
Facharzt für Kardiologie im Interview Post-Vac-Syndrom - "Ich glaube, dass wir die meisten wieder gut hinbekommen"
Professor Jürgen Steinacker ist Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie an der Uniklinik Ulm. Im Gespräch mit SWR Sport erklärt er, wie die Krankheit verläuft.
SWR Sport: Professor Steinacker, welches Krankheitsbild ist gemeint, wenn bei Sportler:innen das Post-Vac-Syndrom (engl. vaccination = Impfung) diagnostiziert wird?
Steinacker: Das Krankheitsbild ist ganz bunt. Das Post-Vac-Syndrom kann mit denselben Symptomen einhergehen wie das Long-Covid-Syndrom. Die Leistung des Sportlers geht runter. Als Vergleich: Nach einer Covid-Infektion ist bei zwei bis drei Prozent der Menschen die Leistung für vier Wochen reduziert, dann ist sie normalerweise wieder da. Beim Post-Vac und Long-Covid-Syndrom merken die Sportler, dass die Leistung weiter abfällt. Es tritt Atemnot auf, die Herzfrequenz ist erhöht. Wenn man Pech hat, kommen noch die kognitiven Symptome dazu, das heißt die Müdigkeit, die eingeschränkte Denkfähigkeit. Das kann ziemlich dramatisch sein.
Trotzdem trauen sich Betroffene manchmal nicht, darüber zu sprechen, weil sie Angst haben, nicht ernst genommen oder gar in die Ecke der Coronaleugner und Impfskeptiker gedrängt zu werden.
Steinacker: Das ist bitter und unnötig. Ich erlebe es immer noch, dass Ärzte über das Post-Vac-Syndrom sagen: 'Das gibt es nicht.' Aber diese Krankheit gibt es. Sie ist da. Manchmal haben Ärzte kein Konzept für die Krankheit, keine Idee, wie sie zu erfassen und behandeln ist. Hier müssen wir als Universitäten helfen, dass die Kollegen das Krankheitsbild besser verstehen.
Hätte man die Menschen über die Impfung besser aufklären müssen?
Steinacker: Die Impfung ist für uns eine ganz wichtige Sache gewesen, damit wir wieder Sport treiben, reisen oder unser "normales Leben“ leben können. Aber es gibt diese immunkompetenten Menschen, also Menschen mit einem sehr gesteigerten Immunsystem, die die Impfung nicht gut vertragen. Wir wissen jetzt: Wenn einer eine Impfung nicht gut vertragen hat, muss er sich zukünftig vorher beraten lassen.

Professor Jürgen Steinacker ist ärztlicher Leiter des Teams der Sportmedizin der Universität Ulm und kümmert sich auch um Patienten mit Post-Vac-Syndrom.
Professor Jürgen Steinacker ist ärztlicher Leiter des Teams der Sportmedizin der Universität Ulm. Er ist Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, Sportmedizin und Rehabilitationswesen und behandelt Spitzen-, Nachwuchs und Breitensportler. Steinacker ist Mitautor einer breit angelegten Studie zu Long Covid.
Wie erklären Sie sich, dass die Impfung zu einem solchen Krankheitsbild führen kann?
Steinacker: Menschen können bei der zweiten, dritten oder vierten Impfung plötzlich eine Steigerung der Immunreaktion bekommen, die dann sozusagen die Infektion simuliert. Der Impfstoff wirkt also wie eine Infektion auf die immunologische Antwort. Das kann auch über Monate zu einer schweren Erkrankung führen. Diese wird dann oft fälschlich als psychisch klassifiziert. Nein, es ist wirklich eine durch den Impfstoff induzierte immunologische Reaktion.
Das Immunsystem schaukelt sich also in gewisser Weise hoch. Wie viele Menschen sind Ihrer Erfahrung nach davon betroffen?
Steinacker: Post-Vac ist schon selten. Aber die Leute, die es trifft, sind richtig krank. Wenn man sagt, dass Long Covid immer noch ungefähr fünf Prozent der Menschen bekommen können, dann ist es beim Post-Vac-Syndrom vielleicht ein Zehntel.
Wie lange dauert es, bis Sportler:innen wieder ihre Leistung abrufen können?
Der Zeitverlauf ist sehr variabel. Sportler haben eine bessere Chance, herauszukommen, wenn sie gut trainiert sind. Man muss die Behandlung individuell anpassen. Wie bei Long Covid gilt: Jeder dieser Patienten braucht sehr viel Zeit. Statt zehn Patienten können wir nur vier behandeln. Jeder dieser Patienten ist eine Herausforderung. Dass sich niedergelassene Ärzte überfordert fühlen, müssen wir verstehen. Wir dürfen sie nicht beschimpfen, sondern müssen ihnen helfen.
Sie haben ausdrücklich betont, dass Post-Vac keine psychische Erkrankung ist. Inwiefern spielt die Psyche bei der Genesung dennoch eine Rolle?
Steinacker: Ein gewisser Optimismus ist wichtig. Man darf sich nicht so viel Stress machen, man muss lernen abzuwarten. Entspannung ist eine ganz wichtige Sache. Ein kurzer Urlaub, mit Freunden zusammen sein, Musik hören, ein Buch lesen: Das sind Dinge, um die Psyche ins Gleichgewicht zu bekommen. Das heißt nicht, dass Post-Vac eine psychische Erkrankung ist, aber die Psyche spielt eine große Rolle bei der Bewältigung. Ich glaube, dass wir die meisten wieder gut hinbekommen.