Schwimmen Ex-DSV-Sportdirektor Kurschilgen: "Ich brauche ein Urteil"

Stand: 28.01.2022 19:34 Uhr

Am 1. März 2021 hatte der Deutsche Schwimmverband (DSV) seinen ranghöchsten hauptamtlichen Mitarbeiter fristlos entlassen: Sportdirektor Thomas Kurschilgen. Gründe nannte der DSV nicht. Der Sportdirektor hält die Kündigung für nicht wirksam und geht juristisch dagegen vor. Nach einer Güteverhandlung vor dem Landgericht Kassel am 27.01.2022 ist eine Entscheidung nicht in Sicht.

"Kurschilgen gegen den DSV" ist die nüchterne Überschrift einer Auseinandersetzung, in der es um viel mehr geht, nämlich um Vorwürfe sexualisierter Gewalt und die Frage: Hat der Verband dieses Thema für seine Zwecke instrumentalisiert?

Der Reihe nach: Als der neue Vorstand des DSV Ende 2020 die Geschäfte übernahm, war das nur durch eine Änderung der Satzung möglich. Die besagte bis dahin: Ämterhäufung nicht erlaubt. Das änderte die DSV-Mitgliederversammlung und wählte Ende November 2020 gleichzeitig das neue Präsidium. In dem sitzen seitdem einige Landespräsidenten.  Eine Ämterhäufung, mit der die mitgliederstarken Landesverbände das Sagen haben im Dachverband.

Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Gremiums: ein Antrittsbesuch in der Geschäftsstelle in Kassel. Insider behaupten, schon damals sei es darum gegangen, Belege zu finden, um dem Sportdirektor Thomas Kurschilgen ein mögliches Fehlverhalten nachzuweisen. Man habe den Mann loswerden wollen. Er sei zu mächtig gewesen und mit einem hoch dotierten Vertrag ausgestattet, der ihm unter anderem die alleinige Vertretungsberechtigung für den Leistungssport zugestand. Kündbar erst 2024. Den Besuchsgrund in der Geschäftsstelle schilderte DSV-Präsident Marco Troll im Deutschlandfunk ganz anders. Man habe lediglich Verträge und Beschlüsse gesichtet. Sich also einarbeiten wollen.

Fest steht: Bei Nichtverlängerung des Vertrags wäre eine Abfindung an Kurschilgen fällig gewesen. Den Vertrag mit dem Sportdirektor konnte das neue Präsidium also nur beenden, wenn massive Vorwürfe eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde. Eine Weiterbeschäftigung von Kurschilgen hätte die Macht des neuen Präsidiums erheblich eingeschränkt. Dann erschien  im Februar 2021 ein Bericht im "Spiegel": Mehrere Athletinnen hatten dem damaligen Bundestrainer Freiwasserschwimmen, Stefan Lurz, sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Bereits vor Jahren hatte es ähnliche Vorwürfe gegen den Trainer gegeben. Damals hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt.

Auf die erneuten Vorwürfe reagierte der DSV mit einer Stellungnahme, in der er jegliche Form von Missbrauch und Gewalt verurteilte und "vollumfängliche Aufklärung" ankündigte.

Entschuldigung via Pressemitteilung

Drei Wochen später entschuldigte sich Präsident Marco Troll per Pressemitteilung bei den Betroffenen und stellte fest: "Nach unserem derzeitigen Erkenntnisstand sind in der Vergangenheit offenbar nicht immer alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen worden um potenzielle Opfer und damit auch alle anderen Aktiven, darunter viele Schutzbefohlene, zu schützen."

Weiter schrieb der DSV Präsident von "höchsten moralischen und ethischen Ansprüchen", die an den Verband gestellt würden. Bereits zuvor hatten einige Medien spekuliert, Sportdirektor Kurschilgen sei Hinweisen auf die mutmaßlichen Übergriffe durch Lurz nicht ausreichend nachgegangen. Gegen diese Behauptungen war der Sportdirektor mit Erfolg presserechtlich vorgegangen.

