Bundestrainer Hansi Flick gibt Anweisungen
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Analyse des 3:3 in England Nationalmannschaft der Kompromisse

Stand: 27.09.2022 07:27 Uhr

Die deutsche Nationalmannschaft zeigt beim 3:3 in England ein Spiel, nach dem Bundestrainer Hansi Flick der Kopf brummen dürfte.

Von Marcus Bark, London

Die Verkäufer mit den sogenannten Spielschals hatten auch kurz vor Mitternacht an der Underground-Station "Wembley Park" noch die Hände voll. Der Discount half nichts, und auch das in der zweiten Halbzeit ziemlich spektakuläre Spiel kurbelte den Verkauf nicht mehr an.

Es war nur ein Duell in der Nations League, und es ging in diesem Wettbewerb für beide Mannschaften um nichts mehr. England war zuvor bereits in die Division B abgestiegen, Deutschland ohne Chance, die Gruppe zu gewinnen.

Mix aus Druck und Schläfrigkeit

Der Reiz des Spiels, das unter dem Label "Klassiker" firmiert, bestand in der Tatsache, dass beide Mannschaften in weniger als zwei Monaten bei der Weltmeisterschaft um den Titel spielen wollen. Da galt es, gerade nach den wenige Tage zuvor jeweils erlittenen 0:1-Niederlagen, Erkenntnisse zu gewinnen - am besten positive. Das gelang beiden Mannschaften. Allerdings war es ein solcher Mix an positiven und negativen Erkenntnissen, dass vor allem den Trainern der Kopf brummen dürfte.

Bundestrainer Hansi Flick weiß jetzt, dass die deutsche Mannschaft in einigen Phasen gut den Gegner unter Druck setzt, um in anderen, schläfrigen Momenten den Gegner gewähren zu lassen. Er weiß auch, dass seine Mannschaft schnell nach vorne spielen und auch mit vielen Spielern laufen kann, sogar gekrönt von einem wunderbaren Schlenzer wie dem von Kai Havertz zum 2:0.

Leistungen der DFB-Elf schwanken

Er weiß auch, dass in der Defensive schnell mal die Ordnung verloren geht, auch die Orientierung. Letztlich ist die Erkenntnis, dass er dies aber auch schon vorher wusste, genau wie er um die Schwäche wusste, gegen eine Mannschaft, die seiner weitestgehend den Ball überlässt und auf Ballgewinne und Konter lauert, nur zu wenigen Chancen im Strafraum zu kommen.

"Ich denke grundsätzlich positiv", sagte Flick am Montag (26.09.2022) nach dem Spiel im Wembley-Stadion und drückte damit die Hoffnung aus, dass die Stärken bis zum Turnier in Katar beibehalten und die Schwächen abgestellt werden.

Europas große Fußballnationen schwächeln

Aber ideal ist es in den vergangenen Monaten nur in Phasen mancher Spiele gelaufen. Die Leistungen der deutschen Eliteauswahl waren zu schwankend, sonst wäre auch die Bilanz besser: Von den vergangenen zehn Pflichtspielen gegen namhafte Gegner bei der EURO 2020 und in der Nations League gewann Deutschland nur zwei (Portugal, Italien), von den vergangenen sieben Länderspielen nur eines - eben jenes gegen den Europameister Italien, der sich nicht für die Weltmeisterschaft qualifizierte, aber nun das Finalturnier der Nations League als Gruppenerster erreichte.

Jede der vermeintlich großen Fußballnationen aus Europa hat so ihre Probleme, und auch darin ist Deutschlands Hoffnung begründet, bei der WM weit zu kommen.

Kein Torabschluss in der ersten Halbzeit

In England war es schließlich auch so, dass die Auswahl des DFB Mitte der zweiten Halbzeit 2:0 führte, obwohl sie vor der Pause überhaupt keinen Torabschluss im gegnerischen Strafraum hinbekommen hatte. Das lag auch daran, dass dieser Raum viel zu selten quantitativ gut mit Spielern in weiß-schwarzen Trikots gefüllt war. Havertz wurde erst nach der Pause gefährlich. Und dann beim 3:3, dem zweiten Geschenk der Engländer, sogar in Mittelstürmerposition, die er zur zweiten Halbzeit für Timo Werner freigemacht hatte, um eine Position nach hinten zu rücken.

Werner zeigte seine bekannte Schwäche im Abschluss, aber auch seine Stärken im Konterspiel und bei den Läufen, mit denen er Gegner aus der Ordnung lockt und so Räume entstehen.

Abenteuerliche Restverteidigung

Das deutsche Spiel ist auch gut zwei Monate vor dem ersten Spiel bei der WM gegen Japan ein Spiel der Kompromisse. Rechts hinten spielte Thilo Kehrer, der im internationalen Vergleich mäßig in der Defensive und mäßig in der Offensive ist. Links hinten spielte David Raum, dem viele taktische Fehler in der Defensive beim Rausrücken und im Stellungsspiel unterliefen. Nico Schlotterbeck verursachte schon wieder einen Elfmeter im Nationaltrikot, die Staffelung der gesamten sogenannten Restverteidigung - also den deutschen Spielern, die bei englischen Kontern dem eigenen Tor näher als der Ball waren - war bisweilen abenteuerlich.

Besonders ärgerte den Bundestrainer jedoch die Phase zwischen der 72. und 83. Minute, in der England seine drei Tore erzielte. Sie entsprangen einer Druckphase der Gastgeber, in der die deutsche Viererkette - vor allem auf den beiden Außenpositionen - von den Kollegen im Stich gelassen wurde. "Das darf nicht passieren", klagte Flick in dem Wissen, dass auch das schon häufiger passierte.