Julius-Hirsch-Preis für Makkabi Deutschland Pioniere und Brückenbauer gegen Antisemitismus im Sport
Das Projekt "Zusammen1" gegen Antisemitismus wird vom DFB mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet. Vor dem Hintergrund des Nahost-Krieges wünscht sich Makkabi Deutschland noch mehr Unterstützung für die Initiative.
Dass Makkabi Deutschland mit seinem Sport-Projekt "Zusammen1" den Julius-Hirsch-Preis bekommen würde, war schon vor dem 7. Oktober klar. Die Jury des Deutschen Fußball-Bundes, DFB, tagte bereits kurz vor den brutalen Terrorangriffen der Hamas in Israel. Und doch bekommt die Verleihung für Makkabi nun nicht nur eine besondere Bedeutung, sondern motiviert auch.
"Der 7. Oktober hat eine Sekundär-Traumatisierung in der jüdischen Gemeinschaft ausgelöst. Diesen Tag werden wir nie wieder vergessen können", betont "Zusammen1"-Projektleiter Luis Engelhardt gegenüber der Sportschau: "Doch wir lassen uns nicht von unserem eingeschlagenen Weg abbringen, die Begeisterungs- und Integrationspotenziale des Sports dafür zu nutzen, präventiv gegen Antisemitismus, Rassismus und jede Form der Diskriminierung vorzugehen."
Jüdisches Leben im Training näher bringen
Das Projekt "Zusammen1" gibt es seit vier Jahren. Das vierköpfige, hauptamtliche Team hat allein in den vergangenen zwölf Monaten 110 interaktive Workshops durchgeführt und dabei 3.300 Teilnehmende erreicht. Pädagogen und Trainer von Makkabi gehen dabei in Sportvereine und -verbände, bringen zumeist jungen Sportlerinnen und Sportlern jüdisches Leben näher, oft in Zusammenhang mit einem Fußball-Training.
Da liegt am Ende eines Dribbelparcours dann auch mal ein Memory-Spiel mit Karten zu jüdischen Traditionen. Besucht werden Nachwuchsleistungszentren von Profivereinen, aber auch Breitensport-Vereine, in denen oftmals vor allem Muslime spielen. Bei vielen erlebe man den berühmten Aha-Effekt, so Engelhardt, weil die 250.000 Jüdinnen und Juden in Deutschland zumeist eher unerkannt leben, wüssten zu viele zu wenig über sie.
Diese Aufklärung wirkt auch nach innen: Makkabi hat deutschlandweit über 5.000 Mitglieder. Der Verein hat sich bereits zur Jahrtausendwende geöffnet und bietet mittlerweile überwiegend Sportlerinnen und Sportlern eine Heimat, die nicht jüdischen Glaubens sind. In manchen Makkabi-Vereinen sind das bis zu 80 Prozent der Mitglieder.
Verstehen, Vermitteln, Verändern
Die Projektsäulen sind Verstehen (Forschung), Vermitteln (pädagogische Maßnahmen) und Verändern durch Maßnahmen. Alon Meyer, der Präsident von Makkabi Deutschland, nennt das Projekt "einen Brückenbauer für die Demokratie in Deutschland" mit dem höchsten Gut Toleranz. Andreas Hirsch, Enkel des von den Nazis ermordeten ehemaligen deutschen Nationalspielers Julius Hirsch und Mitglied der DFB-Jury, spricht von "wichtiger Pionierarbeit, die ausdrücklich durch die Preisverleihung gestärkt werden soll".
"Zusammen1" war auch federführend bei der ersten Studie zu jüdischem Sport und Antisemitismus in Deutschland und zeigte bereits vor über zwei Jahren unter anderem auf, dass vier von zehn Makkabi-Sportlern bereits antisemitisch angefeindet wurden, im Fußball sogar 68 Prozent – allein deshalb, weil sie den stilisierten Davidstern auf dem Trikot tragen. Nach den Terrorattacken der Hamas und des anschließenden israelischen Einmarsches in den Gazastreifen befürchtet Projektleiter Luis Engelhardt, dass die Anfeindungen weiter zunehmen werden.