Was die Öffentlichkeit da noch nicht wusste: Der DSV hatte Kurschilgen bereits am 1. März fristlos gekündigt. Gründe wurden auch später öffentlich nicht genannt. Marco Troll berief sich auf Nachfrage auf ein schwebendes Verfahren. In der Entschuldigungs-Pressemitteilung von Mitte März im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen hieß es allerdings: "Personen, die nicht alles in ihrer Macht Stehende tun, um dieser enormen Verantwortung gerecht zu werden, sind für uns als Verband nicht tragbar." Die einzige Person, die 2019, zum Zeitpunkt der erneuten Vorwürfe gegen Lurz bereits im Amt war und dieses zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im "Spiegel" immer noch bekleidet hatte, war Thomas Kurschilgen, der Sportdirektor. Ausdrücklich genannt in der Pressemitteilung wurde er aber nicht.

Kurschilgen wehrt sich jetzt auf juristischem Weg gegen seine Kündigung. Bei der Verhandlung vor dem Landgericht Kassel erklärte er, im Zusammenhang mit dem Fall Lurz keine Pflichtverletzung begangen zu haben. Richter Hubert Neumeier zitierte in der Verhandlung aus Akten, die Kurschilgens Anwalt eingereicht hatte. Daraus ging hervor, dass sein Mandant zahlreiche Schriftwechsel geführt hatte, die sein Vorgehen im Fall Lurz und den Umgang mit der Athletin belegen. So hatte er unter anderem die damals verantwortlichen Personen im DSV-Vorstand informiert und involviert, etwa den Beauftragten für das Thema sexualisierte Gewalt. Der übernahm dann aufgrund seiner Zuständigkeit den Fall. Zwei von Kurschilgen angeführte Telefonate mit damaligen Vorstandsmitgliedern bestritt der DSV.

Im Saal 135 des Kasseler Landgerichts halfen die verbrämten Sätze der Pressemitteilungen dem DSV nicht mehr. Aus den verlesenen Akten ging eindeutig der Grund für die fristlose Kündigung hervor: der Umgang des Sportdirektors mit den Missbrauchsvorwürfen gegen Stefan Lurz. Im Laufe der arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung hatte der DSV schriftlich zwei weitere Kündigungsgründe nachgereicht. Den letzten einen Tag vor Verhandlungsbeginn in Kassel. Der konnte deshalb noch nicht öffentlich diskutiert werden.

"Meine Reputation ist beschädigt"

Der Richter regte während der Verhandlung mehrfach einen Vergleich der beiden Parteien an. Der DSV gab sich verhandlungsbereit. Thomas Kurschilgen betonte, er habe sich nichts vorzuwerfen, keine Pflichtverletzung begangen: "Mein guter Ruf, meine Reputation ist beschädigt. Um das wieder herzustellen, brauche ich ein Urteil, wann immer das kommt." Kurschilgen lehnte einen Vergleich ab. Nun geht das Verfahren weiter, Ende nicht in Sicht.

Der Eindruck, das Thema "sexualisierte Gewalt" und die Vorwürfe einiger Athletinnen wurden instrumentalisiert, um einen unliebsamen, weil zu mächtigen Sportdirektor loszuwerden, hat sich vor Gericht verstärkt. Auch durch die Behauptung des DSV-Anwalts, es gebe im Fall Lurz ein rechtskräftiges Urteil. Das stimmt so nicht. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Würzburg bestätigte gegenüber der Sportschau, dass eine Entscheidung des Amtsgerichts Würzburg noch ausstehe. Von einem rechtskräftigen Urteil könne nicht gesprochen werden.

Der DSV kennt also offenbar nicht einmal den aktuellen Stand des Verfahrens gegen Lurz. Dabei war, wie erst in Kassel vor Gericht öffentlich wurde, dieser Fall für den DSV Grundlage der fristlosen Kündigung von Kurschilgen.