Biathlon-Experte Arnd Peiffer im Interview Peiffer: "Bei den Männern haben uns Norweger und Franzosen abgehängt"

Stand: 03.12.2021 21:00 Uhr

Arnd Peiffer hat die Seiten gewechselt: Vom Biathleten zum Sportschau-Experten. Im Interview spricht der Olympiasieger über die Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität bei den deutschen Männern und den Höhepunkt Olympia.

Arnd Peiffer über seine Rolle als Sportschau-Experte

Sportschau: Arnd Peiffer, hinter Ihnen liegen die ersten Live-Sendungen als Sportschau-Experte. Sie standen als Aktiver der Berichterstattung hier und da auch mal kritisch gegenüber. Erhöht das nun den Druck für Sie?

Peiffer: Auch aus dem Grund hatte ich tatsächlich das Gefühl: "Jetzt muss ich den Job auch machen." Ich kann ja nicht zuerst meckern, und wenn ich dann gefragt werde, ob ich es selber probieren möchte sagen: "Nee, ich traue mir das nicht zu." Das war schon auch ein Mitgrund zuzusagen. Der Schritt war zum Zeitpunkt meines Aufhörens ja nicht geplant, und ich habe da auch überhaupt nicht drüber nachgedacht. Aufgrund der Elternzeit von Magdalena Neuner kam es dann zu ersten Gesprächen.

Sportschau: Was wollen Sie denn besser machen als Expertinnen und Experten vor Ihnen?

Peiffer: Ich würde das gar nicht so werten wollen. Ich versuche natürlich, meinen eigenen Weg zu finden. Ich habe ein paar Dinge, auf die ich besonders schaue. Die Technik beim Schießen und Laufen beispielsweise, die interessiert mich sehr. Und das möchte ich den Zuschauerinnen und Zuschauern mithilfe von Videosequenzen näherbringen. 

Arnd Peiffer über die Chancen des deutschen Männer-Teams

Sportschau: Den deutschen Männern wird von vielen Seiten eine "düstere" Saison prognostiziert - wie sehen Sie das?

Peiffer: Ich glaube nicht, dass es ganz so düster wird. Wir haben zum Beispiel bei Philipp Nawrath bereits gesehen, dass er läuferisch sehr gut drauf ist. Im vorletzten Sprint war er ja schon Sechster, so eine Leistung kann an einem anderen Tag auch durchaus für das Podest reichen.

Bei Benedikt Doll gehe ich davon aus, dass er sich läuferisch noch steigern wird. Bei ihm stellt sich natürlich die Frage: Kommt er am Schießstand durch? Und Johannes Kühn ist wieder dabei, der war zuvor im IBU-Cup unterwegs. Der läuft in seinem ersten Weltcup-Rennen direkt unter die Top-15 - das ist doch ein erfreuliches Ergebnis. 

Sportschau: Halten Sie es für denkbar, dass es eine Saison ohne deutschen Männer-Sieg in einer Einzel-Disziplin werden könnte?

Peiffer: Das kann durchaus mal passieren, und damit muss man sicherlich auch irgendwo rechnen. Aber das Entscheidende ist ja, dass unsere Männer auch mal auf das Podium oder in die Top-Sechs laufen und vorne dabei sind. Und eine Staffel können sie immer gewinnen. 

Sportschau: Es scheint im Moment so, als würden Erwartungshaltung und Realität vor allen Dingen bei den deutschen Männern auseinanderklaffen. Sich mit beispielsweise einem zwölften Platz zufriedenzugeben, passt irgendwie nicht zur erfolgsverwöhnten Biathlon-Nation Deutschland …

Peiffer: Ich glaube, man muss da die Zufriedenheit unabhängig von der Platzierung betrachten. Als Sportler versucht man natürlich, das Optimum an einem Tag herauszuholen. Es gibt aber Rennen, da hat man annähernd das Optimum erreicht und ist zufrieden, obwohl man "nur" Zehnter geworden ist. Es ist dann natürlich schwer, genau diese Zufriedenheit nach außen zu verkaufen - weil Ergebnis und Gefühl nicht übereinstimmen.

Die Zufriedenheit rührt momentan auch daher, dass die Sportler die Rennen am Anfang der Saison als Prozess sehen. Entscheidend sind die Rennen zum Höhepunkt. Wenn man dort eine Top-Leistung abliefert, auf das Podium läuft und eine Medaille gewinnt, dann redet niemand mehr über die Rennen jetzt in Östersund.

