Schach Schach-WM: Nimmt Carlsen Gegner "Nepo" nicht ernst?

Stand: 25.11.2021 11:54 Uhr

"Nepo" gegen Carlsen heißt es in diesem Jahr bei der Schach-WM in Dubai. Weltmeister Magnus Carlsen ist auch dieses Mal Favorit und gibt sich siegessicher – aber auch sein russischer Herausforderer ist selbstbewusst.

Sind das die Psychospielchen eines Weltmeisters? Die absolute Siegessicherheit? Oder gar Überheblichkeit? Schach-Weltmeister Magnus Carlsen ist sich offensichtlich ziemlich sicher, dass er seinen Titel bei dieser WM erneut verteidigen wird. 14 Partien sind angesetzt – gibt es danach immer noch keinen Sieger, wird der neue Weltmeister am 16. Dezember in einem Tiebreak gekürt.

Carlsen: Es gibt keinen Plan B

"Es gibt keinen Plan B", sagt Carlsen gegenüber sportschau.de. "Plan A ist immer zu gewinnen. Keine Ahnung, was sonst passiert. Aber erstmal geht es darum, in Dubai erfolgreich zu sein", so der 31-Jährige.

Carlsen, seit 2013 Weltmeister und seit über zehn Jahren die Nummer 1 der Schach-Weltrangliste, gibt sich in diesen Tagen aufreizend lässig. Vor wenigen Wochen besuchte er mit Landsmann Erling Haaland noch ein Champions League-Spiel von Borussia Dortmund.

Die Schachgemeinschaft wunderte sich außerdem darüber, wie viel Blitzschach der Norweger zuletzt online spielte – oder was er in Podcasts und Talkshows zu sagen hatte.

Ding und Caruana: Hätte es stärkere Gegner gegeben?

Der Russe Jan Nepomnjaschtschi, von allen nur "Nepo" genannt, hatte das Kandidatenturnier im Frühjahr gewonnen – wer sich im Turnier unter acht Teilnehmern durchsetzt, darf danach den Weltmeister herausfordern. Carlsen sagte zuletzt, dass er sich vor dem Chinesen Ding Liren und dem Amerikaner Fabiano Caruana mehr gefürchtet hätte. "Ich würde sagen, sie wären die besten Herausforderer gewesen", so Carlsen. "Ich habe mir vor dem Turnier gedacht: Wenn es jemand anders gewinnt, ist das gut für mich und so fühle ich mich heute immer noch." Auf der Pressekonferenz am Mittwoch (24.11.2021) legte Carlsen dann nach: "Mein größter Vorteil ist es, dass ich besser Schach spiele."

Carlsen und Nepo, beide Jahrgang 1990, kennen sich seit vielen Jahren. Schon bei der U12-Weltmeisterschaft spielten sie gegeneinander – damals siegte der Russe vor dem schon damals extrem ehrgeizigen Carlsen, der das Turnier später einmal als eine seiner schlimmsten Erfahrungen bezeichnete.

"Nepo" hat abgenommen, wirkt selbstbewusst

Beide haben ein gutes Verhältnis, arbeiteten vor Jahren sogar in einem Team zusammen. Auf der Pressekonferenz am Mittwoch reagierte "Nepo" dann auch gelassen auf die Provokationen des Weltmeisters. Der beste Spieler würde die WM gewinnen, sagte der Russe – eine Aussage, die alles offenlässt.

Trotzdem wirkte der Mann mit dem zum Dutt nach hinten gekämmten langen, schwarzen Haaren durchaus selbstbewusst. Zehn Kilo hat der Russe abgenommen, ließ sich extra vom Athletiktrainer des FC Bayern München beraten. Judit Polgar, die beste Schachspielerin der Welt und bei der WM als Kommentatorin vor Ort, sagte: "Seine Körpersprache sagt, ich werde gewinnen, und es ist völlig normal, dass ich der nächste Weltmeister bin."

"Nepo" hat eine gute Bilanz gegen Carlsen

Ein Selbstverständnis, das auch auf der guten eigenen Bilanz gegen Carlsen fußt. "Nepo" hat gegen Carlsen in Partien mit klassischer Bedenkzeit als einziger Weltklassespieler eine positive Bilanz. Viele der Partien liegen jedoch schon Jahre zurück – beim jüngsten Aufeinandertreffen im Juli 2019 in Zagreb siegte Carlsen.

Der fünf Monate ältere Russe galt wie Carlsen schon früh als Ausnahmetalent. Als er mit zehn Jahren Jugendeuropameister wurde und sich mit zwölf Jahren auch die Jugendweltmeisterschaft sicherte, schien die große Karriere vorgezeichnet. Doch die Karriere stockte über Jahre. Zu den ganz großen Turnieren wurde "Nepo" nicht eingeladen.

Ausgerechnet Carlsen fragte der Russe damals um Rat. "Ich habe ihm gesagt, dass seine Disziplin sein großes Problem ist. Manchmal ist er in ein Turnier mit drei Siegen gestartet und ist danach nach einer schlechten Partie komplett zusammengebrochen", sagte Carlsen. "Nepo" sei "very moody", sprich: ein launischer und impulsiver Spieler.

Wie konstant kann "Nepo" über drei Wochen spielen?

Die fehlende Konstanz, die schwachen Nerven: Diese Eigenschaften des Russen machen den Norweger Carlsen in den Augen fast aller Experten zum großen Favoriten. Die spannende Frage wird sein, wie gut "Nepo" mit dem Druck eines fast drei Wochen dauernden Turnieres umgehen kann. 14 Partien werden bei dieser Schach-WM gespielt, das sind zwei mehr als in der Vergangenheit. Bis zum 40. Zug dürfen sich beide Spieler nicht vorab auf ein Remis einigen.

Die Veranstalter hoffen, dass die WM dadurch spannender und abwechslungsreicher wird als in der Vergangenheit. Bei der WM 2018 trennten sich Carlsen und sein Herausforderer Caruana zwölf Mal Unentschieden, ehe die Entscheidung im Tiebreak fiel.

Höchstes Preisgeld seit 1993

Das Preisgeld ist mit zwei Millionen Euro so hoch wie seit 1993 nicht mehr. Schach hat von der Corona-Pandemie profitiert. Vor allem online sind viele neue Spieler und Fans dazugekommen, auch durch die Netflix-Serie "Das Damengambit". Dadurch wurde der Sport auch für Sponsoren interessanter.

Am Freitag (26.11.2021) eröffnet "Nepo" die Partien mit den weißen Figuren. Das gilt im Schach als kleiner Vorteil. Ein Sieg direkt in der ersten Partie könnte den Russen beflügeln – wenn es läuft, kann sich "Nepo" in einen Rausch spielen. "Wenn Ian inspiriert ist, dann ist er extrem gut", sagte Weltmeister Carlsen vor einigen Monaten über seinen Herausforderer. Da klang noch deutlich mehr Respekt vor seinem Gegner durch, als in diesen Tagen.

Vielleicht liegt die größte Chance für den Russen also darin, dass ihn der Weltmeister unterschätzt. Sollte "Nepo" den König des Schachs tatsächlich vom Thron stoßen, wird sich Magnus Carlsen womöglich an einen weiteren Satz erinnern, den er einst über seinen russischen Kontrahenten sagte: "Er ist einer derjenigen, die mich überspielen können."