

Stand: 28.04.2024 21:09 Uhr

Zu seinem 80. Geburtstag am Sonntag (28.04.2024) brach Martin Kind mit Gewohnheiten und offenbarte ungeahnte Emotionen. 50+1 bleibt sein Thema und der Aufstieg von Hannover 96 sein Ziel. Eigenwillig und kein bisschen "altersmilde" verfolgt der ewig streitbare Fußballfunktionär seinen Weg.

Von Andreas Bellinger und Matthias Dröge

Für viele ist er eine Reizfigur. Mancher sieht in ihm sogar einen Quertreiber. Martin Kind polarisiert wie kaum ein anderer Fußballfunktionär. Und fast könnte man den Eindruck gewinnen, er fühle sich ganz wohl in dieser Rolle. Als Realist bezeichnet er sich, ein kritischer Vordenker ist er vielleicht auch. Und ein Gewohnheitstier - wenn die Überlieferungen stimmen. Doch zumindest damit sollte jetzt Schluss sein: Seinen 80. Geburtstag verbrachte Kind nicht im Büro, sondern mit der Familie und den Enkelkindern in einem schicken Hotel an der See.

Verpasster Aufstieg macht "ein bisschen traurig"

Es geht ihm gut, dem vitalen "Rentner", der so gar nichts vom Ruhestand hält. "Noch lange Jahre gute Gesundheit, einen klaren Verstand und körperliche Fitness", das wünscht er sich und fügt im Gespräch mit dem NDR hinzu: "Ich war in den letzten 50 Jahren nie krank - das ist ein Geschenk."

Präsente gab es vermutlich einige für den Jubilar. Nur der Aufstieg in die Bundesliga ist für den Geschäftsführer von Hannover 96 wieder nicht dabei. "Wir hatten eine große Chance, deshalb bin ich ein bisschen traurig, dass wir sie nicht haben nutzen können", sagt er.

96-Einstieg mit "Tatbestand der Insolvenz"

Kind stieg 1997 beim damaligen Drittligisten aus Niedersachsen ein, als die Lichter gerade auszugehen drohten. "Inklusive Tatbestand der Insolvenz", so der Kaufmann, der 1970 ein Hörgeräte-Fachgeschäft von seiner Mutter übernahm, und heute in 700 Filialen rund 3.500 Mitarbeiter beschäftigt. Eine Erfolgsgeschichte in zwölf Ländern, die vielleicht begründet, warum er im Fußball seine unternehmerischen Pläne und Prinzipien für unerlässlich betrachtet.

50+1 - (s)ein ungelöstes Problem

Dass dabei mitunter Verbands- und Unternehmensrecht kollidieren, ist für ihn ein Dilemma, die 50+1-Regel bis dato (s)ein mehr oder weniger ungelöstes Problem - das zudem noch immer die Gerichte beschäftigt. Einfach ausgedrückt, soll damit in der Ersten und Zweiten Liga der Einfluss von Investoren begrenzt werden. Und: Der Mutterverein muss das letzte Wort haben, auch wenn der Profifußball-Bereich in eine Kapitalgesellschaft ausgegliedert wurde.

Stichwort 50+1

Durch die sogenannte 50+1-Regel wird bislang verhindert, dass Investoren mehr als 50 Prozent der Anteile an einem Fußball-Club erwerben können. In anderen Ligen - zum Beispiel in England - gibt es eine solche Regelung nicht. Besonders Martin Kind macht sich dafür stark, die Regel zu kippen, um die "Kapitalsituation der Clubs zu verbessern". Die Regelung wurde bisher beibehalten, steht aber permanent in der Diskussion. Befürworter der Regelung kritisieren, dass beim Wegfall der Markt für ausländische Investoren geöffnet werden könnte, die kein sportliches Interesse an einem deutschen Bundesliga-Club haben.

Kind sieht das komplett anders: "Die Kapitalseite muss die Entscheidung über das Kapital haben." Und die Kapitalseite sind bei Hannover 96 neben Kind, dem Chef der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, die Unternehmer Dirk Roßmann und Gregor Baum. "Ich bin verantwortlich für das Geld Dritter, die sehr viel Kapital und Liquidität zur Verfügung gestellt haben", gibt der 96-Profifußball-Boss im NDR Interview mit Nachdruck zu Protokoll. "Dass dieses Geld nicht vernichtet wird, das gehört zu meinem Selbstverständnis."

Kind sieht "Kulturkampf des Fußballs"

Dass das nicht jedem gefällt, ist dem streitbaren Niedersachsen, der dank familiärer Herkunft aus Chur auch den Schweizer Pass besitzt, durchaus bewusst: "Wer sich im Fußball engagiert, muss wissen, dass er einen Job macht, dass er Verantwortung zu übernehmen hat, dass er entscheiden und dabei wissen muss, dass nicht alles geliebt wird und man kritisiert wird."

