Tennis-Grand-Slam in London Wimbledon - Angelique Kerber beflügelt wie lange nicht

Stand: 07.07.2021 11:46 Uhr

Angelique Kerber hat in den vergangenen Wochen plötzlich zu ihrer Topform gefunden und steht im Halbfinale von Wimbledon. Eine längere Zeit der Lethargie scheint beendet zu sein. Ihr Lieblingsbelag Rasen spielt dabei eine große Rolle - und der Traum vom zweiten Triumph an der Church Road.

Ihre Augen strahlten wie die eines Kindes, das gerade seinen größten Wunsch erfüllt bekommen hatte. Angelique Kerber stand auf dem Court No. 1 in Wimbledon - und sie war sichtlich gerührt von der Atmosphäre. Und vielleicht auch ein wenig von sich selbst. "Hier zu spielen, vor euch Zuschauern, das bedeutet mir sehr viel", sagte sie und bekam feuchte Augen. Sie wurde auch getragen vom Publikum, das ihr wohlgesonnen ist im Londoner Stadtteil SW19 - und das sie in den vergangenen Wochen und Monaten für ihr Spiel so vermisst hatte.

Die 33 Jahre alte Kerber hatte kurz zuvor ihr viertes Halbfinale beim traditionsreichsten Turnier der Welt erreicht. Ihr 6.2; 6:3 gegen die Tschechin Karolina Muchova hatte sie souverän herausgespielt. Aber es ging ihr vermutlich um viel mehr. Kerber hatte nach einer nicht zuletzt durch Covid-19 verkorksten Saison im Vorjahr auch ein fast schon scheußliches Jahr 2021 gespielt.

Selbstvertrauen ist zurück

Als sie in der Woche vor Wimbledon nach Bad Homburg kam und das dortige Rasenturnier gewinnen konnte, hatte sie zuvor nur neun Spiele gewonnen und seit zwei Jahren keine Top-20-Spielerin geschlagen. Eine für ihre Fähigkeiten fast schon niederschmetternde Bilanz. Vor allem die Sandplatzsaison bereitet ihr fast schon traditionell Gräuel. Beim Grand-Slam-Turnier in Roland Garros war sie wieder einmal in der ersten Runde ausgeschieden. Es war bereits das achte Mal, dass ihr dieses Schicksal widerfuhr.

Die ehemalige Nummer 1 ist auf Platz 28 der Weltrangliste abgefallen. Mit dem jüngsten Triumph in Deutschland hat sie nun zehn Partien in Folge für sich entscheiden können. "Ich freue mich jedes Jahr aufs Neue, auf Rasen zu spielen. Ich fühle mich so wohl darauf", sagte Kerber nun in Wimbledon. Es scheint eine plötzliche Metamorphose stattgefunden zu haben.

Sie hat ihr druckvolles Spiel, gepaart mit einer außergewöhnlich geringen Fehlerquote wiedergefunden. Sie durchschaut ihre Gegnerinnen wieder, ist so unglaublich zäh und widerspenstig, dass sich kaum eine Gegnerin wünscht, gegen diese Kerber zu spielen. Bis auf eine Ausnahme war das Wimbledon-Turnier ein glatter Durchmarsch. Nur Sara Sorribes Tormo hatte ihr das Leben in der 2. Runde extrem schwer gemacht.

Aber wenn Kerber das nötige Selbstvertrauen besitzt und sie ihre große Erfahrung uneingeschränkt ausspielen kann, dann behält sie auch in den ganz schwierigen Momenten die Nerven. Nach 3:19 Stunden verwandelte sie gegen die Spanierin einen Matchball zu einem überaus hart erkämpften Dreisatzsieg. Derartige Siege beflügeln.

Mentale Vorteile gegen Barty?

Nun muss Kerber gegen die Weltranglistenerste Ashleigh Barty antreten. Auch die Australierin beeindruckte bisher mit aggressivem und fast fehlerfreiem Spiel. Fünf Partien haben die beiden Top-Spielerinnen schon gegeneinander ausgetragen. Drei Mal konnte die Deutsche gewinnen. Kerber dürfte mental allerdings einen kleinen Vorteil haben. Sie hat bereits zwei Mal das Finale erreicht, 2018 das Turnier gegen Serena Williams gewonnen.

"Das ist mein Lieblingsturnier und ich habe den größten Erfolg meiner Karriere hier gefeiert", sagte Kerber. Barty dagegen hatte ihr bestes Ergebnis an der Church Road im Jahr 2019, als sie die Runde der letzten 16 erreichte.

"Eines Tages will ich hier Champion sein. Es ist mein Traum, es ist mein Ziel", sagte Barty vor einiger Zeit. Wimbledon lässt auch die 25-Jährige nicht kalt. Welche Rolle wird der Faktor Nervosität bei ihr spielen, so kurz vor dem Ziel? Es wird also auch eine Schlacht der Nerven. "Die Reise ist noch nicht zu Ende", sagte Angelique Kerber vor dem Halbfinale.