Alina Reh wird am Uniklinikum Ulm behandelt.

Impfnebenwirkungen bei Sportlern Drei SportlerInnen erzählen von Leid und Hoffnung

Stand: 26.01.2023 17:51 Uhr

Sie verbindet die Liebe zu ihrem Sport - und das Leiden an schweren Impfnebenwirkungen. Alina Reh, Hannah Stoll und Marius Prantner wurden nach ihrer Corona-Impfung krank.

Laufen ist das Lebenselixier von Alina Reh. Die 25-Jährige aus Laichingen trainiert auf der Schwäbischen Alb. Hier spult sie Kilometer für Kilometer herunter. Acht deutsche Meistertitel hat sie bereits geholt - über 5 und 10 Kilometer sowie im Crosslauf. 2018 gewann sie in Berlin EM-Bronze über 10.000 Meter.

Als 2021 zur Corona-Impfung aufgerufen wurde, machte sie sich wenig Gedanken. Die erste Impfung mit Johnson-Johnson vertrug sie ohne große Komplikationen. Dann ließ sie sich kurz vor Weihnachten 2021 mit Moderna impfen. Zwei Tage nach der Impfung begann sie wieder mit lockerem Training. "Ich bekam ein Druckgefühl in der Brust. Es hat sich immer verschlimmert, sodass ich gar nicht mehr die Berge hochkam. Daraufhin habe ich mich durchchecken lassen."

Individuelle Behandlung an der Uniklinik in Ulm

An der Uniklinik Tübingen bekam die Sportlerin ein Herz-MRT. Anhand der Blutwerte wurde eine Herzmuskelentzündung festgestellt. Reh musste sich schonen. Gut sechs Wochen nach der Impfung wurde ihr dann gesagt, sie könne wieder mit lockerem Laufen beginnen. Aber die Brustschmerzen kamen wieder.

Reh ging zur Sportmedizin der Uniklinik Ulm. Hier wird sie seit ihrem neunten Lebensjahr medizinisch betreut. Professor Jürgen Steinacker, der schon seit vielen Jahren Spitzensportler betreut, erkannte bald, was im Körper der Läuferin vor sich ging. "Sie hat eine ausgeprägte Reaktion auf die Impfung bekommen, die sie massiv getroffen hat", sagt Steinacker. Es sei für einen Arzt schwer, etwas zu behandeln, was noch nicht in kontrollierten Studien behandelt wurde. Aber Steinacker traute es sich aufgrund seiner Erfahrung zu.

Vier Monate nach der Impfung merkte Reh, dass sie sich wieder mehr belasten konnte. Das Vertrauen in ihren Körper kam zurück. Mitte Juni 2022 war die Läuferin schon wieder so fit, dass sie in Oslo die WM-Norm über 5.000 Meter lief. Gut ein Jahr nach ihrer Impfung spricht die Sportlerin nun erstmals öffentlich über ihre Herzmuskelentzündung. "Es gab auch viele Corona-Leugner und Impfgegner, zu denen ich mich nicht zähle. Deshalb war ich lieber still, als etwas Falsches zu sagen."

"Das, was ich erlebt habe, möchte ich kein zweites Mal mehr erleben und auch meinem Körper nicht mehr antun", sagt Alina Reh.

"Das, was ich erlebt habe, möchte ich kein zweites Mal mehr erleben und auch meinem Körper nicht mehr antun", sagt Alina Reh.

Professor Steinacker: "Kann ziemlich dramatisch sein"

Mehr als 190 Millionen Impfdosen sind bis heute in Deutschland verabreicht worden. Dem Paul-Ehrlich-Institut wurde bisher mehr als 51.500 schwere Impfnebenwirkungen gemeldet. Das sind 0,27 Meldungen pro 1000 Impfungen.

