Wimbledon-Triumph Novak Djokovic - die Mensch gewordene Rekordgier

Stand: 11.07.2021 22:03 Uhr

Erfolgshunger wird nie gestillt - zumindest nicht bei Novak Djokovic. Er ist nun offiziell Teil eines legendären Tennis-Dreigestirns. Der Serbe will aber ganz allein an die Spitze.

Die Geste im dritten Satz nach dem Break von Novak Djokovic war eindeutig. Erhobener Zeigefinger an der Schläfe, dazu ein entschlossener Gesichtsausdruck der Kategorie: Seht ihr, dass ich der Größte bin?

Zumindest plant er, der Größte zu werden. Mit seinem 20. Grand-Slam-Titel schloss er aber erstmal nur auf zu den beiden anderen Größten dieser Tennis-Epoche, Rafael Nadal und Roger Federer. "Sie sind Legenden unseres Sports", sagte Djokovic, der keinen Hehl daraus macht, nach seinem sechsten Wimbledon-Sieg nur noch für Rekorde zu spielen: "Sie sind der Grund, warum ich überhaupt an diesem Punkt bin."

Reibung mit Publikum lädt Djokovic auf

Der Kopf, die Mentalität, der Wille: Novak Djokovic schlug den Italiener Matteo Berrettini in einem beinahe ausgeglichenen Spiel - obwohl er sich zwischendurch immer wieder auf Reibereien mit dem Publikum einließ.

Oder vielleicht brauchte der 34-Jährige diese sogar, um sich bei kleineren Schwächephasen wieder Motivation zu holen. Denn das Publikum feierte Außenseiter Berrettini begeistert, wenn er Djokovic mit seinem krachenden Aufschlag oder der starken Vorhand in Schwierigkeiten brachte.

Der Weltranglisten-Erste wird auf spieltaktischer und -technischer Ebene stets bewundert für sein Return-Spiel, seine Spielintelligenz. Dabei fliegen ihm die Sympathien des Publikums allerdings nicht so zu wie Nadal oder Federer.

West-Lieblinge Nadal und Federer?

Dass Fans hin und wieder gegen den von Ehrgeiz getriebenen und manchmal kühl wirkenden Serben sticheln, ist an sich noch keine Hoheitsbeleidigung. Grundsätzlich mag dies schlicht der Tatsache geschuldet sein, dass Djokovic stets Favorit ist und entsprechend den sportlichen Außenseitern - nicht nur im Tennis - immer Sympathien zuteilwerden.

Aber zuletzt hatte sich Vater Srdjan Djokovic gegenüber dem serbischen Sender "K1" über die angeblich mangelnde Wertschätzung für die Leistungen seines Sohnes in Westeuropa beschwert. Die internationale Presse "verleumde" ihn und sage "widerliche Dinge": "Es ist offensichtlich, dass ausländische Medien nicht die beste Meinung von uns haben und denken, dass wir ihnen dauerhaft auf die Nerven gehen."

Kontrahent Federer gratulierte jedenfalls artig per Twitter zum 20. Major-Titel: "Ich bin stolz, in dieser speziellen Ära von Tennis-Champions spielen zu können. Eine wundervolle Leistung, gut gemacht." Auch Nadal meldete sich: "Es ist großartig, dass wir drei Spieler damit gleichauf sind."

Djokovic will Alleinstellungsmerkmal - Olympiateilnahme aber auf der Kippe

Der Vergleich mit Nadal und Federer - er ist für Djokovic unumgänglich und nervenaufreibend. Als er zuletzt bei einer Wimbledon-Pressekonferenz gleich zu Beginn die Frage entgegengeschleudert bekam, wie es denn sei, Federer und Nadal seit geraumer Zeit hinterherzurennen, atmete er nur kurz durch. Und Djokovic, immerhin seit 52 Wochen ohne Unterbrechung Weltranglisten-Erster, formulierte eine professionelle Antwort.

Allen wird er es nie recht machen können. Auch wenn der Federer-Rekord von 237 Wochen an der Spitze der ATP-Liste noch weit entfernt scheint, kann er aber doch schon diesen Sommer etwas schaffen, das bei den Männern noch niemand gepackt hat.

Es winkt der "Golden Slam", sollte der "Djoker" bei den Olympischen Spielen in Tokio (23. Juli bis 8. August) und dann noch bei den US Open (30. August bis 12. September) triumphieren. Djokovic sagte jedoch, es sei eine "50:50-Entscheidung", ob er nach Tokio reisen werde. Auch ein "Grand Slam", also der Gewinn der vier großen ATP-Turniere, würde ihn von Nadal und Federer abheben. Dies gelang zuletzt Rod Laver 1969.

Zudem hat Djokovic (34) einen Zeitvorteil: Wann hört Federer, bald 40 Jahre alt, auf? Er gewann zuletzt bei den Australian Open 2018 ein Grand-Slam-Turnier. Auch Nadal hat ein Jahr mehr auf dem Buckel als Djokovic, der mal vor einiger Zeit in einer US-Fernsehshow gewohnt berechnend sagte: "Es ist möglich, dass ich noch mit 40 Jahren spiele. Aber dann vielleicht nur noch mit dem Fokus auf die größten Turniere - und auf die, die mir das meiste bedeuten."