Ski Alpin | Gesamtweltcup Mikaela Shiffrin: Achterbahnfahrt mit Happy End

Stand: 18.03.2022 13:08 Uhr

Mit einer herausragenden Leistung im Weltcupfinale hat Mikaela Shiffrin zum vierten Mal in ihrer Karriere die große Kristallkugel gewonnen. Für die US-Amerikanerin ist es der versöhnliche Abschluss einer Saison mit herben Rückschlägen.

Von Raphael Weiss

Wieder einmal saß Mikaela Shiffrin im Schnee. Doch anders als bei Olympia, als das Bild des weinenden Ski-Superstars um die Welt gegangen war, zeichnete sich auf Shiffrins Gesicht ein Lächeln ab. Sie hatte sich den zweiten Platz im Super-G von Courchevel geholt und damit den Gesamtweltcup gewonnen. Zum vierten Mal in ihrer Karriere.

Etwas später, als ihr Partner und Skirennfahrer Aleksander Aamodt Kilde sein Rennen beendet hatte, marschierte sie freudestrahlend durch die Menschenmenge auf ihn zu, umarmte ihn, gab ihm einen Kuss. Shiffrin wirkte an diesem sonnigen Tag in Courchevel glücklich und unbeschwert.

Shiffrin: "Alles andere fühlte sich ziemlich hoffnungslos an"

Doch schon kurze Zeit später gab Shiffrin im ZDF einen etwas tieferen Einblick in ihr Innenleben: "Das Einzige, was ich wirklich hinbekommen habe, war das Skifahren. Alles andere fühlte sich ziemlich hoffnungslos an", sagte sie über die vergangenen Wochen und fügte an: Der Erfolg sei "sehr speziell. In dieser Saison gab es viele Momente, die großartig waren, wunderbar. Aber es gab auch diese Momente, wo ich so weit unten war wie noch nie in meiner Karriere. Ich habe so viel Gewicht verspürt und bin zusammengebrochen. Deswegen nehme ich das heute so hin und lächle."

Rekord-Fahrerin mit 27 Jahren

Diese Tiefpunkte waren zum Saisonbeginn nicht absehbar. Shiffrin startete grandios, gewann das erste Rennen der Saison, den Riesenslalom in Sölden, wurde im Anschluss im Slalom zweimal Zweite hinter Vlhová, bevor sie auch die Slowakin in ihrer Lieblingsdisziplin schlagen konnte.

Es war Shiffrins 46. Weltcupsieg im Slalom. Durch diesen Sieg egalisierte sie im Alter von 27 Jahren den Rekord von Ingemar Stenmark für die meisten Siege in einer Disziplin. Einen Rekord, den sie kurz später auch brechen sollte.

Kopf-an-Kopf-Rennen mit Vlhová

Mit Vlhová entbrannte ein enger Zweikampf um die große Kristallkugel. Zwei Kontrahentinnen, die lange Zeit auf Augenhöhe miteinander wetteiferten. Ein Duell, das, so dachten alle, seinen Höhepunkt bei den Olympischen Spielen finden sollte.

Punktgleich traten beide Athletinnen als Weltcup-Führende die Fahrt nach Peking an. Die Erwartungen an Shiffrin waren hoch. Sehr hoch. Medaillen im Slalom, Riesenslalom und in der Kombination waren der Anspruch an die Ausnahme-Fahrerin.

Shiffrin nach Slalom-Aus: "Ich fühle mich grauenvoll"

Sechs Schwünge waren die Olympischen Spiele für 27-Jährige gerade einmal alt, als sie den Halt auf ihren Skiern verlor und ausrutschte. Das Aus im Riesenslalom war ein Schock. Zwei Tage später wollte Shiffrin in ihrer Paradedisziplin Slalom noch einmal angreifen.

