Fußball-WM in Katar im Winter Fußball-Funktionär Pangl - "Bluff mit gezinkten Karten"
Das neue Buch des Fußball-Funktionärs Georg Pangl lenkt den Blick auf die wahren Gründe, warum in Katar die erste Winter-WM stattfindet.
Er war jahrzehntelang einer der schillerndsten Figuren im europäischen Fußball: der Österreicher Georg Pangl war Manager bei der UEFA, Chef der österreichischen Bundesliga – und bis Ende 2019 Generalsekretär der European Leagues, der Vertretung von 36 europäischen Profiligen. Heute leitet er die eigene Pangl Football Group, die weltweit Verbände und Vereine berät. Kurz vor Beginn der umstrittenen Weltmeisterschaft in Katar erscheint nun sein Buch "Mein Theater der Träume".
Pangl gewährt darin auch Einblicke in den Prozess, der dazu führte, dass diese WM überhaupt im Winter stattfindet. Er widerspricht darin der offiziellen Version des Fußball-Weltverbandes FIFA. Keineswegs ging es laut Pangl in erster Linie um medizinische Gründe, wonach es im Sommer im Katar schlichtweg zu heiß sei, um verantwortungsvoll Fußball spielen lassen zu können – sondern einmal mehr auch ums Geld.
Winter-WM "schadet dem Fußball"
Der Österreicher war bei allen entscheidenden Sitzungen zur WM-Terminierung dabei - allerdings ohne Stimmrecht. Er habe in 35 Jahren im Fußball-Business viele negative Erlebnisse verdrängt, aber die erste Winter-WM der Geschichte treibe ihm nach einem "Bluff mit gezinkten Karten", so Pangl im Gespräch mit der Sportschau, heute noch "die Zornesröte ins Gesicht".
Der europäische Fußball sei eigentlich geschlossen gegen die Winter-WM gewesen und hatte sich stattdessen auf einen Termin im Frühjahr 2022 (Mai, unter vorzeitiger Beendigung aller Ligen) geeinigt - "um nationale Meisterschaften nicht zu sehr zu torpedieren und den internationalen Spielkalender nicht noch mehr durcheinander zu wirbeln", so Pangl. Der europäische Ligen-Verband, auch die europäische Klubvereinigung ECA seien dabei ungewohnt Hand in Hand marschiert, da 75 Prozent aller WM-Spieler in europäischen Ligen aktiv sind.
Champions League statt Frühjahrs-WM
Doch die Allianz sei dann im März 2015 gebröckelt in einem Konstrukt aus Lügen und finanziellen Eigeninteressen, wie Pangl behauptet. Hauptdarsteller einmal mehr: Gianni Infantino, damals noch Generalsekretär der europäischen Fußball-Union UEFA. "Er wollte seine Cash Cow Champions League im Frühjahr um jeden Preis schützen", so Pangl.
Im November 2014 gab es eine Sitzung der Arbeitsgruppe für den internationalen Spielekalender im FIFA-Hauptquartier in Zürich. Angeblich sei da die Diskussion, wann die WM angepfiffen werde, noch offen gewesen.
So hätten es auch nahezu alle Kontinentalverbände formuliert, behauptet Pangl, der bei der Sitzung dabei war - doch der damalige FIFA-Präsident Joseph Blatter habe bereits in seinem Grußwort gesagt, man möge doch bitte gar nicht erst diskutieren: "Es muss unbedingt im Winter sein." So gehe es auch aus dem FIFA-Protokoll von damals hervor, schreibt Pangl.
Blatter beruft sich auf medizinische Kommission
Joseph Blatter bestätigte über seinen Sprecher gegenüber der Sportschau den Vorgang. Der Grund dafür sei einfach gewesen: Er habe sich bei der klaren Aussage für eine Winter-WM einzig und allein auf die Aussage der medizinischen Kommission der FIFA verlassen, die eine WM außerhalb der Wintermonate aufgrund der hohen Temperaturen ausgeschlossen habe.
Er könne sich erinnern, dass die Klubs und einzelne europäische Landesverbände anderer Ansicht gewesen seien - aber die FIFA-Meinung sei einhellig gewesen. Das habe er deutlich zum Ausdruck gebracht. Außerdem, so Blatter, lege er Wert auf die Feststellung, dass er nicht für Katar, sondern für den Mitbewerber USA gestimmt habe.
Der damalige UEFA-Generalsekretär Gianni Infantino erinnerte bei besagter Sitzung im November 2014 laut Pangl zudem noch einmal alle daran, wie sehr die 209 Mitgliedsverbände auf finanzielle Unterstützung der FIFA angewiesen seien - und habe ebenfalls nur noch zwei Winter-Optionen (November und Dezember oder Januar/Februar) ins Spiel gebracht.
Pangl vermutet Hinterzimmer-Absprachen, denn es gab zwar offiziell Widerstand der großen Ligenvertreter aus Spanien und England, die auf ein Herunterkühlen der Arenen und die WM im durchaus auch schon heißen Frühjahr pochten und offiziell heftigen Widerstand ankündigten - ihren Worten aber dann in der Folge keine Taten folgen ließen.
