Skispringen in Klingenthal

Skispringen Wellinger, Leyhe, Freund – Drei Langzeitverletzte lassen aufhorchen

Stand: 13.12.2021 09:04 Uhr

Die drei Skispringer Andreas Wellinger, Stephan Leyhe und Severin Freund eint das Schicksal: Nach schweren Verletzungen mussten sie sich wieder herankämpfen. Kurz vor der Vierschanzentournee zeigt die Formkurve des Trios nach oben.

Die Klingenthaler Sieglos-Serie geht für die deutschen Skispringer weiter. Nach mittlerweile elf Skisprung-Weltcups seit der Eröffnung der Vogtland Arena im Jahr 2006 warten die deutschen Ski-Adler auf den ersten Einzelsieg. Am vergangenen Wochenende schafften es die DSV-Männer auf der Großschanze im Südwesten Sachsens nicht mal aufs Podest – am Samstag (11.12.2021) fehlten Markus Eisenbichler und Karl Geiger als gemeinsamen Vierten rund zwei Meter, am Sonntag verhagelten schlecht präparierte Ski dem deutschen Team bei Schneeregen Sprünge nach ganz vorn.

Wellinger: "Extrem glücklich"

So bleibt der zweite Platz von Andreas Wellinger aus dem Rang 2013 weiterhin die beste deutsche Weltcup-Einzel-Platzierung in Klingenthal. Der zweimalige Olympiasieger setzte auch in diesmal im Vogtland ein Glanzlicht. Ein ziemlich überraschendes Glanzlicht. Nach langer Leidenszeit flog der 26-Jährige am Samstag auf Rang sechs und damit zu seinem besten Ergebnis seit mehr als drei Jahren. "Dass ich wieder vorn mitspringen kann, macht mich extrem glücklich", freute sich Wellinger nach seiner Top-Platzierung, mit der er zugleich als Sechster aus dem deutschen Weltcup-Team die Norm für die Olympischen Spiele knackte.

Sechs Qualifikanten für fünf Olympia-Tickets

Ob das auch für Wellingers dritte Olympia-Teilnahme reicht, ist noch unklar. Die Leistungsdichte im deutschen Team um Weltcupspitzenreiter Karl Geiger ist zu groß und Bundestrainer Stefan Horngacher will die Entscheidung über die fünf Olympiatickets streng nach sportlichen Kriterien fällen: "Die besten fünf fahren zu den Olympischen Spielen", kündigte der Österreicher an. Nach dem Klingenthal-Wochenende sind Wellingers Olympiachancen allerdings gestiegen.

Wellinger: Lange Leidenszeit

Hinter dem dreifachen WM-Medaillengewinner liegt eine harte Zeit mit vielen Rückschlägen. Nach einer schweren Knieverletzung bei einem Trainingssturz im Sommer 2019 kehrte Wellinger im November 2020 in den Weltcup zurück. Doch bis zum Klingenthal-Wochenende schaffte er es in zwölf Weltcup-Springen nur zweimal überhaupt in die Top 30.

Geiger: "Saugeil"

Nun mischte Welllinger mit Weltcup-Rang sechs von Samstag sowie den Quali-Plätzen fünf und sechs in drei von vier Wertungsspringen in der Weltspitze mit. Und das freut nicht nur den Bayern selbst. "Saugeil, dass er wie eine Rakete abgeht", jubelte etwa Karl Geiger am Samstag. Pius Paschke sagte: "Dass es jetzt aufgeht, ist wirklich cool." Markus Eisenbichler freute sich: "Ich gönne es ihm mega. Er hat hart dafür gefightet. Er hatte am Anfang des Winters Erfolgserlebnisse und dann wieder auf den Sack gekriegt." Und auch der Bundestrainer lobt, wenn auch nüchterner: "Andreas Wellinger kommt immer besser ins Springen. Er wird immer stabiler."

Wellinger: "An einem gewissen Punkt verzweifelt man"

Die Freude der Teamkollegen zeigt die Wertschätzung für Wellinger in der deutschen Mannschaft. Dieser Respekt macht sich nicht nur an den sportlichen Erfolgen, den zwei Olympiasiegen, drei WM-Medaillen und insgesamt 25 Weltcup-Podestplätzen fest. Wellinger ist eine Frohnatur, hat durch seine positive Ausstrahlung großen Anteil am guten Mannschaftsklima, daran, dass das DSV-Team nach außen wie eine eingeschworene Truppe wirkt. Dabei, so gesteht Wellinger, haben Ergebnisse wie Rang 50 in einem Continental-Cup im Januar oder Rang 37 in der Vorwoche in Wisla Spuren hinterlassen: "Zu einem gewissen Punkt verzweifelt man dann doch ein bisschen", erklärte der Bayer nachdenklich. "Es hilft aber nichts, wenn ich mich darüber aufrege. Ich habe immer versucht, aus den Fehlern zu lernen und Wege zu finden, um aus dem Loch rauszukommen."