Voller Elan startete sie in den Kurs. Doch diesmal war schon nach dem vierten Schwung Schluss. Wenige Momente später sah ein Millionenpublikum live den schwierigsten Moment in der Karriere des Ski-Superstars. Zusammengekauert saß sie weinend am Streckenrand, die Skier ausgezogen, den Kopf auf die Knie gestützt. "Ich fühle mich grauenvoll", würde sie später im Sportschau-Interview sagen, noch immer mit den Tränen ringend.

Kilde-Untersützung und Rücktrittsgedanken

Kilde sprang ihr damals zur Seite, postete auf Instagram das Bild seiner enttäuschten Freundin neben der Strecke und ermahnte die Fans: "Die meisten von euch sehen das und denken: 'Die hat sie nicht mehr alle', 'Sie kann mit Druck nicht umgehen.' Das frustriert mich. Alles was ich sehe, ist eine Top-Athletin, die das tut, was eine Top-Athletin macht." Kilde schloss mit den Worten: "Wir sind auch nur Menschen. Ich liebe dich, Kaela."

Doch der Albtraum Olympia war für Shiffrin noch nicht vorbei. Nachdem sie in Super-G und Abfahrt ordentliche Leistungen ablieferte, stieg die Hoffnung auf einen versöhnlichen Abschluss in der Kombination. Doch Shiffrin schied zum dritten Mal bei Olympia aus. "Ich fühle mich wie eine Witzfigur. Wahrscheinlich wäre es das Beste, wenn ich einfach meine Karriere beenden würde", sagte Shiffrin in Peking.

Rücktrittsgedanken nach dem Tod ihres Vaters

Es war nicht das erste Mal, dass Shiffrin Gedanken über ein Karriereende in sich trug. Anfang 2020, als ihr Vater, über den sie sagte: "Er ist der Felsen in meinem Leben", bei einem Haushaltsunfall starb, dachte die begnadete Skifahrerin ans Aufhören. Shiffrin war zum Zeitpunkt seines Todes auf dem Weg, ihren vierten Gesamtweltcup zu gewinnen. Doch Shiffrin brach die Saison ab.

Starkes Comeback nach Olympia

Dass die US-Amerikanerin nun zwei Jahre später noch einmal die Kraft finden würde, das Kopf-an-Kopf-Rennen mit Vlhová zu gewinnen, glaubten nur wenige. Doch Shiffrin meldete sich im Weltcup furios zurück. Platz zwei beim Super-G in Lenzerheide, Platz vier im Riesenslalom - 117 Punkte der Vorsprung vor Vlhová.

Die Slalom-Spezialistin dominiert die Speedrennen

Die Slowakin konnte sich noch einmal herankämpfen. Doch beim Weltcupfinale in Courchevel zeigte die 27-jährige US-Amerikanerin, warum sie zu den besten Skifahrerinnen aller Zeiten gehört. Die Slalom-Spezialisten dominierte die beiden Speedwettbewerbe in Courchevel; wurde Erste in der Abfahrt und Zweite im Super-G. Vlhová kam bei beiden Rennen nicht in die Punkte.

So konnte Shiffrin schon vor den beiden Technik-Disziplinen am Wochenende die vierte große Kristallkugel gewinnen, die ihr 2020 verwehrt blieb und auch beweisen, dass sie durchaus mit großer Erwartungshaltung umgehen kann. Auch auch zum Weltcup-Finale im französischen Courchevel sei sie "mit Druck" gekommen. "Jeder wusste, dass ich diese große Kugel gewinnen will", sagte sie im Anschluss an den Super-G am Donnerstag.

Shiffrin zieht mit Vonn gleich

Mit diesem vierten Gesamtweltcupsieg zog Shiffrin mit US-Skistar Lindsay Vonn gleich. Nur eine Frau hat das öfter geschafft: Annemarie Moser-Pröll gewann in den 70er-Jahren den Gesamtweltcup sechs Mal. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Shiffrin auch diesen Rekord knacken würde