Eiskunstlauf | Weltmeisterschaften Sportschau-Experte Daniel Weiss über eine völlig andere Eiskunstlauf-WM

Stand: 22.03.2022 09:27 Uhr

Vor der Eiskunstlauf-WM in Montpellier äußert sich Sportschau-Kommentator Daniel Weiss zu dem Ausschluss russischer und belarusischer Athleten und nimmt Stellung zur aktuellen Altersdebatte im Eiskunstlauf.

Vom 23. bis zum 27. März (im Livestream bei sportschau.de und in One) finden in Montpellier die 111. Weltmeisterschaften im Eiskunstlauf statt. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs werden es "komplett andere Weltmeisterschaften", meint Sportschau-Experte Daniel Weiss - nicht nur weil die Top-Favoriten aus Russland fehlen. Zudem äußert sich der ehemalige Eiskunstläufer zum Verhältnis zwischen russischen Athletinnen und ihren Trainern sowie einer möglichen Anhebung des Mindestalters im Eiskunstlauf.

Daniel Weiss über den Ausschluss russischer, belarusischer und chinesischer Athleten

"Ich war persönlich sehr erleichtert, als ich vom internationalen Verband erfahren habe, dass die russischen und weißrussischen Sportler nicht teilnehmen dürfen. Ich hätte mich schwergetan, die Sportler bei Medaillen zum Sieg zu jubeln. Sie können natürlich nichts für den Krieg in der Ukraine, repräsentieren aber das Land.

Auch die Chinesen werden fehlen, da sie nach den Olympischen Spielen für drei Wochen vom Staat in Quarantäne gesperrt wurden. So konnten sie sich nicht vorbereiten. Damit werden auch die Olympiasieger im Paarlauf fehlen. Es wird also eine komplett andere Weltmeisterschaft werden."

Sportschau-Wintersport-Podcast, 17.03.2022 11:45 Uhr

... über den Krieg in der Ukraine

"Natürlich fokussieren sich alle Sportler auf den Sport und versuchen, sich nicht ablenken zu lassen. Aber es ist im Hinterkopf, und es wird nicht allen Sportlern gelingen, das auszublenden. Im Teilnehmerfeld sind noch 19 russische Athleten dabei, die für andere Nationen laufen – für Georgien, Aserbaidschan, auch für Deutschland.

Besonders eklatant: Ekaterina Kuznetsowa, gebürtige Moskauerin, läuft mit dem Ukrainer Alexander Kolosowsky im Paarlauf für Aserbaidschan. Das alleine ist schon Wahnsinn und sehr facettenreich."

... über die Haltung der Athleten zum Ukraine-Krieg

"Mündige Athleten dürfen sich nicht dahinter verstecken, dass sie sich nur auf den Sport konzentrieren wollen. Gerade die jungen Sportler müssen sich eine Meinung bilden. Das ist aber natürlich auch immer länderabhängig. Leider sind die Sportler oftmals nicht auf diese Situationen vorbereitet, sondern nur auf Dreifach- und Vierfachsprünge, Kurzprogramm und Kür."

... über die Dominanz der russischen Athletinnen

"Das sind sehr junge Sportlerinnen, die schon früh an Drei- und Vierfachsprünge herangeführt werden und in einem sehr frühen Stadium schon irrsinnig akrobatische Sprünge machen können. Bei den Männern ist es von der Entwicklung anders. Da haben viele Länder schon aufgeholt. Gerade die Frauen in Russland bekommen schon früh eine eklatante sprungtechnische Ausbildung.

Diese irrsinigen Drehgeschwindigkeiten können sie nur mit einem dünnen, kleinen Körper erreichen, den sie mit 14 oder 15 haben. Deswegen besteht schon seit Jahren keine Wettbewerbsgleichheit und es gab nach Olympia den Appell, das Alter der Sportlerinnen anzuheben. Die jungen Menschen brauchen Zeit, damit sich der Körper entwickelt. So würde es sich international auch wieder ausgleichen."

... über das Verhältnis zwischen russischen Athletinnen und Trainern

"Da sind wir natürlich bei Kamila Walijewa und ihrer Trainerin Eteri Tutberidse. Ich beobachte sie schon seit vielen Jahren und habe mich schon früher gefragt: 'Warum lächelt sie nicht mal und warum nimmt sie ihre Sportlerinnen nach überragenden Leistungen nicht in den Arm.' Ich muss doch etwas Empathie haben und nicht nur die strenge Trainerin an der Bande sein. Dieses Verhältnis finde ich schwierig.

Wie groß wäre es denn gewesen, wenn sie dieses kleine Mädchen (Walijewa, Anm. d. Red.) in den Arm genommen und ihr die Tränen nach dem weltweiten Druck, der auf ihr lastete, gegönnt hätte. Das hat mich wahnsinnig tief getroffen. Junge Sportlerinnen werden unter Druck gesetzt. Walijewa hat schon früh gesagt, dass sie unter Tutberidse trainieren will, sonst wäre sie vielleicht keine Eiskunstläuferin geworden. Da entsteht aber schnell eine Abhängigheit. Der nötige Respekt muss da sein, aber auch die Menschlichkeit."

... über eine mögliche Anhebung des Alters im Eiskunstlauf

"Der Eiskunstlaufsport kann es nicht leisten, da blind dran vorbeizugehen und keine Regeln zu ändern. Die Weltöffentlichkeit war während der Olympischen Spiele dabei. Ich hoffe, dass in dieser Richtung etwas passieren wird. Aber man muss sich auch bewusst sein, dass damit starke sportliche Leistungen über mehrere Jahre ausgeschlossen werden.

Ich persönlich möchte aber lieber eine gesund herangeführte Sportlerin in einem Weltcup sehen, als zu hören, dass jemand mit dubiosen Herzmitteln zu irgendwelchen Leistungen geführt wird."