Tennis Fall Peng Shuai: WTA setzt Tennis-Turniere in China aus

Stand: 02.12.2021 10:25 Uhr

Die WTA setzt wegen des Falls Peng Shuai alle Tennis-Turniere in China und Hongkong mit sofortiger Wirkung aus. Dies gab Steve Simon, Vorsitzender der Spielerinnen-Organisation, am Mittwochabend (01.12.2021) bekannt. 

"Ich kann unsere Athletinnen nicht guten Gewissens bitten, dort anzutreten, wenn Peng Shuai nicht frei sprechen darf und anscheinend unter Druck gesetzt wurde, ihren Vorwurf der sexuellen Übergriffe zurückzunehmen", sagte Simon. Der WTA-Chef zeigte sich zudem besorgt um die Sicherheit von Spielerinnen und Betreuern. "Ich bedaure sehr, dass es so weit gekommen ist."

Die WTA hatte für dieses Jahr ursprünglich elf Veranstaltungen in China geplant, bevor sie wegen der Coronavirus-Pandemie verlegt oder abgesagt wurden. Die Wiederaufnahme der Turnierserie in China und Hongkong wurde von WTA-Chef Simon nun auf Eis gelegt.

Beifall aus der Tennis-Welt, Unverständnis in China

Die Mitteilung der WTA war noch nicht lange in der Welt, da kamen auch schon erste Reaktionen aus der Tenniswelt. Deutschlands Damen-Tennischefin Barbara Rittner lobte die WTA für ihr "konsequentes und vorbildliches Handeln" und für den China-Boykott. Rittner sagte der "Süddeutschen Zeitung": "Das ist auch ein Zeichen an die junge Generation, dass die WTA Verantwortung übernimmt. Ich bin stolz auf die WTA."

Auch Novak Djokovic, die Nummer eins bei den Herren, stellte sich hinter den China-Boykott der WTA. "Ich unterstütze die Haltung der WTA voll und ganz, weil wir nicht genug Informationen über Peng Shuai und ihr Wohlergehen haben", sagte Djokovic am Rande des Davis Cups in Madrid. Die Gesundheit von Peng Shuai für die Tenniswelt von "größter Bedeutung".

Die chinesische Regierung reagierte am Donnerstag mit Unverständnis auf die Absage der Tennisturniere durch die WTA. "Wir sind entschieden dagegen, dass der Sport politisiert wird", antwortete Außenministeriumssprecher Wang Weibin auf entsprechende Medienanfragen.

Fall Peng Shuai - Missbrauchsvorwürfe gegen Ex-Vizepremier Zhang Gaoli

Peng Shuai, 35, hatte Anfang November in dem Twitter-ähnlichen Medium Weibo berichtet, vom ehemaligen chinesischen Vizepremier Zhang Gaoli im Jahr 2018 sexuell missbraucht worden zu sein. Der Eintrag wurde ebenso gelöscht wie zahlreiche Internet-Einträge über Peng, von der danach mehr als zwei Wochen jede Spur fehlte.

Schon da hatte die WTA Aufklärung über Wohlergehen und Aufenthaltsort von Peng Shuai gefordert. Nun hat die Tennisorganisation Konsequenzen gezogen. China war bislang mit einer Reihe von Veranstaltungen wichtiger Geldgeber der Damen-Tour. Im WTA-Turnierkalender standen vor Pandemiebeginn neun China-Events.

Es bleiben Zweifel - nicht nur bei der WTA

"Auch wenn wir jetzt wissen, wo sie sich aufhält, habe ich ernsthafte Zweifel daran, dass sie frei und sicher ist - und nicht Zensur, Zwang und Einschüchterung ausgesetzt", sagte Simon laut der Mitteilung. "Die WTA hat sich klar dazu geäußert, was notwendig ist, und wir wiederholen unsere Forderung nach einer vollständigen und transparenten Untersuchung ohne Zensur."

Er bewundere Pengs "Stärke und ihren Mut", die WTA werde alles tun, um ihre Athletinnen zu schützen - "unabhängig von finanziellen Folgen".

