Rosalind Canter auf Allstar B beim CHIO Aachen

CHIO in Aachen Tod des Pferdes Allstar heizt Tierwohl-Debatte an

Stand: 03.07.2022 17:52 Uhr

Ein totes und ein blutendes Pferd überschatten den CHIO. Kritiker fordern erneut ein Verbot des Pferdesports, ein Tierarzt hält dagegen.

Der Pferdesport steht unter Beobachtung, nicht erst, aber verstärkt seit mehreren Vorfällen bei Olympia 2021 in Tokio. Und in Deutschland steht er besonders unter Beobachtung, wenn sich die Weltelite beim CHIO in Aachen trifft. Dort sah es lange nach einem sorgenfreien Turnier aus, mit sportlichen Highlights wie dem deutschen Triumph im Nationenpreis der Springreiter. Doch dann kam der Samstag (02.07.2022).

Dressur-Ikone Isabell Werth wurde disqualifiziert, weil ihr Pferd Quantaz Blut am Maul hatte. Und vor allem sorgte der Tod des Weltmeister-Pferdes Allstar für Bestürzung. Beim Geländeritt trat der 17 Jahre alte Wallach der Britin Rosalind Canter nach einem verweigerten Sprung plötzlich nicht mehr mit dem linken Vorderbein auf, ohne dass er zuvor gestürzt oder sichtbar angestoßen wäre.

Swagemakers: Lange und schmerzhafte Rekonvaleszenz

"Das Pferd muss eine extreme Drehbewegung gemacht haben", sagte CHIO-Tierarzt Friedrich Wilhelm Hanbücken der "Süddeutschen Zeitung". In Hanbückens Tierklinik war Allstar untersucht worden. "Es gab einen offenen Bruch im Krongelenk." Dieser war laut Hanbücken irreparabel. Die Besitzer von Allstar folgten schließlich dem tierärztlichen Rat, das Pferd einzuschläfern.

Ein Beinbruch muss nicht gleichbedeutend mit einem Todesurteil für ein Pferd sein, die Behandlungsmethoden haben sich verbessert. Doch Jan-Hein Swagemakers, Tierarzt der deutschen Equipe, verweist im Interview mit dem WDR auf eine möglicherweise "lange und schmerzhafte Rekonvaleszenz. Einen Menschen kann man bei einem gebrochenen Bein oder einem Bänderriss ins Bett legen. Ein Pferd nicht, es muss immer auf vier Beinen stehen. Es gibt zwar Möglichkeiten, es teilweise aufzuhängen. Aber das ist schon eine Quälerei für ein Pferd".

Am Ende sei es immer eine Abwägung. "Es gibt leider Verletzungen, wo man weiß: Die Prognose ist dermaßen schlecht, diesen Leidensweg wollen wir einem Pferd nicht antun."

Nachbesserungen im Gelände

Gerade der Geländeritt steht immer wieder in der Kritik, auch bei Olympia 2021 wurde ein Pferd eingeschläfert. Der 14 Jahre alte Wallach Jet Set des Schweizers Robin Godel hatte sich bei der Landung nach einem Wasserhindernis einen Bänderriss zugezogen.

Die Funktionäre haben zwar nachgebessert, die Hindernisse im Gelände in den vergangenen Jahren immer weiter entschärft, um Verletzungen vorzubeugen. "Aber einem Unfall wie dem von Allstar kann niemand vorbeugen, kein Mensch und kein Tier, weder im Sport noch im Alltag", sagte Vielseitigkeits-Bundestrainer Peter Thomsen. 

PETA fordert Verbot des Pferdesports

Die Tierrechts-Organisation PETA reagierte auf die aktuellen Vorfälle beim CHIO, indem sie erneut dafür plädierte, den Pferdesport abzuschaffen. "Wir fordern die Bundesregierung in einem ersten Schritt auf, die Hochleistungsturniere in sämtlichen Pferdesportdisziplinen zu untersagen", heißt es in einem am Sonntag veröffentlichten Statement. Immer wieder würden Pferde "bei Vielseitigkeitsturnieren und anderen Disziplinen zu Tode geritten, weil die Reiterinnen und Reiter sie als bloße Sportgeräte ansehen, die ersetzt werden können."

In der Grundsatzdiskussion, ob Pferdesport vertretbar ist, nimmt Swagemakers, Tierarzt der Deutschen Reiterlichen Vereinigung FN, eine Gegenposition zu PETA ein. "Die Pferde gehen wirklich gerne auf den Sport. Es gibt sogar Pferde, die mit den Hufen scharren, wenn andere auf den Lkw gehen und sie zu Hause bleiben. Die möchten gerne mit."

Neue Regeln brauche es nicht, sagte der Niederländer Swagemakers. "Das Reglement gibt schon sehr viel vor, damit dem Pferd wenig passieren kann."

Werth: "Quantaz hat sich auf die Wange gebissen"

Auch Werths Dressurpferd Quantaz habe den Vorfall am Samstag gut überstanden. Er habe Quantaz mit etwas Zeitverzögerung  noch einmal untersucht, sagte, Swagemakers, "da konnte ich gar nichts mehr spüren. Ihm geht es blendend."

Ähnlich äußerte sich Isabell Werth im WDR Fernsehen. "Wir haben hinterher festgestellt, dass er sich einmal innen auf die Wange gebissen hat. Der Ratscher war nur stecknadelgroß." Den Regeln gemäß werden Pferde auch bei kleinen Mengen Blut aus dem Wettbewerb genommen.

Frankreichs Regierung gibt Empfehlungen

Nicht nur die breite Öffentlichkeit achtet immer kritischer auf das Tierwohl im Pferdesport, sondern auch die Politik. So hat die französische Regierung jüngst 46 Empfehlungen für Regeln im Reitsport ausgesprochen mit dem Ziel, dass die Olympischen Spiele 2024 in Paris zu "Spielen des Pferdewohls" werden.

Die promovierte Pferdewissenschaftlerin Kathrin Kienapfel sieht in der aktuellen Situation auch eine Gelegenheit. "Wenn jetzt zum Beispiel diese Empfehlungen der französischen Regierung zumindest zum Teil umgesetzt werden", sagte sie im Sportschau-Interview, "dann haben wir durchaus die Chance, dieses doch eher kritische Bilder der Öffentlichkeit zu wandeln und zu sagen: Guck mal, die Reiter machen es vor. Es geht auch anders." 

Kienapfel über die Chance, das "kritische Bild zu wandeln"

Sportschau