Der Nahost-Konflikt soll nicht in die Fankurven schwappen
"Der 7. Oktober war in jeder Hinsicht eine Zäsur. Die Auswirkungen des Terrors der Hamas sind natürlich auch im Sport längst zu spüren", sagt Engelhardt. Er ist Sportwissenschaftler, Pädagoge und Trainer. "Die Stimmung hierzulande entlädt sich immer häufiger in antisemitischer Gewalt."
Trotz der hohen psychischen Belastung für alle bei Makkabi habe man auch nach den Terrorattacken der Hamas nicht innegehalten und unbeirrt weitere Projekte durchgeführt, sagt Engelhardt. "Gerade in der aktuellen Lage müssen starke Allianzen zwischen Sport und Bildungsarbeit genutzt werden." Man habe so viele Anfragen wie nie zuvor.
Zuletzt habe man deshalb nicht nur bereits länger geplante Workshops bei Vereinen wie den Offenbacher Kickers und dem 1. FSV Mainz 05 durchgeführt, sondern auch aktuell reagiert: mit einem Projekt über die Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS). Die durch den Krieg im Nahen Osten angefachten Auseinandersetzungen auf den Straßen Deutschlands sollen möglichst nicht auch noch in Fankurven schwappen. Man habe dabei "viel Sensibilität" und "fachlich versierte Auseinandersetzungen mit den aktuellen Entwicklungen erlebt", so Engelhardt.
Ein Sport-Präventivprojekt mit politischer Mission
Die Arbeit seines Teams habe sich zudem insofern der aktuellen Lage angepasst, dass man derzeit häufig Krisen-Beratung für die eigenen 37 Makkabi-Ortsvereine in Deutschland durchführe. Man entwickle vor der aktuellen Situation auch neue Bildungsbausteine. Dazu gehört auch der neue Meldebutton für Antisemitismus im Sport. Zudem habe man eine politische Mission: Man werde die "Vermittlungsarbeit und Sensibilisierung in Sportvereinen mit überwiegend muslimisch geprägter Mitgliederstruktur intensivieren", sagt Engelhardt.
Dort scheint Antisemitismus oftmals besonders stark ausgeprägt, wie etwa der Fall von extremem Juden-Hass beim Berliner Verein CFC Hertha 06 vor Jahresfrist zeigte. Engelhardt warnt jedoch auch davor, das Problem alleine auf muslimische Menschen zu reduzieren: "Wir müssen dringend aufpassen, dass marginalisierte Personengruppen in Deutschland nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der Kampf gegen Antisemitismus darf niemals für rassistische Mobilmachung missbraucht werden. Es besteht die realistische Gefahr, dass rechtsextreme Personen und Organisationen massiv von den aktuellen Debatten profitieren. Dieser Entwicklung müssen wir ebenfalls dringend Einhalt gebieten."
Makkabi fordert mehr Unterstützung für sein Vorzeigeprojekt
Luis Engelhardt sagt, die Auswirkung des Nahost-Krieges auf die deutsche Gesellschaft beweise, dass "Zusammen1" noch stärker werden müsse. "Die aktuelle Situation zeigt auf, dass wir mit unserem Zusammen1-Projekt eine Leerstelle besetzt haben und einen großen Bedarf abdecken", sagt er: "Wichtig ist dabei allerdings auch, dass wir entsprechend weiter wachsen können. Denn es ist natürlich nicht möglich, mit unserem kleinen Team bundesweit alle Bedarfe zu bedienen, die an uns herangetragen werden oder auf alle Vorkommnisse zu reagieren, die wir beobachten."
Kurzum: Der Julius-Hirsch-Preis sei eine schöne Geste, aber es bedürfe mehr Unterstützung. So wünscht sich Engelhardt ein Projektteam für "Zusammen1" in jedem Bundesland. Denn: "Ohne Wissen und Substanz im Umgang mit Antisemitismus", so Engelhardt, "werden Sportvereine und -verbände ihren starken Worten keine wirksamen Taten folgen lassen."