Steinacker behandelt jeden Tag Sportlerinnen und Sportler, die entweder an "Long Covid" leiden, also an einer lang anhaltenden Erkrankung nach einer Corona-Infektion oder am sogenannten "Post-Vac"-Syndrom, das nach einer Impfung auftreten kann. "Das kann ziemlich dramatisch sein. Es kann über Monate zu einer schweren Erkrankung führen. Diese wird häufig fälschlicherweise als psychische Erkrankung klassifiziert. Dabei ist es eine durch den Impfstoff induzierte immunologische Reaktion", sagt Steinacker.

Fußballer Marius Prantner - "An Sport ist nicht mehr zu denken"

Diesen Albtraum erlebt Marius Prantner. Der 24-Jährige aus dem schwäbischen Eningen ist leidenschaftlicher Fußballer. Zuletzt spielte er in der Landesliga, trainierte vier Mal pro Woche. Doch seit anderthalb Jahren geht nichts mehr. Sein Körper spielt verrückt. "An Sport kann ich gar nicht denken. Es ist eine Qual."

Früher hat Marius Prantner leidenschaftlich gekickt, jetzt ist an Sport nicht mehr zu denken.

Früher hat Marius Prantner leidenschaftlich gekickt, jetzt ist an Sport nicht mehr zu denken.

Ein Brennen in der Brust

Prantner machte 2021 eine Ausbildung zum Physiotherapeuten. Elf Tage nach seiner zweiten Impfung mit BioNTech machte er eine Radtour auf die Schwäbische Alb. 50 Kilometer. Plötzlich spürte er ein Brennen in der Brust. Er fuhr nach Hause. "Ich hatte eine Brustenge, eine Halsenge, kompletter Kaltschweiß am ganzen Körper, Schmerzen im linken Armbereich und Herzstechen. So fing die ganze Geschichte leider damals an." Weitere Beschwerden kamen hinzu: Schwindel, Muskelschmerzen, chronische Müdigkeit.

Post-Vac-Syndrom ist eine Belastung für die ganze Familie

Es begann eine Odyssee durch verschiedene Arztpraxen. Die Mediziner waren mit dem Krankheitsbild überfordert. "Es sind mir schon Gedanken durch den Kopf gegangen, wo ich gesagt habe: Mein Leben macht so keinen Sinn mehr." Seine Ausbildung musste er unterbrechen. Seit anderthalb Monaten ist Prantner arbeitsunfähig. Seine Erkrankung ist eine Belastung für die ganze Familie. "Ich kenne ihn ganz total anders: lustig, fröhlich, sein Sport, er ist nie daheim gewesen, war immer unterwegs. Und jetzt ist das alles weg. Er liegt manchmal bloß da, dass man denkt: Jetzt ist es rum", sagt seine Mutter Yvonne betroffen.

Ärztin Lisa Federle fordert mehr Anlaufstellen

Solche und ähnliche Geschichten hört die Tübinger Ärztin Lisa Federle fast täglich in ihrer Praxis. Sie erlebt hautnah mit, wie viele Patienten darunter leiden, dass ihnen nicht weitergeholfen werden kann. "Die Impfungen haben vielen Menschen das Leben gerettet. Aber wir müssen jetzt schauen, dass wir für die Menschen Anlaufstelle sind und Anlaufstellen schaffen, wo sie schnell behandelt werden, wenn sie Long-Covid oder Post-Vac-Syndrome haben."

Das Land Baden-Württemberg unterstützt die Erforschung von Long Covid an den vier Universitätskliniken Ulm, Heidelberg, Freiburg und Tübingen mit rund neun Millionen Euro. Und "Post-Vac"? Auf SWR-Anfrage teilt das Gesundheitsministerium mit: "Eine Unterstützung der Erforschung speziell des Post-Vac-Syndroms ist derzeit nicht geplant."

"Post-Vac"-Betroffene sollten sich an die Hausarzt-Praxen wenden, heißt es vom Ministerium weiter. Spezielle Anlaufstellen wie die "Post-Vac"-Ambulanz im hessischen Marburg gibt es in Baden-Württemberg nicht, obwohl der Bedarf groß ist. Allein in Marburg werden derzeit mehr als 1.000 vorwiegend jüngere Leute behandelt. Auf der Warteliste stehen angeblich weitere 4.000.