Simon: Rückzug aus China auch über 2022 hinaus denkbar

WTA-Chef Simon wollte auch einen langfristigen Abschied der Tennis-Tour aus China über das Jahr 2022 hinaus ausdrücklich nicht ausschließen. Sollte sich die Situation um Peng Shuai nicht aufklären, sei dies eine mögliche Konsequenz, wurde er von der US-Nachrichtenagentur AP zitiert.

Man sei hoffnungsvoll, "aber wir sind darauf vorbereitet, wenn es so weitergeht - was bis heute nicht produktiv war - dass wir in der Region nicht operieren", sagte Simon demnach. "Das ist ein organisatorischer Versuch, der wirklich etwas anspricht, bei dem es darum geht, was richtig und falsch ist."

Zahlreiche prominente Persönlichkeiten, nicht nur aus dem Tennis, hatten sich zuvor öffentlich für Peng Shuai eingesetzt. Auch das Weiße Haus teilte mit, man sei "zutiefst besorgt" über die Entwicklungen im Fall Peng Shuai. Zuletzt schaltete sich auch die Europäische Union ein und forderte einen "überprüfbaren Beweis" für Aufenthaltsort und Wohlergehen der Spielerin.

Kritik auch an der Rolle des IOC

Thomas Bach, deutscher Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), hatte zuvor bereits ein Video-Telefonat mit Peng Shuai geführt - so jedenfalls hat es die Organisation am Sonntagabend (21.11.2021) mitgeteilt. Es kursieren von diesem Gespräch Bilder und die Schilderung des IOC, die Tennisspielerin habe sich für die Sorge um ihr Wohlergehen bedankt.

Es gehe Peng Shuai gut, sie wolle im Moment aber vor allem Zeit mit ihrer Familie verbringen und bitte deshalb darum, ihre Privatsphäre zu respektieren, hieß es in der IOC-Mitteilung weiter. Bach habe sich mit Peng Shuai für den Januar gar zu einem Abendessen im Rahmen der Olympischen Winterspielen in China (4. - 20. Februar) verabredet.

Bachs Videokonferenz mit Peng Shuai hinterließ mehr Fragen als Antworten und brachte dem IOC den Vorwurf ein, es habe sich von der chinesischen Regierung instrumentalisieren lassen. Die Organisation hatte zuvor zwei Wochen beharrlich zu dem Fall geschwiegen und Kritik an China vermieden. Auch zum gewaltsamen Vorgehen des Regimes gegen die Demokratiebewegungen in Hongkong und Tibet oder zur Unterdrückung der Uiguren, die von Völkerrechtlern als Genozid eingestuft wird, vermied es das IOC Stellung zu nehmen.

Das kanadische IOC-Mitglied Richard Pound nannte die internationale Kritik am Vorgehen des IOC im Fall Peng Shuai in einem Bloomberg-Interview unterdessen "etwas dumm", sie stimme nicht mit der Beweislage überein. Der IOC-Funktionär erteilte auch Spekulationen eine Absage, Peng Shuai habe in dem Videocall womöglich nicht frei sprechen können. "Es gibt keinerlei Anzeichen für Zwang. Es können sich alle sicher sein: Es geht ihr gut."

Die Politik in China schwieg lange zum Fall Peng Shuai und äußerte sich dann doch. "Ich denke, einige Leute sollten aufhören, dieses Thema absichtlich und böswillig zu überhöhen, geschweige denn zu politisieren", sagte der Sprecher des Außenministeriums, Zhao Lijian: "Ich denke, Sie alle haben gesehen, dass sie neulich öffentliche Veranstaltungen besucht und einen Videocall mit Thomas Bach geführt hat."

Bei der WTA sehen sie das offenbar anders. Der Vorsitzende Simon sagt: "Angesichts der aktuellen Lage bin ich auch sehr besorgt über die Risiken, denen alle unsere Spielerinnen und Mitarbeiter ausgesetzt sein könnten, wenn wir 2022 Veranstaltungen in China abhalten würden."