Karl Lauterbach, Robert Habeck und Friedrich Merz (v.l.n.r.) vor dem DFB-Logo und den Logos von Adidas und Nike

Nike statt Adidas Pathetische Kritik am DFB - und die triste Realität

Stand: 26.03.2024 11:23 Uhr

Politiker schimpfen einhellig über die DFB-Abkehr von Adidas, schreiben von Tradition, Heimat und Kommerz - und verkennen dabei die dramatische Situation des DFB.

Oberflächlich betrachtet geht es nur darum, welcher Welt-Konzern demnächst die Trikots der Nationalmannschaft produziert und kommerziell mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) zusammenarbeitet. Doch viele Menschen in Deutschland blicken sehr emotional auf den Abschied des DFB vom deutschen Hersteller Adidas hin zum US-Unternehmen Nike.

Plötzlich verwenden hochrangige Politiker Worte, die sonst eher in anderen politischen Lagern fallen. So hätte sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) "ein Stück mehr Standortpatriotismus" gewünscht, Adidas und Schwarz-Rot-Gold seien "ein Stück deutscher Identität". Und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schrieb von einer Fehlentscheidung, bei der "Kommerz eine Tradition und ein Stück Heimat vernichte".

Kritik von der Linken bis zur CSU

Selten äußert sich die Politik parteiübergreifend so einhellig. Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) und die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär kritisierten den DFB. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz nannte die Entscheidung "unpatriotisch".

Und Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) sagte: "Der Weltmeister trägt Adidas, nicht irgendeine amerikanische Fantasiemarke. (...) Ich kann mir nicht vorstellen, dass der DFB das am Ende durchhalten kann."

Martina Knief, Sportschau, 21.03.2024 17:32 Uhr

DFB-Schatzmeister: "Kritik ist Kokolores"

Bei so viel Pathos erscheint ein kühler Blick auf die Lage sinnvoll. Der DFB hat, nach eigenen Angaben vom Donnerstag, bei der Ausschreibung der Ausrüsterpartnerschaft das "mit Abstand beste wirtschaftliche Angebot" angenommen. Und er verwies auf seine Aufgaben zur Unterstützung des Breitensports.

Im Wirtschaftsmagazin "Capital" wurde DFB-Schatzmeister Stephan Grunwald deutlich. Die Angebote des bisherigen Partners Adidas und des künftigen Ausrüsters Nike hätten wirtschaftlich so weit auseinander gelegen, "dass wir faktisch keine Wahl hatten". Das Angebot von Adidas sei "am Ende nicht wettbewerbsfähig" gewesen, sagte Grunwald. "Wegen einer Differenz von zwei Millionen Euro im Jahr hätte der DFB Adidas nicht verlassen", fügte der DFB-Vertreter hinzu. Das "Handelsblatt" berichtete, dass Nike dem DFB dafür mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr geboten habe, Adidas demnach bislang 50 Millionen Euro.

"Wenn wir bei den Angeboten, wie sie auf dem Tisch lagen, den Zuschlag an Adidas gegeben und dies mit Argumenten wie der langen Partnerschaft, Vertrauen und Treue begründet hätten, dann hätte ich wahrscheinlich schon heute die Staatsanwaltschaft im Haus gehabt", sagte Grunwald. Die Kritik aus der Bundespolitik wies er zurück. Der Staat vergebe selbst über Ausschreibungsverfahren unzählige Aufträge im Jahr, bei denen Entscheidungen nach wirtschaftlichem Ermessen getroffen würden. "Wenn jetzt jemand der Ansicht ist, dass der DFB dies nicht tun darf, dann halte ich das wirklich für Kokolores."

Tiefste finanzielle Krise der Verbandsgeschichte

Wirtschaftlich stabil - das ist der DFB aktuell sicherlich nicht, vielmehr steckt er in der tiefsten finanziellen Krise seiner Geschichte. Das hat mehrere Gründe, angefangen beim sportlichen Misserfolg der A-Nationalmannschaft. Wegen der schwachen Ergebnisse bei der WM 2018, der EM 2020 und der WM 2022 kassierte der DFB in dieser Zeitspanne nur 27 Millionen Euro Prämien - das ist weniger als die Hälfte der Einnahmen aus den drei großen Turnieren zwischen 2010 und 2014.

"Der Verband ist vom sportlichen Erfolg und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der A-Nationalmannschaft im Wesentlichen abhängig", sagte Grunwald im Oktober 2023 dem WDR-Magazin Sport inside. Beispielsweise machten die Einnahmen aus Sponsoring und Vermarktung rund um die Länderspiele im Jahr 2021 die Hälfte des DFB-Gesamtumsatzes von 400 Millionen Euro aus.

Der DFB in der finanziellen Krise

Marcus Bark, Sportschau, 22.10.2023 19:45 Uhr

Mögliche Steuerhinterziehung

Außerdem haben zwei Prozesse den DFB dazu gezwungen, Gelder im zweistelligen Millionenbereich zurückzustellen. Beim einen geht es um möglicherweise falsch versteuerte Einnahmen aus Bandenwerbung, beim anderen um die ominöse Zahlung von 6,7 Millionen Euro vor der Heim-WM 2006.

Der DFB setzte sie als Betriebsausgabe ab, nach Ansicht der Staatsanwaltschaft gab es aber keine Gegenleistung. Bei beiden Prozessen steht auch eine vorübergehende Aberkennung der Gemeinnützigkeit im Raum, was dem DFB zusätzlich hohe Kosten bescheren würde.

"Im besten Fall könnte der DFB, wenn er beide Verfahren für sich entscheidet, damit rechnen, dass er einschließlich Zinsen etwa 50 Millionen Euro gezahlte Steuern zurückerhält", sagte Lars Leuschner, Experte für Vereinsrecht an der Universität Osnabrück, zu Sport inside. "Im schlechtesten Fall muss er diese Summe endgültig abschreiben."

DFB-Campus doppelt so teuer

Hinzu kommt noch der neue DFB-Campus in Frankfurt, die weitläufige Verbandszentrale mit Büros, Tagungsräumen und Trainingsplätzen. Sowohl die Baukosten (180 Millionen Euro) als auch die Kosten für den Unterhalt (80 Millionen Euro pro Jahr) sind doppelt so teuer geworden wie geplant.

"Heute würde man den Campus so, wie wir ihn hier haben, nicht mehr bauen", sagte Grunwald. Er ist erst seit März 2022 DFB-Schatzmeister und muss nun mit den Entscheidungen seiner Vorgänger arbeiten.

Profitiert der Breitensport?

Als Gesundheitsminister referiert Karl Lauterbach gerne über die Bedeutung von Sport für die Gesundheit. Sollte der DFB seiner Ankündigung gerecht werden, dass die Einnahmen aus dem Ausrüstervertrag auch dem Breitensport zugutekommen, müsste Lauterbach eigentlich wohlwollend reagieren.

Übrigens hat auch noch niemand gefragt, warum der so erfolgreiche deutsche Konzern Adidas offenbar kein konkurrenzfähiges Angebot unterbreitet hat - trotz der historischen Krise des DFB, der ihm mehr als 70 Jahre lang auch bei Konkurrenzangeboten die Stange gehalten hatte.