Ski Alpin | Kitzbühel Legendäre Streif in Kitzbühel - das Risiko fährt mit

Stand: 20.01.2022 16:49 Uhr

Seit Jahrzehnten zählt die Streif zu den gefährlichsten Weltcup-Pisten. Immer wieder verunglückten Athleten schwer, zuletzt unter anderem der Schweizer Urs Kryenbühl. Eine veränderte Streckenführung soll das Sturz-Risiko minimieren. Doch Zweifel bleiben.

Von Thomas Purschke

Ohne Zweifel sind es die besten Skifahrer der Welt, die sich auf die rund 3.300 Meter lange, berüchtigte und künstlich vereiste Abfahrtspiste "Streif" in Kitzbühel begeben. Es besteht auch kein Zweifel darin, dass dieser Extremsport immer gefährlich bleiben wird. Der Trainings-Sturz des DSV-Speedfahrers Josef Ferstl am Mittwoch (19.01.2022) machte dies erst wieder deutlich.

Obwohl es auf der Streif auch im Zielsprung-Bereich in den vergangenen Jahren immer wieder zu schwersten Stürzen kam (Scott Macartney 2008, Daniel Albrecht 2009), hatten die Kitzbüheler Organisatoren im vergangenen Jahr eine Absprungrampe aus Schnee präpariert, die extrem weite Sprünge bis zu 80 Meter möglich machte. Mehrere Athleten kritisierten dies 2021 nach ihren Trainingsfahrten und wiesen auf die erheblichen Gefahren hin. So auch der spätere Schweizer Streif-Doppelsieger Beat Feuz und Ferstl, der 2019 in Kitzbühel den Super-G gewann. Doch trotz der Kritik der erfahrenen Athleten wurde die Absprungrampe von den Organisatoren zunächst nur minimal entschärft.

Dramatischer Unfall von Urs Kryenbühl

Schmerzlich zu spüren bekam dies Kryenbühl. Der damals 27-jährige Schweizer raste im Rennen mit kurz vor dem Zielsprung gemessenen 146,7 km/h über die Schneerampe, geriet im Flug bei hohem Luftstand mit dem Oberkörper zu weit in Vorlage, die Spitzen seiner Skier wurden durch den Fahrtwind zusätzlich nach unten gedrückt.

Er krachte mit dem Helm zuerst auf die harte Schneepiste, überschlug sich mehrfach und verlor dabei den ersten Ski. Wenige Meter vor der Ziellinie wurde Kryenbühl durch die enormen Kräfte auch noch der zweite Ski vom Fuß gerissen. Er rutschte reaktionslos durchs Ziel, löste die Zeitnahme aus und blieb nach einigen Metern liegen. Mit einem Rückstand von 3,40 Sekunden auf den Sieger Feuz wurde Kryenbühl im Endklassement auf Rang 25 gelistet – von insgesamt 28 ins Ziel gekommenen Athleten.

Der herbeigeeilte Notarzt traf Kryenbühl bei Bewusstsein an. Nach der Erstversorgung wurde der Athlet mit dem Hubschrauber ins Klinikum geflogen. Aufgrund der zunehmend schlechteren Pistenbedinungen und der gefährlichen Windböen wurde das Rennen nach 30 Startern abgebrochen. Die medizinische Diagnose lautete: Kryenbühl zog sich einen Bruch im rechten Schlüsselbein, eine schwere Gehirnerschütterung sowie Kreuz- und Innenbandriss im rechten Knie zu.

Reaktion der FIS

Auch wenn sich die Sicherheitsmaßnahmen für die Athletinnen und Athleten im alpinen Skirennsport vor allem nach dem Tod von Gernot Reinstadler in Wengen 1991 sowie von Ulrike Maier 1994 in Garmisch-Partenkirchen stark verbessert haben – immer erst reagierte der Weltskiverband FIS nach diesen schlimmen Unfällen. Zum Beispiel verpflichtete die FIS die Ausrichter von Weltcuprennen zu umfangreichen Schutzmaßnahmen wie Mehrfach-Kunststoff-Fangzäune und aufblasbare große Luftkissen an heiklen Punkten der Rennpisten.

Streckenänderung für mehr Sicherheit

In den vergangenen Monaten haben die Kitzbüheler Organisatoren gemeinsam mit der FIS auf die Geschehnisse von 2021 reagiert und auf der Streif eine Streckenänderung eingebaut, die die Fahrtgeschwindigkeit vor dem Zielschuss minimieren soll. Nach dem "Hausberg" in der Einfahrt in die steile, seitlich abfallende "Traverse" müssen die Athleten nun einen größeren Radius und damit einen längeren Weg fahren, um Tempo zu verlieren. Für die neue Linienführung wurde zudem ein Erdhügel in der Kompression nach dem Hausbergkanten-Sprung beseitigt, wie Pistenchef Herbert Hauser erklärte: "Die Kursänderung soll bewirken, dass sich die Geschwindigkeiten, mit denen die Abfahrer zum Zielsprung kommen, reduzieren, um diesen letzten Sprung ohne Probleme stehen zu können." Auf Nachfrage bestätigt dies auch der FIS-Medienreferent Tim Cetinich.

Diskussion um Zielsprung

Der Präsident des Kitzbüheler Organisationskomitees Michael Huber sagte zur Diskussion um den Zielsprung, dass eine alleinige Abflachung dieses Sprungs laut Berechnungen keinen gewünschten Effekt erzielen würde. Dann würden die Athleten sogar mit 160 km/h ins Ziel rauschen, so Huber.

Der zweifache Weltmeister sowie aktuelle Lauberhorn-Sieger Vincent Kriechmayr aus Österreich sagte dazu: "Wenn durch die Speedreduzierung weniger katastrophale Stürze im Zielsprung passieren, dann haben die Verantwortlichen eine richtige Entscheidung getroffen." Indes zeigte sich der dreifache Streif-Abfahrtsieger Dominik Paris aus Italien nach seiner Trainingsfahrt skeptisch: "Wir sind im Zielsprungbereich wieder bei 143 km/h, also nur minimal weniger als im Vorjahr. Ich glaube, das Vorhaben ist nicht ganz gelungen."

Organisatoren loben sich für Rekord-Preisgeld

Die Kitzbüheler Organisatoren rühmen sich indes damit, dass mit einer Million Euro an Preisgeldern eine Rekordsumme für die drei Rennen (zwei Abfahrten und ein Slalom) ausgeschüttet werden. Das Österreichische Fernsehen will erstmals eine von der FIS genehmigte Kamera-Flugdrohne einsetzen, welche die Athleten ab dem Lerchenschuss über die Seidlalm und den Hausberg bis hin zur Traverse mit bis zu über 100 km/h verfolgen soll. Das Spektakel bleibt bestehen. Auch der von seinen Verletzungen genesene Abfahrer Kryenbühl ist bei den aktuellen Rennen wieder dabei. Den hohen Preis und das Risiko, möglicherweise die eigene Gesundheit zu verlieren, tragen auf der Streif weiterhin die Athleten allein.