Englands Lauren Hemp (l.) und Spaniens Teresa Abelleira kämpfen um den Ball.

Erster Stern für Spanien oder England? Spielkunst gegen große Effizienz im WM-Finale

Stand: 19.08.2023 14:14 Uhr

Wenn im Endspiel von Sydney am Sonntag Spanien und England um die WM-Krone spielen, ist das einerseits folgerichtig. Die zwei sehr selbstbewussten Teams haben allerdings Ausgangslagen, die kaum unterschiedlicher sein könnten.

Von Florian Neuhauss, Sydney

Die Spanierin Jenni Hermoso hat bereits davon geträumt, Weltmeisterin geworden zu sein. In England kennt die Fußball-Begeisterung keine Grenzen - in einem Naturpark wurde ein Biberbaby nach der englischen Nationaltorhüterin auf den Namen Earps getauft. Und in Sydney fiebern, auch wenn es die "Matildas" nicht in das erhoffte Finale im eigenen Wohnzimmer geschafft haben, am Sonntag (20.08.2023, 12 Uhr MESZ, im Audiostream und im Liveticker bei sportschau.de) knapp 76.000 Menschen im Olympiastadion mit.

Nach den USA, Norwegen, Deutschland und Japan wird es erst den fünften Weltmeister in der Geschichte des Frauenfußballs geben. Spanien oder England, wer bekommt seinen ersten Stern? Es ist das erste rein-europäische WM-Finale seit 2003.

"Wir haben sehr viel dafür investiert, in diesem Finale zu stehen. Jetzt wollen wir es genießen", erklärte Irene Paredes, eine von drei Kapitäninnen des spanischen Teams. Nichts und niemand könne sie jetzt ablenken. "Wir sind so stolz. Es wird das größte Spiel unserer Karriere sein", sagte Englands Abwehrchefin Millie Bright, und Trainerin Sarina Wiegman fügte hinzu: "Wir bekommen mit, was in Sachen Begeisterung am anderen Ende der Welt in Großbritannien passiert. Wir hoffen, dass wir unser bestes Spiel überhaupt machen."

Marc Eschweiler, Sportschau, 19.08.2023 15:18 Uhr

Spanien-Coach Vilda verweigert Antwort

Allerdings werden im Finale einige der besten Spielerinnen der Welt nicht mit dabei sein. Bei England, das nach der Rotsperre wieder auf Lauren James zurückgreifen kann, fehlen mit Leah Williamson, Beth Mead, Ellie Brazil und Fran Kirby gleich vier Spielerinnen wegen Verletzungen, die sie die WM-Teilnahme gekostet haben. Auch die Spanierinnen sind nicht mit ihrem vermeintlich stärksten Kader an den Start gegangen - allerdings aus einem ganz anderen Grund.

Wir wollen die Besten der Welt sein. Und das schaffen wir, indem wir das Finale gewinnen.
Spaniens Trainer Jorge Vilda

Gleich 15 Spielerinnen hatten gegen Jorge Vilda revoltiert - laut spanischen Medien wegen fragwürdiger Methoden des Trainers im Stile eines Kontrollfreaks. Nur drei dieser Spielerinnen kehrten für das Turnier ins spanische Aufgebot zurück. Und auch wenn Spanien Supertalente wie die 19-jährige Salma Paralluelo in der Hinterhand hatte, erscheint es unwirklich, dass es mit der Finalteilnahme geklappt hat.

Als der Coach bei der Pressekonferenz gleich bei der ersten Frage auf die fehlenden Spielerinnen angesprochen wurde, sagte er nur: "Nächste Frage." Und als es später noch eine weitere Frage gab, antwortete der 42-Jährige ausweichend: "Wir wollen die Besten der Welt sein. Und das schaffen wir, indem wir das Finale gewinnen."

Das folgerichtige WM-Endspiel

Europameister England hatten viele Beobachter auf dem Zettel, wenn es um die großen WM-Favoriten ging. Dass es auch Spanien geschafft hat, wäre auch ohne die Revolte schon eine kleine Überraschung gewesen. Das Finale erscheint allerdings folgerichtig: Englands Women's Super League ist die beste Liga der Welt. Der FC Barcelona, der im Frühjahr die Champions League gewonnen hat und neun Spielerinnen des spanischen WM-Kaders stellt, ist wahrscheinlich das beste Team.

Große Investitionen hüben wie drüben

Auch die Nationalmannschaft spielt fußballerisch schon lange auf hohem Niveau. Bisher schien der Auswahl aber immer der letzte Biss zu fehlen. Verbandschef Luis Rubiales erklärte allerdings in einem Interview, dass große finanzielle Investitionen der Grundstein für den Erfolg gewesen seien: "Als ich vor fünf Jahren kam, wurden weniger als drei Millionen Euro für den Frauenfußball ausgegeben. Jetzt sind wir bei 27."

