Staff von Allianz MTV Stuttgart vor der Trainerbank

Volleyball-Bundesliga MTV Stuttgart startet ohne Trainer in die Finalserie

Stand: 02.05.2023 13:08 Uhr

Allianz MTV spielt im Finale der Volleyball-Bundesliga gegen Potsdam. Allerdings wohl ohne den schwer erkrankten Trainer Tore Aleksandersen an der Seitenlinie.

Wir drehen die Zeit zurück. Es ist Freitagabend, der 6. Mai 2022 in der Potsdamer Arena. Der vierte Akt der Finalserie der Volleyball-Bundesliga. In Summe steht es 2:1 für den SC Potsdam, Allianz MTV Stuttgart steht mit dem Rücken zur Wand. Man muss dieses Auswärtsspiel in Potsdam gewinnen, um die Meisterschaft nochmal zu vertagen. "Das war ein Thriller", erinnert sich Sportdirektorin Kim Renkema im SWR-Gespräch. Sinnbildlich die Szene von Mittelblockerin Eline Timmerman, die betend auf der Stuttgarter Bank sitzt.

Am Ende wehrt Stuttgart in Potsdam zwei Matchbälle ab und sichert sich das Entscheidungsspiel zwei Tage spätere in Stuttgart. Das gewinnt die Mannschaft von Cheftrainer Tore Aleksandersen mit 3:0 und krönt sich zum zweiten Mal zum deutschen Volleyball-Meister. Rund ein Jahr später steht Allianz MTV wieder im Finale. Wieder gegen den SC Potsdam. Und doch sind die Vorzeichen dieses Mal anders.

Der Trainer ist noch da – kann aber nicht helfen

Denn Tore Aleksandersen, der Trainer der Stuttgarter Volleyballerinnen, hat Krebs im Endstadium. Und die Behandlung, die der norwegische Trainer von Spezialisten an der Universitätsklinik in Tübingen erhält, fordert körperlich ihren Tribut. Gegen Ende der Hauptrunde war immer öfter Assistenztrainer Faruk Feray in der Coaching-Rolle zu sehen. Der türkische Co-Trainer, sonst eigentlich eher im Hintergrund tätig, musste den etatmäßigen Cheftrainer nicht nur im Viertel- und Halbfinale der Playoffs voll vertreten.

"Selbstverständlich belastet das die Mannschaft, wenn der Haupttrainer nicht da ist", sagt Kim Renkema. Der Trainer versuche allerdings trotzdem zu unterstützen. So viel wie es eben geht. "Er ist trotzdem involviert", meint Außenangreiferin Simone Lee, "wir kommunizieren sehr oft mit ihm." Trotz allem wird Tore Aleksandersen wohl auch im Finale gegen den SC Potsdam erneut nicht an der Seitenlinie stehen können.

Schwierige Situation für das Team

Dass es für das Team um Star-Spielerin Krystal Rivers schwierige Umstände sind, das ist nicht von der Hand zu weisen. Aleksandersens Krankheit war schon in der letzten Saison ein Thema, auch da verpasste der Cheftrainer Stuttgarts hin und wieder ein Spiel, da er sich Untersuchungen unterziehen musste. Dass sich die Lage um den Norweger allerdings so akut verschlechtert, das war nicht abzusehen.

"Ich wusste, bevor ich hergekommen bin, dass Tore krank ist", meint die vor der Saison aus Italien an den Neckar gewechselte Marie Schölzel. "Dass es jetzt so ernst geworden ist, bedrückt natürlich." Auch die Liga zeigt Anteilnahme, beim letzten Hauptrundenspiel in Dresden präsentierten die Fans der Gastgeberinnen ein Banner mit der Aufschrift "Gute Besserung Tore". Aleksandersen bedankte sich danach via Social Media. Aber auch die Spielerinnen sehen diese Gesten natürlich. Für Marie Schölzel keine einfache Situation "Es ist natürlich schwer. Zwar versuchst du, wenn das Spiel losgeht, deinen Fokus voll im Spiel zu haben. Gleichzeitig ist er eben aber auch einfach nicht da, das fehlt schon."

Für die Spielerinnen ist das eine hohe Belastung - vor allem mental. Eigentlich müssen sie sich auf ihre Leistung konzentrieren, dabei ausblenden, dass der Cheftrainer nicht an der Seitenlinie stehen kann. Und trotzdem ist Allianz MTV Stuttgart wieder im Finale, jetzt zum achten Mal in Folge. "Ich bin sehr stolz auf die Mannschaft, auf das gesamte Umfeld. Wir sind zum achten Mal im Finale, das ist keine Selbstverständlichkeit. Den Umständen entsprechend sind wir da sehr froh", äußert Kim Renkema

Sportpsychologe Hermann: Allianz MTV ein "offensichtlich gesundes System“

Auch das spricht für die Mannschaft, für den Verein. Man möchte die Situation nicht als Ausrede gelten lassen, natürlich möchte man die Meisterschaft gewinnen. Doch um all das aufzufangen, muss es eben auch intern sehr gut stimmen. Schölzel: "Wir wissen wie wir miteinander umzugehen haben, wenn Tore nicht da ist. Auch die Werte weiterzutragen, die uns da vermittelt wurden. Ich glaube, das schaffen wir bisher gut."

Spielerinnen und Staff führen also die Arbeit von Tore Aleksandersen weiter, die zu Beginn der Saison vom Norweger selbst mit dem Team begonnen wurde. Diese Tatsache und auch, dass der Verein sich für die Situation rund um ihren Cheftrainer klar sensibilisiert hat, zeugen von einem stabilen Konstrukt. So wurde zum Beispiel in einem Vorbereitungsspiel mit Co-Trainer Feray an der Seitenlinie der Ernstfall getestet.

Der Psychologe der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, Hans-Dieter Hermann, spricht hier von einem "offensichtlich gesunden System". "Da gibt es keine Abhängigkeiten, sondern da kann Verantwortung auch übertragen werden, man vertraut sich gegenseitig, auch dem Co-Trainer. Da scheint vieles im Fluss zu sein", sagt der Sportpsychologe. Das System trage sich dann auch selbst, was vor allem aber für Aleksandersens Arbeit vor dem schwereren Verlauf der Erkrankung spreche, meint Hermann.

Extra Motivation für das Finale?

Nun steht Allianz MTV vor der am Dienstagbend beginnenden Final-Serie gegen den SC Potsdam und möchte trotz der Umstände den ersten Schritt in Richtung des dritten Meistertitels der Vereinsgeschichte gehen. "Wir haben einen Weg gefunden, Tore versucht uns zu unterstützen", sagt Renkema. "Natürlich wäre es besser, wenn er fit wäre. Aber für uns soll das keine Ausrede sein, um nicht im Finale voll anzugreifen."

Laut Hans-Dieter Hermann könnte die schwierige Situation auch Kräfte freisetzen. "Die Situation lässt die Spielerinnen ja erstmal in einer gewissen Hilflosigkeit zurück. Aber das Gefühl, möglichst gut zu performen, gibt ein kleines bisschen Kontrolle. Man hat das Gefühl, man kann für den Trainer was tun, indem man gut spielt. Das kann auch eine extra Portion Zusatzmotivation auslösen."

Das sieht auch Simone Lee so. "Es gibt uns nochmal mehr Motivation, um noch härter zu arbeiten", sagt die US-Amerikanerin. Sportdirektorin Renkema will sich indes auf keinen Favoriten für die Final-Serie festlegen. Sagt aber auch: "Hoffentlich können wir allen Volleyball-Fans wieder so eine Serie wie letztes Jahr bieten."