Läuferin Hannah Stoll - Schmerzen am ganzen Körper

Zu ihnen gehört auch Hannah Stoll aus dem Raum Sigmaringen. Seit ihrer zweiten Impfung mit BioNTech vor anderthalb Jahren ist ihr Leben nicht mehr, wie es einmal war. Die 24-Jährige war früher topfit. Sie rannte bis zu 150 Kilometer pro Woche. Laufen war ihre große Leidenschaft.

Hannah Stoll war topfit, rannte bis zu 150 Kilometer in einer Woche. Heute sind längere Spaziergänge oft zu viel für ihren Körper.

Hannah Stoll war topfit, rannte bis zu 150 Kilometer in einer Woche. Heute sind längere Spaziergänge oft zu viel für ihren Körper.

Heute kann sie an guten Tagen maximal einige Kilometer spazieren gehen, danach bekommt sie starke Muskelschmerzen und ist extrem erschöpft. "Ich habe einen enormen Fatigue-Zustand entwickelt, ich lag tagelang nur auf dem Sofa. Ich habe am ganzen Körper Schmerzen gehabt. Ich lag im Bett, wusste nicht mehr, wo oben und unten war, so erschöpft war ich." Die junge Frau ging von Arzt zu Arzt. An der Uni Heidelberg wurde im April 2022 die Diagnose gestellt: Post-Vac-Syndrom. Doch eine geeignete Therapie gibt es für dieses Krankheitsbild noch nicht.

25.000 Euro in Medikamente gesteckt

Also greift Stoll nach jedem Strohhalm. 25.000 Euro hat ihre Familie bereits in Behandlungen oder Medikamente investiert. Allein die Anschaffung einer Magnetfeldmatte, die die Blutgefäße stimulieren soll, kostete 4000 Euro. In WhatsApp-Gruppen und Foren tauscht sich die junge Frau mit anderen Betroffenen aus ganz Deutschland aus. Sie sprechen sich gegenseitig Mut zu.

Das Leben der Familie Stoll hat sich in den vergangenen 18 Monaten enorm verändert. Längere Reisen oder Urlaube wie vor der Pandemie sind gestrichen, gemeinsame sportliche Aktivitäten undenkbar. Auch soziale Kontakte sind teilweise weggebrochen. Hannahs Vater Gerd erzählt: "Die Schmerzen waren manchmal so extrem, dass sie gesagt hat: 'Ich möchte so nicht mehr weiterleben. Geht, lasst mich allein'."

Trotz immer neuer Rückschläge: Hannah Stoll gibt die Hoffnung nicht auf. Sie wünscht sich, dass die Politik mehr Geld in die Hand nimmt, damit möglichst bald neue Therapieformen erforscht werden. "Ich finde, dass diejenigen, die es getroffen hat, Hilfe bekommen sollten und Anerkennung. Wir haben ja mit der Impfung auch zum Schutz von allen gehandelt; und jetzt bleibt uns die Solidarität gegenüber aus."

Bei der Bewältigung der Krankheit ist die Psyche wichtig

Professor Steinacker spricht von einer enormen Herausforderung für die Forschung. Dafür braucht er mehr Geld und Personal. Durch das Benennen von Risiko-Genen, die die Krankheit begünstigen, will er neue Therapieformen entwickeln. Der Mediziner gibt sich zuversichtlich: "Ich glaube, dass wir die meisten wieder gut hinbekommen." Wichtig sei, dass man sich nicht so viel Stress machen dürfe. "Man muss lernen abzuwarten. Die Psyche spielt eine große Rolle bei der Bewältigung der Krankheit."

Die Corona-Impfungen wurden den Menschen von der Politik mit Nachdruck empfohlen. Impfgeschädigten wie Alina Reh, Marius Prantner und Hannah Stoll muss schnell und unbürokratisch geholfen werden. Sonst wird der lange Weg zur Gesundung noch beschwerlicher.