Sportschau: Es wirkt trotzdem mitunter so, als würden sich die deutschen Männer intern aber auch in der Kommunikation nach außen gar nicht mehr zur Weltspitze zählen …

Peiffer: Diese Innensicht, die hängt natürlich mit den Ergebnissen zusammen. Franzosen und Norweger haben uns schon ein Stück abgehängt, die Schweden sind gerade dabei. Es ist sowieso auch eine schwierige Phase im Moment. Die deutsche Mannschaft ist im Umbruch, und da ist natürlich das Selbstbewusstsein im Vergleich zu den anderen Nationen nicht so groß. Aber das kann sich auch ganz schnell wieder ändern, wenn die Erfolge da sind. 

Arnd Peiffer über die deutschen Olympia-Hoffnungen

Sportschau: Bernd Eisenbichler, sportlicher Leiter der deutschen Biathleten, hat kürzlich in einem Interview gesagt, er würde vier bis fünf Olympiamedaillen in Peking anpeilen. Halten Sie das für realistisch?

Peiffer: Es ist ein ambitioniertes Ziel, aber es ist nicht aussichtslos. Die deutschen Frauen sind in der Lage, drei bis vier Medaillen zu gewinnen, da bin ich mir ganz sicher. Und die Männer, wenn es gut läuft, eine in der Staffel. Es kann aber natürlich auch mal wieder einer in einem Einzelrennen durchkommen.

Dann haben wir vielleicht auf einmal sechs Medaillen, und die Ziele wurden übertroffen. Aber natürlich sind auch nur drei Medaillen möglich. Ich finde aber das Ziel nicht schlecht formuliert, weil es zeigt, dass der Anspruch bei uns da ist.

Sportschau: Woran hapert es denn bei den Deutschen momentan am meisten?

Peiffer: In den vergangenen beiden Saisons bei den Männern an der Schießquote. Das war sowohl bei der WM in Antholz 2020 als auch bei der auf der Pokljuka 2021 das große Manko. Die Laufleistung war nämlich da. Und das ist auch die große Stärke des deutschen Teams. Schießen kann man trainieren und auch im Alter über 25 noch verbessern und stabilisieren. Wenn die Laufbasis nicht da ist, wird es schwierig. 

Arnd Peiffer über die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele

Sportschau: Hier in Schweden steigt der Auftakt in die Olympiasaison. Wie wichtig ist die Belastungssteuerung, um zum Höhepunkt die beste Leistung abrufen zu können?

Peiffer: Es ist wichtig, dass man nicht zu viele intensive Einheiten vor der Saison gemacht hat, weil die Rennen ja ebenfalls intensive Einheiten sind. Da ist immer die Gefahr, dass man auf Top-Niveau einsteigt und zum Höhepunkt, und das sind die Olympischen Spiele, die Laufleistung nicht mehr optimal ist. Das war letztes Jahr bei den Schwedinnen ein Stück weit der Fall.

Die waren zwar immer noch gut unterwegs, aber man hatte das Gefühl, die waren beim ersten Saisonweltcup in Kontiolahti schon am Limit. Und im Verlauf der Saison ist das dann so ein wenig abgefallen. Ich glaube, dass viele den Fokus wirklich auf die Olympischen Spiele legen, um dort die Peak Performance zu erreichen. 

Sportschau: Wie unterschiedlich wird das im deutschen Team gehandhabt? Denise Herrmann hat schon sehr deutlich artikuliert, dass sie den Olympischen Spielen alles unterordnet. Dementsprechend ist ihre Laufleistung jetzt auch noch nicht auf Top-Level.

Peiffer: Bei jedem wird die Belastung sowieso individualisiert gestaltet. Der eine braucht mal ein bisschen mehr Intensität vor einem Rennen, der andere mal ein bisschen weniger. Aber es spielt ja noch etwas anderes eine Rolle: Wenn du bei den Frauen nicht gerade Franziska Preuß oder Denise Herrmann bist, die beide sicher zu den Olympischen Spielen fahren, musst du dich ja erstmal qualifizieren und innerhalb der Mannschaft durchsetzen.

Das heißt, du kannst gar nicht alles auf Olympia setzen, sondern musst auch im Weltcup gut sein. Es hat sich in den vergangenen Jahren häufig gezeigt, dass diejenigen, die zum Höhepunkt die Medaillen gewonnen haben, in aller Regel schon im Weltcup mehrfach auf dem Podest standen. Es gibt nur wenige Ausnahmen, die in der Saison so ein bisschen im Mittelfeld unterwegs waren und dann zum Höhepunkt da waren. Das kommt ganz selten vor. Das heißt, die Weltcups geben schon Rückschlüsse.