Skispringen | Vierschanzentournee Markus Neitzel - die Stimme von Tournee-Überflieger Kobayashi

Stand: 04.01.2022 21:15 Uhr

Der Japaner Ryoyu Kobayashi ist bei den Journalisten einer der gefragtesten Skispringer. Interviews gibt der Tournee-Führende aber nur mit Dolmetscher Markus Neitzel an seiner Seite – einem Pfarrer.

Von Vanessa Sieck (Innsbruck)

Nach jedem Tournee-Springen laufen Ryoyu Kobayashi und Markus Neitzel gemeinsam durch die Mixed-Zone. Hier stehen Journalisten aus aller Welt und warten auf ein Interview mit dem Skispringer aus Japan. Der 25-Jährige spricht zwar ein bisschen englisch, gibt Interviews aber nur in seiner Muttersprache. "Ich bin dankbar, dass Markus da ist und dass er für mich übersetzt", erzählt Ryoyu Kobayashi im Sportschau-Interview. Es ist ein besonderes Vertrauensverhältnis, dass er und sein Dolmetscher haben. "Schließlich bin ich auch bei der Dopingkontrolle und bei der Medaillenübergabe dabei", erklärt Markus Neitzel.

Für den 62-Jährigen ist japanisch wie eine zweite Muttersprache. 13 Jahre lang arbeitete der Pfarrer in Sapporo und Hokkaido im Norden Japans. "Die Evangelische Kirche hatte mich eingeladen dort Gemeinden zu gründen, wo noch keine sind", erzählt Markus Neitzel. Japanisch lernten er und seine Frau erst vor Ort im Einzelunterricht.

"Ich denke zum Verständigen ist es einfach, aber wenn man in die Feinheiten geht, ist es schwierig", erklärt er: "Für das Wort 'ich' zum Beispiel gibt es sieben verschiedene Ausdrücke. Je nachdem, mit wem ich spreche, benutze ich ein anderes Wort." Das hänge davon ab, ob man mit einer Frau, einem Mann, einem älteren Menschen oder einem Kind spreche.

Als Markus Neitzel im Jahr 2000 mit seiner Frau und inzwischen drei Kindern nach Deutschland zurückkehrte, nahm er einen Nebenjob am Frankfurter Flughafen an. Für eine japanische Fluggesellschaft arbeitete er am Check-in-Schalter und sammelte so erste Erfahrungen mit den japanischen Skispringern: "Ich habe damals unter anderem Noriaki Kasai und auch Hideharu Miyahira, der mittlerweile der japanische Trainer ist, von Frankfurt nach Tokio eingecheckt."

Vom Zuschauer zum Dolmetscher in Hinterzarten

Markus Neitzel war damals schon Skisprung-Fan. Er ist aber auch leidenschaftlicher Tischtennis-Spieler und meldete sich deswegen 2006 als freiwilliger Helfer für die Weltmeisterschaften in Bremen. "Man hatte mich als Fahrer eingeteilt, aber plötzlich hieß es: Wir brauchen einen Übersetzer für Japanisch, die können kein Englisch", erinnert er sich. Also schwenkte Markus Neitzel um und war seitdem bei vielen großen Tischtennis-Turnieren als Übersetzer dabei.

Der erste Dolmetscher-Einsatz bei den Skispringern ergab sich ebenfalls ganz spontan, bei einem Besuch seiner Eltern im Schwarzwald. Beim Sommerskispringen in Hinterzarten gewannen die Japaner rund um Noriaki Kasai und Sara Takanashi den Mixed-Wettbewerb. Interviews mit den glücklichen Gewinnern konnte aber niemand machen – wegen der Sprachbarriere.

Markus Neitzel bekam das mit und meldete sich: "Ich bin als Zuschauer hingegangen und ich weiß noch, ich hatte da mein Adler-T-Shirt und kurze Hosen an. Und dann durfte ich vorne bei der Siegerehrung dabei sein, das war schon interessant."

Erster Tournee-Einsatz bei Kobayashis Grand-Slam-Erfolg

Seine erste Vierschanzentournee als Übersetzer für das japanische Team erlebte Markus Neitzel in der Saison 2018/2019. Auch damals dominierte Ryoyu Kobayashi die Skisprung-Szene, gewann alle vier Tournee-Springen und krönte sich überlegen zum Gesamtsieger.

Das entscheidende Springen in Bischofshofen konnte Markus Neitzel allerdings nicht vor Ort miterleben, weil er in Frankfurt einen Gottesdienst hatte. "Die Arbeit als Pfarrer geht vor", erzählt er und zuckt dabei lächelnd mit den Schultern.

Neitzel fiebert mit Ryoyu Kobayashi mit

Bei dieser Vierschanzentournee ist Markus Neitzel bis zum Schluss dabei und fiebert bei jedem Springen mit. "Wenn Ryoyu gewinnt, dann freue ich mich einfach – auch mit der Mannschaft. Das ist schon was Besonderes", erzählt er, gibt aber zu: "Auf der anderen Seite bin ich auch Deutscher und freue mich, wenn die gewinnen. Es sind zwei Herzen, die in mir schlagen."

Bis zum Tournee-Finale in Bischofshofen warten noch einige Interviews auf Ryoyu Kobayashi und seinen Dolmetscher Markus Neitzel. Auch wenn den meisten Journalisten die Antworten des Japaners zu kurz sind und er etwas wortkarg erscheint, sieht Markus Neitzel eine Entwicklung: "Er hat gelernt, mit Medien umzugehen. Ich merke einfach, die Antworten, die er gibt, sind anders, als sie vor drei oder vier Jahren waren."