Tennis | Australian Open Pub-Rock-Tennis und Barty-Mania: Historischer Samstag für Australien

Stand: 28.01.2022 09:57 Uhr

Der finale Samstag der Australian Open kann ein historischer Tag für den Gastgeber werden. Die Australierin Ashleigh Barty will den heimischen Titelfluch besiegen, ihre beiden Landsmänner Nick Kyrgios und Thanasis Kokkinakis verändern die Sicht auf den traditionellen Sport.

Von Jannik Schneider

Es erinnerte an Hollywood, an die ganz große, glitzernde Bühne, als Nick Kyrgios und seine neue Freundin Costin Hatzipourganis am Donnerstag durch die Gänge des neugeschaffenen Medienzentrums bei den Australian Open in Melbourne schwebten.

Händchenhaltend wurden sie begleitet von einer ganzen Entourage an Kamerateams, Produzenten und Mitarbeitern, die Mikrofone über dem Pärchen positionierten. Es waren nicht die üblichen Begleiterscheinungen eines Grand-Slam-Turniers. Es war schlicht ein neuer Hype.

Kooperation mit dem Streamingdienst Netflix

Zu Beginn der Australian Open haben die Verbände der Frauen- und Herrentour WTA und ATP eine Kooperation mit einem Streamingdienst bekannt gegeben. Nach dem Vorbild der Formel 1 ("Drive to survive") sollen neue Fans gewonnen werden für den traditionellen Sport.

Kyrgios ist einer der Protagonisten, der auf Schritt und Tritt verfolgt wird – und der 26-jährige Showman genießt die Aufmerksamkeit sichtlich. Auch sportlich haben die Dokumentarfilmer den Richtigen ausgewählt. Mit Freund und Landsmann Thanasis Kokkinakis hat er einen unerwarteten Siegeszug gestartet, der das Duo in ein rein australisches Doppelfinale gespült hat. Beide überzeugen dabei als extrovertierte Entertainer, die auch Nicht-Tennisfans anziehen.

Barty spaziert mühelos durch den Wettbewerb

So hat sich in diesen Tagen von Melbourne eine ungewöhnliche Kombination gebildet aus dem "Pub-Rock-Tennis" des Doppelpaares auf der einen und der stilistisch einzigartig variablen Ashleigh Barty auf der anderen Seite, die sich rein auf das Sportliche fokussiert.

Die introvertierte, sensible und stets höfliche Weltranglistenerste mit indigenen Wurzeln spazierte mühelos durch den Wettbewerb und gab bis zur Vorschlussrunde die wenigsten Spiele seit Steffi Graf (1989) ab.

Am Samstag gegen die Überraschungsfinalistin Danielle Collins kann die 25-Jährige die erste heimische Turniersiegerin seit 1978 werden - damals gewann  Chris O'Neil.

Kyrgios/Kokkinakis: Stimmung wie auf Festivals

Kyrgios und Kokkinakis könnten längst australische Einzelhelden sein, scheiterten in den vergangenen Jahren aber an Geist und Professionalität (Kyrgios) oder unzähligen Verletzungen (Kokkinakis). In dieser Woche hieven sie Doppel-Tennis auf ein anderes Level. Die Stimmung in den nahezu ausverkauften Arenen erinnert mehr an Darts-, Beachvolleyball- oder Festivalevents.

Die Stimmung schwappt dabei zuweilen ins Grenzwertige. Der Neuseeländer Michael Venus beschwerte sich nach dem Viertelfinale über üble Beleidigungen gegen ihn, Doppelpartner Michael Venus und deren Familien vonseiten wild gewordener Fans. Sein Doppelpartner Tim Pütz wollte sich zu den Beleidungen nicht äußern, erklärte aber:"Tennis ist Entertainment, aber das ist zu viel."

Kokkinakis erklärte: "Wir diskreditieren die Gegner nie absichtlich, versuchen aber schon die Stimmung weiter anzuheizen und zu verbessern. Manche Gegner nehmen das persönlich." Kyrgios ist sich sicher, dass sie neue Zuschauer anziehen, die sonst nichts mit Tennis zu tun haben. "Mit uns können sich die Leute identifizieren." Er sei jahrelang kein gutes Vorbild gewesen. "Aber jetzt sind Thanasis und ich definitiv Vorbilder für die Jugend."

Barty und die mentale Gesundheit: Balance gefunden

Auch Barty ist ein Vorbild für die Jugend, wird von den Australiern aber aus ganz anderen Gründen geschätzt. Ihrer mentalen Gesundheit wegen nahm sich die talentierte Rechtshänderin gleich zwei längere Auszeiten von der Tour. Bei der ersten verschwand sie 2014 komplett und schloss sich einem professionellen Kricketteam in ihrer Heimat an.

Als sie nach ihrer Rückkehr längst in die Weltklasse vorgeprescht war und große Siege wie bei den French Open 2019 gefeiert hatte, zog sie sich während der Pandemie erneut für zehn Monate zurück. Tennis war nie die Welt für sie, aber nun scheint sie einen gesunden Mix gefunden zu haben.

Barty: Der Slice ist heiß

Sportlich ist sie ohnehin über jeden Zweifel erhaben. In einem Zeitalter voller Athletinnen und Hardhitterinnen bringt sie ihre Gegnerinnen mit unbekannter Variabilität zur Verzweiflung.

Bestes Beispiel: ihr Rückhandslice. Ihr langjähriger Trainer Craig Tyzzer resümierte am Rande des Turniers süffisant: "Fast jede Gegnerin trainiert am Tag vorher mit jemandem, der Rückhandslice spielt. Das am Tag vorher zu üben und in den Griff zu bekommen, ist wahrscheinlich etwas spät."

Barty verriet in Melbourne, dass der Trainer ihr eine Menge abnehme. Sie schaue die Matches nicht: "Tyzz kann die Matches der Gegnerinnen schauen. Wir ziehen unser Ding, unsere Routinen durch und kommen am Samstag zurück – mit einem fetten Grinsen im Gesicht. Und dann schauen wir, was passiert."

Australier dürfen in jedem Fall jubeln

Gegen Collins ist Barty Favoritin - wie auch Kyrgios und Kokkinakis gegen ihre Landsmänner Matthew Ebden und Max Purcell. Die heimischen Fans dürfen also in jedem Fall jubeln. Für die Dokumentarfilm-Macher wäre ein Sieg von Kyrgios und Kokkinakis natürlich das perfekte Skript für Folge eins in einem neuen digitalisierten Zeitalter des Tennis.