Tennis | US Open US-Open-Sieger Daniil Medwedew - das verkannte Genie

Stand: 13.09.2021 11:00 Uhr

Daniil Medwedew spielt Tennis fast wie ein Schachspieler. Mit dem Triumph bei den US Open könnte der 25-jährige Russe vor dem großen Durchbruch seiner Karriere stehen.

Es ist allemal eine rührige Geschichte, wenn ein Sportler am Tag seines größten Triumphes auch die Frau an seiner Seite erwähnt. Es gehört bei Daniil Medwedew nun ja auch untrennbar zusammen: Den Sieg bei den US Open hat der Russe auf den Tag genau drei Jahre nach der Trauung mit seiner Frau Daria geholt.

Was lag es näher, um diese Tatsache bei der  Übergabe des  Siegerschecks über 2,5 Millionen US-Dollar  nicht unerwähnt zu lassen. "Das sollte beim Shoppen helfen", scherzte die Moderatorin in Anspielung auf ein passendes Präsent zum Hochzeitstag.

Passendes Geschenk zum Hochzeitstag

Zuvor hatte Medwedew in seiner Siegesrede im Arthur Ashe Stadium berichtet, er habe während des Turniers keine Zeit gehabt, sich um ein Geschenk für seine Frau zu kümmern und sich deswegen schon Sorgen gemacht.

"Ich dachte, ich muss einfach gewinnen“, sagte er nach seinem 6:4, 6:4, 6:4 über den hochdekorierten Serben Novak Djokovic. Weil mit Rafal Nadal und Roger Federer die natürlichen Herausforderer fehlten, könnten die US Open der Beginn einer Zeitenwende gewesen sein. Zumal zwangsläufig das Alter mitspielt: Djokovic ist 34, Nadal 35 und Federer bereits 40 Jahre alt.

Locker von Anfang bis Ende

Denn als außerordentlich talentiert und befähigt für die Wachablösung galt der 1,98 Meter große Medwedew schon immer. Nun aber hat der 25-Jährige konstant über zwei Wochen bei einem solchen Turnier überzeugt.

Die Demonstration seines Könnens war ihm auch beim letzten Auftritt in New York in einer Lockerheit gelungen, die selbst vor dem Finale kaum jemand erwartet hatte. In nur 2:15 Stunden fertigte der Weltranglistenzweite den 20-maligen Grand-Slam-Sieger ab und nahm Djokovic von Beginn an jegliche Chance auf einen legendären Triumph.

Medwedews "Jubel der toten Fische"

Medwedew hatte lange auf den Moment warten müssen, in dem er seinen eigenartigen Jubel zelebrieren konnte. Er warf sich auf den Hartplatz, streckte die Zunge raus und verharrte.

"Ich spiele gerne FIFA auf der Playstation. Man nennt es den Jubel der toten Fische", sagte der Hüne sichtlich zufrieden mit seiner Performance: "Ich habe mich ein bisschen verletzt, aber ich bin froh, dass ich es für mich legendär gemacht habe."

Es gibt Konkurrenten wie Stefanos Tsitsipas (Griechenland), die halten Medwedews Spielweise für langweilig und dumpf. Nur weil er nicht über die Athletik von Rafael Nadal (Spanien), die Eleganz von Roger Federer (Schweiz) oder die Beinarbeit von Dominic Thiem (Österreich) verfügt.

Die "Süddeutsche Zeitung" hielt dieser Tage sehr treffend fest: "Er ist die Antithese zu all den eindimensionalen Aufschlag-Vorhand-Prüglern, von denen es im Männertennis viel zu viele gibt. Die Stärke von Medwedew ist nicht, dem Gegner seine Spielweise aufzuzwingen, er absorbiert vielmehr dessen Stärken zur Gestaltung faszinierender Duelle, die all jene lieben, die sich für die geometrischen Aspekte dieser Sportart begeistern können." Die Partien von Medwedew sind spektakulär, weil er selbst es nicht ist. Es macht Spaß, ihm zuzuschauen.

Blick für die besonderen Winkel

Ohne athletische und technische Fertigkeiten würde auch Medwedew nicht so gut spielen. Er gilt als Perfektionist, der Schläge nicht übt, bis er sie kann, sondern so lange, bis er es nicht mehr falsch machen kann. "Er erkennt Winkel auf dem Feld, die andere nicht sehen", sagt Trainer Gilles Cervara.

Der französische Coach war es auch, der vor zwei Jahren Abbitte beim erbosten New Yorker Publikum leistete, weil der in Moskau geborene Medwedew ihnen den Mittelfinger gezeigt hatte. "Die Leute kapieren manchmal nicht, was in Köpfen von Genies vorgeht", sagte Cervara damals.

Irgendwann aber erkannten die Amerikaner, dass Medwedew kein tumber Polterer ist, sondern ein scharfsinniger Feingeist, der wie jeder eigentlich Zuneigung möchte. Die bekam er damals im Finale gegen Nadal, und danach gestand er: "Ich sage manchmal schlimme Sachen, die ich nachher bereue, aber ich bin in diesem Moment ich selbst."

Immer näher an der Trophäe

Längst hat das Publikum einen gewissen Respekt vor seinem strategischen Spiel. Der intelligente Rechtshänder baut seine Ballwechsel wie ein Schachspieler auf - und so hat er sich immer näher an die großen Trophäen herangepirscht.

Wird er nun derjenige, der gemeinsam mit dem ein Jahr jüngeren Deutschen Alexander Zverev die Geschicke im Welttennis bestimmt? Zverev hatte zuvor in einem grandiosen Halbfinale in fünf Sätzen gegen den zähen Djokovic verloren, ihn aber bereits bei Olympia in einem Drei-Satz-Match besiegt.