Wellinger musste Sprung neu lernen

In Klingenthal, davon ist Ex-Skispringer und Sportschau-Experte Sven Hannawald überzeugt, hat Wellinger nun "einen entscheidenden Schritt" gemacht. Der vierfache Olympiamedaillengewinner, so erklärt Hannawald, habe seit seinem Comeback an mehreren Baustellen arbeiten müssen. Zum einen an der Schwierigkeit, nach einer längeren Verletzungspause wieder ins Fliegen zu kommen. Zum anderen an der Entwicklung des Skispringens. "Er hatte immer eine Verdrehung nach dem Absprung drin. In seiner erfolgreichen Zeit hat das nicht viel ausgemacht, weil er durch die Keile im Schuh die Ski trotzdem plan stellen konnte", erklärt Hannawald. Doch die Zeit der extremen Keile ist wegen der Verletzungsgefahr bei der Landung vorbei. Wellinger musste seinen Sprung neu lernen. "Er muss gerade von der Schanze wegkommen. Das dauert, bis das intuitiv wird." Hinzu kommt Wellingers Körpergröße von 1,84 Metern. "Kleine Fehler haben bei größeren Athleten eine größere Wirkung. Sein Sprung muss perfekt funktionieren", so Hannnawald.

Skispringen in Klingenthal

Ruhepol Leyhe – "absolut überrascht"

"Wir sind auf dem richtigen Weg", das sagt Horngacher auch mit Blick auf Stephan Leyhe. Auch der Willinger ist nach seinem Kreuzbandriss im März 2020 auf Comeback-Tour und dabei bereits überraschend stark. Der 29-Jährige flog in dieser Saison bereits dreimal in die Top 15. In Klingenthal zeigte der Team-Weltmeister von 2019 mit den Plätzen fünf und acht in der Quali sowie den Rängen 19 und 21 in den Weltcupspringen punktuell seine Stärken. "Stephan Leyhe hat hier super Sprünge gemacht", sagt Horngacher über den Ruhepol im deutschen Team, den reflektierten und stets selbstkritischen Leyhe.

Skispringen in Klingenthal

Hannawald ist sogar "absolut überrascht, wie schnell Stephan wieder in die Spur kam." Rund ein Jahr nach seinem verhängnisvollen Sturz im allerletzten Springen der Saison 2019/2020 kehrte Leyhe im März dieses Jahres auf die Schanze zurück und hat offenbar weniger Probleme, an die Form aus der Vor-Verletzungs-Zeit anzuknüpfen. "Stephan ist von der Statur kleiner und dadurch weniger windanfällig", analysiert Hannawald und folgert: "Er kann körperlich und vom Sprungstil besser an seine Höchstform anknüpfen."

Severin Freund feiert ersten Sieg seit 2016

Von seiner Höchstform entfernt ist auch weiterhin Severin Freund, der dritte große Name unter den deutschen Langzeitverletzten. Der 22-fache Weltcupsieger und dreifache Weltmeister durfte am Wochenende aber endlich einmal wieder einen Sieg bejubeln. Der 33-Jährige gewann am Samstag (11.12.2021) das Continental-Cup-Springen im norwegischen Vikersund. Für Freund war es der erste Sieg in einem Einzelspringen seit seinem Weltcupsieg 2016 in Ruka. Seit 2012 musste Freund immer wieder wegen Rücken- und Knieproblemen und mehreren Operationen lange Verletzungspausen einlegen. Nach einem Kreuzbandriss 2017 konnte der Gesamt-Weltcupsieger von 2014/2015 nicht wieder an seine Top-Leistungen anknüpfen.

Hoffen auf die Tournee

Bei der Vierschanzentournee darf Freund nun auf seinen ersten Saisoneinsatz auf der ganz großen Skisprung-Bühne hoffen. Auch Leyhe und Wellinger fiebern dem ersten von drei Saisonhöhepunkten entgegen. "Ich habe noch so viel vor", verrät Wellinger grinsend: "Ich freue mich auf alles, was ich mitmachen darf, und hoffe, dass ich mit einem Lächeln im Auslauf stehen darf." Aus Klingenthal kann er jedenfalls schon mal mit einem Lächeln abreisen.