Entscheidungen der Vernunft seien auf allen Seiten vonnöten. "Das Ringen um die 50+1-Regel entwickelt sich aus meiner Sicht zu einem Kulturkampf des Fußballs", sagt Kind. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seien gefordert, die Entwicklung zu analysieren und eine Strategie der Zukunft zu entwickeln. "Damit der deutsche Fußball international, aber auch national wettbewerbsfähig bleibt."

"Unappetitlich": Kind im Fadenkreuz

Kritik gehört für ihn per se dazu - vorausgesetzt, sie ist konstruktiv. "Das heißt für mich, eine eigene Strategie dagegenzustellen, über die inhaltlich diskutiert werden kann." Aber es gibt Grenzen. So, als ein Plakat auch der eigenen Fans beim Auswärtsspiel in Hamburg mit seinem Konterfei im Fadenkreuz gezeigt und trotz mehrfacher Aufforderung selbst der eigenen Spieler lange Zeit nicht entfernt wurde. Kind nennt es "kritisch und unappetitlich", und fügt sogleich scheinbar cool hinzu: "Aber damit kann ich leben." Strafanzeige erstattete er selbstredend.

Kind: "Emotionen helfen nicht"

"Ich habe gelernt, wenn man die Verantwortung trägt, den Fußball mit einer deutlichen Distanz zu bewerten", sagt Kind in gewohntem Duktus. "Emotionen helfen nicht." Dass dies nicht im Gegensatz dazu steht, insbesondere attraktive Spiele zu genießen, verschweigt der mitunter reservierte Fußball-Anhänger nicht. Und: "Ab und zu liefert auch Hannover 96 hochattraktive Spiele, das erlaube ich mir zu ergänzen."

"96 gehört in die Erste Liga"

Gar ins Schwärmen kommt Kind mit Blick auf die englische Premier League und deren Protagonisten. Aber Träumereien verbieten sich. "Es reicht ja nicht zu sagen, ich hätte gern Pep Guardiola als Trainer. Der kennt Hannover gar nicht, das ergibt also gar keinen Sinn." Wenn das Leben ein Wunschkonzert wäre, würde er Ralf Rangnick wohl als Lieblingstrainer nennen, der 2002 mit den "Roten" den Bundesliga-Aufstieg geschafft hat. Die Eliteliga - ein Ziel, sein Ziel: "Ich denke zukunftsorientiert und immer auch erfolgs- und ergebnisorientiert. 96 gehört in die Erste Liga."

Nachfolge längst geklärt - in der Firma und im Fußball

Was gibt es sonst noch für Pläne, Wünsche und Projekte? "Es hört sich banal an, aber natürlich ist das Entscheidende im Alter die Gesundheit." Natürlich - und wie es sich für einen realistischen und verantwortungsvollen Unternehmer gehört, hat Kind seine Nachfolge längst geklärt: "Ich habe schon alles vererbt", erzählt er frank und frei. Die Anteile am Hörakustik-Unternehmen hat er seinem Sohn Alexander überschrieben.

"Ich war in den letzten 50 Jahren nie krank - das ist ein Geschenk."
— Martin Kind

Alle anderen Beteiligungen, und damit auch die Mehrheitsanteile bei Hannover 96, gehören seit diesem Jahr seinem zweiten Sohn Matthias. "Ob er bei 96 in operative Verantwortung gehen will, kann ich nicht beurteilen. Wenn er mich fragt, würde ich empfehlen, das nicht zu machen."

Vorfreude auf Springsteen - "Bin vollkommen unbedeutend"

Geschäftsführer - oder wie es neudeutsch heißt: CEO - will er hier wie dort bis auf Weiteres bleiben. Auf der Suche nach einem Nachfolger als 96-Profichef sei er trotzdem. "Aber die stehen nicht Schlange." Einen anderen "Boss" muss er dagegen nicht suchen, der kommt am 5. Juli freiwillig nach Hannover. Und das sorgt bei Martin Kind schon jetzt für ungeahnte Begeisterung.

"Bruce Springsteen, mein Künstler, ich liebe ihn. Ich bin schon durch Deutschland gefahren, wenn er aufgetreten ist", schwärmt Kind und lässt den Emotionen freien Lauf: "Letztes Jahr war ich in Hamburg, ein super Konzert, ein toller Mann, toller Künstler." Ob er ihn gerne persönlich treffen würde? Keine Frage. Aber: "Der 'Boss' ist ein Weltkünstler, der agiert auf einer anderen Ebene. Ich bin vollkommen unbedeutend. Da bin ich Realist."

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Sport aktuell | 28.04.2024 | 08:17 Uhr