Wir haben sehr viel dafür investiert, in diesem Finale zu stehen. Jetzt wollen wir es genießen.
Spaniens Kapitänin Irene Paredes

Rubiales fügte hinzu: "Diese Mädchen hatten praktisch keine Rechte, als sie anfingen zu spielen. Man dachte noch, Fußball sei ein Männersport. Sie durchbrechen jetzt diese Betondecke und wir müssen ihnen danken. Sie sind alle ein Vorbild für die Gesellschaft." Hermoso betonte: "Wir haben bereits Geschichte geschrieben."

Auch in England wurde vor der Heim-EM im vergangenen Jahr viel Geld in den Frauenfußball investiert. Die Super League ist längst zum Vorreiter in Europa geworden. Viele der besten Spielerinnen der Welt spielen auf der Insel oder wechseln wie Keira Walsh und Lucy Bronze von dort nach Barcelona. Mit einem millionenschweren Förderprogramm will die englische Regierung zudem mehr Mädchen schon in der Schule für Sport begeistern.

Englands große Sehnsucht nach 1966

England sehnt den ersten WM-Titel im Fußball seit 1966 herbei. "Ich habe die Stimmen noch nicht so sehr gehört, als ich hier im September 2021 angefangen habe", erklärte die Niederländerin Wiegman. "Aber ich habe gemerkt, dass alle darüber reden. Und ich dachte: Das ist also wirklich ein großes Thema."

Kapitänin Bright wurde bei der Pressekonferenz ebenfalls nach der großen Sehnsucht ihrer Landsleute gefragt: "Wir leben den Moment. Unsere Vorbereitung hat sich nicht verändert. Wir machen nichts anders", sagte die Chelsea-Verteidigerin. "Aber natürlich wissen wir, wie groß dieses Spiel ist. Und wir müssen jetzt das Spiel unseres Lebens machen."

"Lionesses" wachsen mit ihren Herausforderungen

Englands große Stärke bei dieser WM ist, in jedem Spiel den Weg zu finden zu gewinnen. Trotz Verletzungen, Roten Karten und Rückständen. Wiegman erwartet "am Sonntag neue Herausforderungen". Die 29-jährige Bright lässt sich von dem bevorstehenden Finale allerdings nicht aus der Ruhe bringen. Auf die Frage, ob sie denn noch gut schlafe, antwortete die Abwehrchefin der "Lionesses" in ihrer typischen Art: "Auf jeden Fall. Ich habe ein großes Bett, in dem ich es schön und gemütlich habe."

Einen großen Anteil daran hat - das betonen auch die Spielerinnen immer wieder - Trainerin Wiegman. "Die Mentalität dieser Gruppe ist etwas, das ich noch nie gesehen habe", sagte Bright stellvertretend. "Das kommt durch Sarina und den Glauben, den sie uns verleiht."

Während Vilda noch auf den ersten großen Titel in seiner Karriere wartet, hat Wiegman eine beeindruckende Erfolgsbilanz vorzuweisen. Mit den Niederlanden (2017) und England (2022) gewann sie zwei Europameisterschaften. Mit ihrem Heimatland stand sie zudem schon 2019 (0:2 gegen die USA) im WM-Finale. "Das Erste, das mir beim Gedanken an Sarina in den Kopf kommt, wenn ich an sie denke, ist, dass sie eine Gewinnerin ist", sagte Russo. "Sie führt uns mit richtiger Klasse."

Es ist also das vierte Endspiel in Serie für Wiegman. Und die 53-Jährige könnte ihre beeindruckende Karriere krönen. Wer auch immer gewinnt, zieht mit Deutschland gleich, das bisher als einziges Land mindestens einen WM-Titel bei Männern und Frauen gewonnen hat.

Fakten zum Finale

- Spiele gegeneinander: 16 (3 Siege Spanien, 7 Siege England, 6 Remis)

- FIFA-Weltrangliste: Spanien Platz sechs / England Platz 4

- Letztes Duell: England gewann im EM-Viertelfinale daheim mit 2:1 nach Verlängerung

- Fun Fact: Englands Sarina Wiegman wäre im Falle des Sieges die älteste Trainerin, die je einen WM-Titel gewonnen hat. Die Niederländerin würde mit 53 Jahren und 298 Tagen, 2011-Sieger Norio Sasaki (53 Jahre, 54 Tage) aus Japan ablösen.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau FIFA Frauen WM | 19.08.2023 | 10:00 Uhr