Jonas Vingegaard (r.) und Tadej Pogacar im Duell während der sechsten Etappe der Tour de France.
Tourreporter

Tour de France Pogacar und Vingegaard in ihrer eigenen Welt

Stand: 06.07.2023 21:23 Uhr

Tadej Pogacar gewinnt die 6. Etappe der Tour de France in Cautarets-Cambasque, Jonas Vingegaard übernimmt das Gelbe Trikot. Damit ist der Ton für die kommenden zwei Wochen gesetzt. Die beiden fahren in ihrer eigenen Welt.

Von Michael Ostermann, Cauterets-Cambasque

Das Gelbe Trikot war noch unter einer schwarzen Trainingsjacke des Teams verborgen, als Jai Hindley an den Mannschaftsbus seines Teams Bora-hansgrohe gerollt kam. Das Maillot jaune gehörte ihm da aber schon nicht mehr. Nach nur einem Tag musste der Australier es schon wieder an Jonas Vingegaard, den Vorjahressieger der Tour de France, übergeben.

Hindley hätte es ja gerne noch ein bisschen behalten, das Gelbe Trikot. Die Aufmerksamkeit, die ihm das begehrte Kleidungsstück brachte, hatte ihm schon gut gefallen. "Man sticht heraus, und eine Menge Leute kommen, um einem zu gratulieren", berichtete Hindley von seinem Tagestrip in Gelb.

Jumbo-Vismas Angriff aus dem Taktik-Lehrbuch

Doch bei der ersten Bergankunft der Tour in Cautarets-Cambasque, bei dem es zuvor die Pyrenäenpässe Col d’Aspin und Tourmalet zu überqueren galt, erlebte das Rennen "einen Großangriff von Jumbo auf das Gelbe Trikot", wie Hindleys Teamchef Ralph Denk ausdrückte.

Vom Start der 6. Etappe an machte Vingegaards niederländische Equipe Jumbo-Visma klar, dass man die Machtverhältnisse gleich wieder zurechtrücken wollte. Hindley war als Sieger des Giro d’Italia 2022 schließlich nicht irgendein dahergelaufener Gesamtführender, sondern durchaus ernstzunehmen. Also besser gleich für klare Verhältnisse sorgen.

Vingegaards Mannschaft folgte dabei den Vorgaben auf Seite eins des Radsport-Taktikbuches: Man schickt einen Fahrer vom Start weg in die Ausreißergruppe. Am besten Wout van Aert, der die Gruppe mit hohem Tempo am Anstieg des Tourmalets ausdünnt und den keuchenden Rest mit über den Gipfel führt.

Von hinten machen die Kollegen derweil ebenfalls Tempo, um eine Attacke des Kapitäns zu lancieren, der dann in der Abfahrt zu van Aert aufschließt und sich in dessen Windschatten noch in den Schlussanstieg führen lässt. Den Rest muss der Chef, also Vingegaard, dann nur noch selbst vollenden.

Pogacar hält stand und kontert

So weit der Plan, der ja zumindest mit Blick auf das Gelbe Trikot auch aufgegangen war. Aber da ist ja noch Tadej Pogacar, der Toursieger von 2020 und 2021, der am Tag zuvor nicht nur Zeit auf Hindley, sondern auch auf Vingegaard eingebüßt hatte. Auch der Slowene war deshalb Teil des Plans. "Wir hatten ihm gestern Zeit abgenommen, das wollten wir heute auch versuchen", erzählte Vingegaards Teamkollege Sepp Kuss.

Doch diesmal hielt Pogacar dem Druck stand und klammerte sich an Vingegaards Hinterrad, als er am Tourmalet schon kurzzeitig seine Fälle davonschwimmen sah. "Als Jonas schon am Tourmalet attackiert hat, dachte ich schon, ich könnte die Koffer packen und nach Hause fahren", behauptete Pogacar.

Das wird er nun aber schön bleiben lassen, denn 2,7 Kilometer vor dem Ziel - als die beiden Topfavoriten schon längst unter sich waren - konterte der Slowene und fuhr seinem Rivalen seinerseits davon. Mit seinem mittlerweile zehnten Tour-Etappensieg verringerte Pogacar seinen Rückstand auf Vingegaard in der Gesamtwertung von 53 auf nun nur noch 25 Sekunden. "Natürlich hätte ich gerne schon zwei Minuten Vorsprung, aber jetzt bin ich erst mal froh, wieder in Gelb zu sein", sagte der Däne lakonisch.

Pogacar: "Es wird eine große Schlacht"

Damit ist der Ton für die verbleibenden gut zwei Wochen gesetzt. "Die beiden fahren in einer eigenen Liga", stellte Hindleys Teamchef Ralph Denk mit Blick auf Vingegaard und Pogacar fest. Es ist aber eher eine eigene Welt, in dem sich die beiden befinden. "Es wird eine große Schlacht, bis zum Ende", versprach Pogacar dem staunenden Publikum.

Der bemitleidenswerte Rest des Feldes darf sich von nun an erwartet mit dem Kampf um Rang drei die Zeit vertreiben. Der nach nur einem Tag entthronte Jai Hindley hat dabei weiterhin beste Aussichten. Er liegt in der Gesamtwertung jetzt auf Rang drei. Sein Vorsprung auf den Vierten Simon Yates beträgt 1.40 Minuten. Auch dieser Kampf in der anderen Welt bleibt spannend.