Kein Beschluss der FIFA-Exekutive?
Am 24. Februar 2015 fand dann die entscheidende Sitzung in Doha statt. Der inzwischen suspendierte FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke habe die Sitzung mit den Worten eröffnet: "Das FIFA-Exekutivkomitee, dem 26 Vertreter aus allen sechs Konföderationen angehören, hat einstimmig beschlossen, die WM 2022 in Katar im Winter auszutragen."
So ein Beschluss sei aber nie gefällt worden, sagt Pangl, der bei dieser Sitzung ebenfalls anwesend war. Dass es quasi keinen Widerstand der europäischen Top-Ligen mit ihren reichen und einflussreichen Klubs gegeben habe, erklärt er sich heute so: Die FIFA verdreifachte im Vergleich zur WM 2014 die Abstellungsgebühren für Spieler, die zur WM fahren. Ein 209-Millionen-Euro-Paket jeweils für die WM in Russland und Katar, von dem die großen Klubs mit vielen Nationalspielern am meisten profitieren.
Pangls Fazit: "Termin gegen Kohle. Für die großen Vereine wieder mal ein schlaues Geschäft. Für die kleinen Klubs, die wenige oder gar keine Nationalspieler in ihren Reihen haben und die trotzdem wegen der WM auf die attraktiven Spieltermine verzichten müssen, ein Desaster. Ebenso wie für die Ligen." Am 19. März 2015 fällt dann auch das FIFA-Exekutivkomitee den endgültigen Beschluss: die WM findet im Winter statt.
Die Sportschau konfrontierte FIFA, UEFA, die ECA und auch Blatter mit den Vorwürfen Pangls. Nur die FIFA meldete sich auf den Fragenkatalog. Ein Sprecher erklärte, man wolle die Behauptungen Pangls nicht kommentieren, weil seit dem 20. März 2015 alles geregelt sei.
An diesem Tag veröffentlichte die FIFA eine Kooperationsvereinbarung, auf die nun der Sprecher des Fußball-Weltverbandes verwies. In dieser Vereinbarung, die Blatter, Valcke und der damalige ECA-Präsident Karl-Heinz Rummenigge unterzeichnet haben, heißt es unter anderem, mit der opulenten Zahlung an die Klubs sei "im Bewusstsein um den Stellenwert der Vereine in den globalen Fußballstrukturen die Interessen des Klubfußballs auf Stufe der FIFA noch stärker berücksichtigt".
Gegenbewegung zur ECA – der UEC der kleinen Klubs
Das sieht Pangl anders. "Nicht nur der Ort, auch der Zeitpunkt schadet dem Fußball ungemein", sagt Pangl. In erster Linie denkt er dabei an viele Ligen und Klubs, die bei weiter laufenden Kosten nun bis zu zwei Monate ohne Einnahmen sind.
In seinem Buch übt er mehrfach Kritik am Verteilungssystem der UEFA: immer mehr für die großen Klubs, immer weniger für die kleinen. Von 1992 bis 2018 hätten die 14 mächtigsten Klubs sieben Milliarden Euro aus der Champions League abgesaugt, nun seien es in deutlich kürzerem Zeitraum (2021 bis 2024) bereits 6,8 Milliarden Euro.
Pangl berichtet von einer kleinen Gruppe von kleineren Vereinen, die das Ziel habe, eine "Union of European Clubs" (UEC) zu gründen - als Gegenpol zur ECA, weil man das Gefühl habe, dort keine Stimme zu haben. Pangl nennt als Initiatoren ein Quartett: Dennis Gudasic, Direktor des kroatischen Erstligisten Lokomotiva Zagreb, Katarina Pijetlovic, eine Sportrechtlerin aus Manchester, den ehemaligen Premier-League-Profi und Rechtsanwalt Gareth Farrelly, sowie einen Klubbesitzer aus Irland, der noch anonym bleiben wolle.
Das Hauptanliegen dieser ECA-Gegner: mehr Rechte für kleine Klubs. Wenn der Meister aus Montenegro erst vier Qualifikationsrunden zur Champions League spielen müsse, um dann auf die Meister aus Ligen wie Belgien oder Griechenland zu treffen – dann sei er chancenlos. Sportlich und finanziell.
Es sei unbestritten, so Pangl, dass das Gros der Fans "Barcelona oder Liverpool und eher weniger FK Podgorica sehen will – aber jemanden nicht mitspielen lassen und bei den Solidaritätszahlungen zu geizen ist eine Mischung, die aus meiner Sicht mit Fairplay nicht zu vereinbaren ist". Die ECA beantwortete auch Nachfragen der Sportschau zur geplanten "Union of European Clubs" nicht.
Disclaimer: In einer früheren Fassung vom 2.11. war die Stellungnahme von Joseph Blatter, die die Sportschau erst am 3.11 erreichte, noch nicht eingearbeitet.