Emanuel Buchmann auf der 5. Etappe der Tour de France
Tourreporter

Tour de France Hindleys Werk und Buchmanns Beitrag

Stand: 06.07.2023 08:38 Uhr

Der Australier Jai Hindley trägt bei der Tour de France das Gelbe Trikot. Das hat er auch der Unterstützung von Emanuel Buchmann zu verdanken. Der deutsche Radprofi hat nach drei schwierigen Jahren wieder den Anschluss an die Weltspitze gefunden.

Von Michael Ostermann, Laruns

Das Tagewerk war vollbracht, und die Dinge hatten sich auf eine Art und Weise entfaltet, dass selbst Emanuel Buchmann, den sonst nicht so viel aus der Ruhe bringt, überwältigt schien. Ein ungläubiges Lächeln huschte über sein Gesicht, während ihm eine Art Seufzer des Erstaunens entfuhr. Dann schüttelte er den Kopf. "Verrückt", nannte Buchmann das Geschehen auf der 5. Etappe, der ersten schweren Bergprüfung bei der Tour de France.

Buchmann jetzt Gesamtvierter

Nach dem ersten Tag in den Pyrenäen tragen sie im Team Bora-hansgrohe völlig überraschend das Gelbe Trikot in ihren Reihen. Das Maillot jaune ruht auf den Schultern des Australiers Jai Hindley, der es in Laruns mit seinem Solo-Etappensieg erobert hat. Und Emanuel Buchmann, 30, hatte einen großen Anteil daran, dass dem Team dieser außergewöhnliche Coup gelang.

Bis weit hinauf auf den Col de Marie Blanque, dem sehr steilen letzten Anstieg des Tages, hatte der Ravensburger seinem Kapitän als Helfer zur Seite gestanden. Und als Hindley dann attackierte, war Buchmann weiter sein Tempo gefahren. Auf den letzten Kilometern hatte er sich dann von Vorjahressieger Jonas Vingegaard ins Schlepptau nehmen lassen, während der Däne versuchte, den Rückstand auf Hindley zu minimieren.

Am Ende rollte Buchmann sogar noch zwei Sekunden vor dem völlig ausgepowerten Vingegaard als Vierter ins Ziel. Die gleiche Platzierung hält er jetzt auch in der Gesamtwertung. Sein Rückstand auf den Teamkollegen in Gelb beträgt nur eine Minute und elf Sekunden. Buchmann spiele eine zentrale Rolle, hatte Hindley schon morgens am Start in Pau erklärt: "Er ist selbst Weltklassefahrer und ihn an meiner Seite zu haben, ist unbezahlbar."

Sportschau Tourfunk, 05.07.2023 20:11 Uhr

Drei schwierige Jahre für Buchmann

Buchmann war bei der Tour de France selbst schon Gesamtvierter. 2019 war das und nährte damals die Erwartungen, dass er der nächste Deutsche auf dem Podium der Tour in Paris werden könnte. Doch in den Jahren darauf, waren die Zweifel größer geworden, ob Buchmann das Prädikat "Weltklasse" noch einmal würde erreichen können.

Sein Talent dafür stand außer Frage. Aber Buchmann hat drei schwierige Jahre hinter sich. Stürze, Krankheiten, eine Corona-Infektion, nach der er, wie er selbst sagt, zu früh wieder habe Rennen fahren müssen. Das alles ließ ihn irgendwann selbst zweifeln, ob das alles noch mal besser werde.

Aber Buchmann ist ein eben eher der Typ Stoiker. "Er hat seine Prinzipien und ruht in sich selbst und fängt nicht an, strukturell alles zu verändern", sagt Rolf Aldag, der Sportliche Leiter des Teams: "Er weiß, was ihn gut macht und was nicht und da bleibt er dran."

Diese Hartnäckigkeit scheint sich jetzt auszuzahlen. Buchmann sei wieder in der Verfassung von 2019, sagt Ralph Denk, der Teamchef von Bora-hansgrohe. Aber - das gibt Denk auch zu bedenken - damit werde man heute wahrscheinlich nicht mehr Vierter bei der Tour de France.

Entbehrungen in der Vorbereitung

Das liegt zum einen an den außergewöhnlichen Überfliegern wie Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar. Zum anderen ist die Verwissenschaftlichung des Radsports weiter vorangeschritten - mit Auswirkungen auf die Tour-Vorbereitung: Lange Zeiten im Höhentrainingslager, auf das Gramm genau abgewogene Ernährung und der permanente Druck, die Balance dabei nicht zu verlieren. "Ich habe in den letzten zwei Monaten gelebt wie ein Mönch", sagt Hindley.

"Deine Tour", Folge 5 - Jai Hindley als Hoffnungsträger

Sportschau

Gleiches gilt für Buchmann: In den Wochen vor der Tour, war er kaum zuhause. Zwei Wochen Höhentrainingslager in Tignes, die Dauphiné-Rundfahrt, anschließend wieder in die Höhe und von dort zu den deutschen Meisterschaften, wo er einen beeindruckenden Solosieg feierte. Auch psychisch eine strapaziöse Zeit. "Das zweite Trainingslager war meine Meinung nach zu viel", sagt Buchmann: "Da hätte ich lieber ein Trainingslager alleine gemacht und Zeit mit meiner Freundin verbracht, um nochmal von dem Teamstress runterzukommen."

Die 6. Etappe - eine Fahrt in die Vergangenheit

Nun kommt der Stress der Tour dazu, der mit dem Gelben Trikot sicher nicht weniger wird, weil das Team Bora-hansgrohe damit nun die Verantwortung für das Rennen trägt. Am Donnerstag führt die Strecke direkt hinein in Buchmanns Vergangenheit. Im Jahr 2015 hatte die 11. Etappe der Tour de France einen ganz ähnlichen Verlauf wie die 6. Etappe in diesem Jahr: der Col d'Aspin, der Tourmalet und die Zielankunft in Cautarets.

Damals beendete Buchmann den Tag bei seiner ersten Tour-Teilnahme auf Rang drei wie heute auch im deutschen Meistertrikot. "Ich bin ja damals relativ kurzfristig zur Tour gekommen, das war gar nicht geplant", erinnert sich Buchmann: "Ich bin auch ohne Erwartungen reingegangen und dann auf einer Königsetappe Dritter zu werden, war schon gut." Buchmanns dritter Platz rettete dem Team damals auch die Tour. Denn am selben Tag stieg der damalige Kapitän der Mannschaft, Dominik Nerz, von Stürzen entkräftet vom Rad.

Die Etappe am Donnerstag endet etwas weiter oben als 2015 in Cautarets-Cambasque. Und anders als damals muss Buchmann die Tour für Bora-hansgrohe nicht retten. Denn eine schlechte Tour kann es für die deutsche Equipe nach Hindleys Etappensieg und dem Gelben Trikot nicht mehr werden - und für Buchmann selbst eigentlich auch nicht.