Tennis | ATP Finals ATP Finals: So tickt Zverevs Gegner Medwedew

Stand: 21.11.2021 16:54 Uhr

Im Finale der ATP Finals trifft Alexander Zverev auf Daniil Medwedew. Der Russe galt lange als unberechenbar. Nun ist er der beste Spieler der Welt.

Von Jannik Schneider

Nach zwei Siegen in der Vorrunde - darunter eine enge, kräftezehrende Partie gegen Alexander Zverev - war Daniil Medwedew vor seiner dritten Begegnung bei den ATP Finals gegen den aufstrebenden Italiener Jannik Sinner (20) unter der Woche bereits sicher für das Halbfinale qualifiziert. Vor wenigen Jahren wäre das für den 25-Jährigen eine Gelegenheit gewesen, sich auszuruhen.

Medwedew Favorit gegen Zverev

Diese Zeiten gehören lange der Vergangenheit an. Am Donnerstag begutachteten Beobachter den Russen in den Tiefen der Pala Alpitour in Turin, wie er 60 Minuten vor seinem Match gegen Sinner mit seinem Fitnesstrainer das Warm-up abspulte. Die Intensität erinnerte eher an die Vorbereitung auf ein Grand-Slam-Finale. Natürlich gab es für die sportlich belanglose Begegnung Weltranglistenpunkte und ein beachtliches Preisgeld (300.000 US-Dollar).

Die Intensität und Professionalität Medwedews beeindruckten dennoch. Das Match gewann der Weltranglisten-Zweite nach großem Kampf ebenfalls. Nach einem glatten Erfolg gegen Casper Ruud am Samstag ist er beim Jahresendturnier der besten acht Spieler im Finale am Sonntag gegen Zverev klarer Favorit.

Medwedew galt lange als durchgeknallt

Talent hatte der gebürtige Moskauer von klein auf. Als Jungprofi überzeugte er auf der ATP-Tour mit einzigartigen, unkonventionellen Schlagtechniken und Bewegungsabläufen, die jeden Spieler der Welt vor Probleme stellten. Doch der hochgewachsene Rechtshänder (1,98 Meter) galt ebenso lange als unberechenbar, nicht ausschließlich professionell und entwickelte nebenher ein Image als "bad boy".  Doch zusammen mit seinem französischen Trainer Gilles Cervara hat er sich in den vergangenen vier Jahren von einem durchschnittlichen Top-100-Spieler erst spielerisch und dann mental zum besten Konterspieler der Welt entwickelt und folgerichtig als erster Spieler der jungen Generation 2021 einen Grand-Slam-Titel gewonnen.

Wie ein Grand-Slam-Sieger hat sich Daniil Medwedew nach eigenen Aussagen lange nicht verhalten. Bis 2017 sei er quasi süchtig nach Computer- und Konsolenspielen gewesen. Mindestens einmal habe er mit einem Freund bis morgens um 7 Uhr durchgezockt. "Beim Frühstück bin ich eingeschlafen, das Training und das Turnier danach liefen nicht gut für mich", sagte Medwedew vor einem Jahr.

Medwedews Schiedsrichter-Eklat in Wimbledon

Nach seiner Zweitrundenniederlage in Wimbledon 2017 warf er Münzen aus seinem Portemonnaie vor die Füße des Stuhlschiedsrichters und deutete theatralisch an, der Unparteiische habe seine Begegnung verschoben. Der Russe musste knapp 15.000 US-Dollar Strafe zahlen und sagte anschließend: "Ich weiß nicht, warum ich das getan habe. Es gab ein paar schlechte Ausrufe, und in der Hitze des Gefechts wurde ich frustriert."

Sportlich lief es ab Ende 2017 mit Cervara immer besser. Mental aber brauchte der neue Coach eine Zeit, um den Russen zu bändigen. Über die Grenzen des Tennissports berühmt geworden, ist Medwedews Ausraster bei den US Open 2019, als er sich nach frühen Buhrufen mit dem berüchtigten New Yorker Publikum anlegte. "Ich möchte, dass ihr alle wisst, wenn ihr heute Nacht schlafen geht, dass ich nur wegen Euch gewonnen habe", erklärte der damals 23-Jährige mit sarkastischem Unterton und Handbewegungen nach einem Sieg gegen den Spanier Feliciano Lopez. Doch Medwedew spielte sich ins Finale, brachte Rafael Nadal an den Rand einer Niederlage. Plötzlich jubelten die Amerikaner ihm zu.

Dieses Jahr gewann er die US Open schließlich. Gezockt werde bei Events nur noch mit dem Coach zusammen. "Ansonsten bringe ich zu Turnieren nicht mehr meine Konsole mit", erklärte Medwedew, der sichtbar einen Reifeprozess durchlaufen hat, seit er 2017 ins französische Cannes zu seiner Schwester zog. Auch seine Partnerin Daria, die er 2018 heiratete, so ist aus dem Umfeld zu hören, erdet ihn sehr.

Zverev: "Medwedew ist einfach anders"

Alexander Zverev kennt Medwedew seit seinem zwölften Lebensjahr von Jugendturnieren. Aufgrund der russischen Wurzeln bestand früh ein inniges Verhältnis. Beide wuchsen quasi miteinander auf. Nach seiner Weltklasse-Vorstellung am Samstag gegen Novak Djokovic erklärte Zverev auf Sportschau-Anfrage: "Seine Entwicklung ist der Wahnsinn. Er hat sich in den vergangenen Jahren so extrem verbessert wie niemand sonst."

Mit einem Schmunzeln verriet Zverev zudem, dass Medwedew immer noch viele von den frühen Attributen behalten habe: "Er ist anders als die meisten Spieler." Medwedew sei jemand, der Energien, beispielsweise vom Publikum sehr gut aufnehmen und verwerten könne. Das macht er sehr viel ausgewogener in den vergangenen Jahren und Monaten.

Hinzu kommen Erfolgshunger und Professionalität. "Seit dem Titel bei den US Open hat sich nichts geändert. Wir tun weiterhin die gleichen Dinge. Und das hilft ihm dabei, den Fokus auf seine Performance zu halten. Und mit Performance meine ich all die Dinge um das Tennis herum: Die physische, die mentale Seite, die Dinge, die wir weiter verbessern können", sagte Cervara kürzlich der ATP.

Medwedew gewann die jüngsten fünf Matches gegen Zverev

Zverev gewann von den ersten sechs Spielen gegen Medwedew fünf – inklusive der Vorrunden-Niederlage am Dienstag siegte nun Medwedew aber ganze fünfmal in Serie. Medwedew absorbiert Zverevs Schlaghärte von der Grundlinie ausgezeichnet. Der größte Vorteil: Medwedew entschärft Zverevs Aufschläge in der Regel brillant. Von den fünf besten Spielern der Welt hat er 2021 die besten Returnquoten, gewinnt 42,9 Prozent der Ballwechsel bei gegnerischem Aufschlag (Zverev 39,5).

"Um ehrlich zu sein, ist es schwer, da jetzt noch etwas Besonderes zu finden gegen Zverev", sagte Medwedew vor dem Finale. Beide kennen sich in- und auswendig. Medwedew aber hat bei den ATP Finals einen Lauf. Als Titelverteidiger von 2020 hat er die vergangenen zehn Matches gewonnen.