Das Team von Ceratizit WNT bei der Teampräsentation in Clermont-Ferrand
Tourreporterin

Tour de France Femmes Zweiklassengesellschaft im Radsport - Geht alles zu schnell?

Stand: 25.07.2023 21:41 Uhr

Die Fahrerinnen der Top-Teams können mittlerweile von ihrem Sport leben, das sieht aber nicht überall im Radsport so aus. Die Regeln des Weltverbandes UCI gelten nämlich nicht für alle.

Von Katarina Schubert, Montignac-Lascaux

Die Stimmung vor dem Start war prächtig. Während die Techniker verzweifelt versuchten, die Teamautos in der engen Straße nach Collonges-La-Rouge zu parken, ließ sich der Rest des Teams nicht von seiner guten Laune abbringen.

Wieso auch, immerhin läuft die Tour de France Femmes für das deutsche Continental-Team Ceratizit-WNT Pro Cycling bisher wie gewünscht. Frankreichs Talent Cédrine Kerbaol fährt seit Start der Rundfahrt im Trikot der besten Nachwuchsfahrerin, Marta Lach wurde zudem am Sonntag zur aktivsten Fahrerin der ersten Etappe ausgezeichnet.

3. Etappe - Die Zusammenfassung

Sportschau, 25.07.2023 20:05 Uhr

"Wir sind eher die Underdogs"

"Wir werden Tag für Tag kämpfen, damit Cédrine das weiße Trikot auch noch am Ende in Pau trägt", so Sportdirektor Dirk Baldinger im Gespräch mit der Sportschau. Sein Team habe ein wenig darauf geschielt, sagt er mit einem Grinsen, denn Kerbaol habe in dieser Saison bereits vielversprechende Leistungen gezeigt. Dass es für das in Kempten ansässige Team nicht um die Gesamtwertung geht, war Baldinger bereits vor dem Grand Depart in Clermont-Ferrand klar.

Die vorderen Plätze würden andere Teams unter sich aus machen: "Wir sind eher die Underdogs. Hier und da eine gute Platzierung oder das Podium wäre optimal." Es gehe aber als kleineres Team auch darum, bei der Tour de France Femmes auf sich aufmerksam zu machen.

Cédrine Kerbaol von Cetratizit WNT tägt das Trikot der besten nachwuchsfahrerin der Tour de France Femmes

Cédrine Kerbaol von Cetratizit WNT tägt das Trikot der besten Nachwuchsfahrerin der Tour de France Femmes

Continental-Teams müssen auf Einladung hoffen

Denn Ceratizit-WNT Pro Cycling, für das bis zur vergangenen Saison auch Bahnrad-Olympiasiegerin Lisa Brennauer fuhr, ist eines von sieben Continental-Teams, die an der Tour de France Femmes teilnehmen. Während die 15 erstklassigen World-Teams sowie die besten zwei Continental-Teams automatisch für das Rennen startberechtigt sind, müssen die restlichen zweitklassigen Teams auf eine Einladung hoffen. Letzteres galt jedoch nicht für Baldinger, denn mit Platz elf ist Ceratizit-WNT Pro Cycling das derzeit zweitbeste Continental-Team in der Weltrangliste.

Erst 2020 führte der Radsportweltverband UCI, wie bei den Männern schon längst geschehen, das zweistufige System von World- und Continental-Teams ein. Dies ging mit strengen Lizenzvorgaben einher. Um als World-Team an der UCI Women’s World-Tour teilnehmen zu dürfen, müssen die Teams nun eine Reihe von Bedingungen erfüllen, welche vor allem die Trainings- und Lebensbedingungen der Fahrerinnen betrifft. Dazu gehört als wichtigster Schritt die Auszahlung eines Mindestgehalts. Hinzu kommen Urlaubs- und Krankengeld sowie Lohnfortzahlungen während des Mutterschutzes.

Mindestgehalt-Regelung gilt nicht für alle

Vor allem das Bezahlen eines Mindestgehalts ist ein großer Schritt in Richtung Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern im Radsport. So erhöhte die UCI im vergangenen Jahr noch einmal den Betrag - in dieser Saison erhalten angestellte Fahrerinnen mindestens 32.102 Euro, selbstständige Fahrerinnen 52.647 Euro. Bis 2025 soll dies auf 38.000 Euro beziehungsweise 62.320 Euro ansteigen. Doch diese Regeln gelten nicht für Continental-Teams.

Und so können laut einer Umfrage der Gewerkschaft "The Cyclist Alliance" immer noch nicht alle Fahrerinnen von ihrem Sport leben. Nur 15 Prozent der Fahrerinnen außerhalb der World-Teams verdienen mehr als 20.000 Euro im Jahr. "Wir beobachten, dass die Lücke zwischen den World- und Continental-Teams immer weiter wächst. Die UCI hat ihren Fokus auf die World-Teams gelegt, nun wird es Zeit, dass sie sich um die kleineren Teams kümmert", so Iris Slappendel, Mitbegründerin von "The Cyclist Alliance", gegenüber der Sportschau. Denn in diesen Teams sind meist Nachwuchsfahrerinnen unterwegs, die dem Sport verloren gehen könnten.

Entwickelt sich alles zu schnell?

Dabei geht es Slappendel nicht einmal zwingend um ein Mindestgehalt, sondern um bessere Arbeitsbedingungen wie Versicherungen und Urlaubsanspruch. Bei Ceratizit-WNT Pro Cycling wird bereits ein Mindestgehalt gezahlt - das war Dirk Baldinger wichtig zu erwähnen. Das kann sich allerdings nicht jedes Continental-Team leisten. "Ab Platz 20 in der Weltrangliste ist ein großer Unterschied. Dann wird es eine reine Budgetfrage. Diese haben lediglich bis zu 500.000 Euro zur Verfügung, während unser Budget und das der World-Teams bei circa 1,5 Millionen Euro liegt", erzählt Baldinger. Deshalb sei es für ihn eine Selbstverständlichkeit, dass er seine Fahrerinnen bezahlt. Außerdem wolle er in die nächste Saison als World-Team starten, weshalb er die Regeln der UCI jetzt schon freiwillig befolge. Dieses Jahr scheiterte Ceratizit-WNT Pro Cycling an der Weltrangliste.

Man müsse aber auch einen guten Sponsor finden, der die schnelle Entwicklung des Frauenradsports finanziell mitmacht. Denn die UCI erlässt jede Saison neue Regeln, die für alle Teams herausfordernd sind. Es stellt sich die Frage, ob die UCI zu sehr auf die Tube drückt. "Wir als Teams rennen nur hinterher und versuchen, die Lücke zwischen dem, was wir derzeit leisten und was vorgegeben wird, zu schließen. Aber wir spielen das Spiel ja auch mit, da darf man nicht jammern", so Baldinger.

Das Fundament des Sports

Jammern möchte Slappendel auch nicht, denn ihrer Meinung nach fristete Frauenradsport lange genug ein Schattendasein: "Frauensport generell hat gerade ein Momentum. Einerseits kann es also gar nicht schnell genug gehen, andererseits sollte man sich nun auf andere Dinge konzentrieren. Und dazu gehören nicht das Preisgeld und Mindestgehalt, sondern halt die Ebene unter der Spitze, nämlich die Continental-Teams."

Denn diese seien das Fundament des Sports. Das würde Cédrine Kerbaol, die auch am Mittwoch als beste Nachwuchsfahrerin ins Rennen geht, bestimmt unterschreiben.

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