Nach Post-Olympia-Depression Judo-Weltmeisterin Anna-Maria Wagner hat ihr Feuer wiedergefunden

Stand: 14.12.2022 11:31 Uhr

Anna-Maria Wagner, Judo-Weltmeisterin 2021, fühlt sich wieder wohl auf der Matte. Nach vielen Rückschlägen blickt die Ravensburgerin optimistisch der Olympia-Qualifikation entgegen.

Trotz ihrer post-olympischen Depressionen, drei Corona-Infektionen in diesem Jahr und einem enttäuschenden WM-Verlauf kann Anna-Maria Wagner wieder positiv nach vorne schauen. Beim Grand Slam in Tokio wurde die Ravensburgerin Anfang Dezember Fünfte. Das ist zwar noch nicht ganz das, was in ihr steckt, aber sie hat ihr Feuer wiedergefunden. Außerdem hat sie wichtige Punkte für die bereits laufende Olympiaqualifikation gesammelt.

Fünfter Platz beim Grand Slam in Tokio

Nach einem Jahr mit vielen Tiefen läuft es wieder gut für die 26-jährige Judoka. Beim Grand Slam in Tokio kam sie gut in den Wettkampfmodus und besiegte in ihrer Gewichtsklasse bis 78 Kilo direkt im ersten Kampf die starke Französin Fanny Estelle Posvite mit Ippon. Erst im dritten Kampf musste sie sich Shori Hamada (Japan) geschlagen geben. Den anschließende Kampf um die Bronzemedaille gegen die niederländische Natascha Ausma verlor Wagner nur knapp. "Sie hat mich einmal sauber erwischt, da konnte ich nicht mehr ausweichen. Das ist beim Judo manchmal einfach so", schätzte sie ihre Niederlage realistisch ein. Insgesamt zog die Ravensburgerin eine positive Bilanz von ihrem ersten Wettkampf nach den Weltmeisterschaften: "Beim ersten Kampf direkt hatte ich ein cooles Gefühl, und da wusste ich 'jo, du bist zurück'."

Neben dem guten Wettkampfgefühl nimmt Wagner aus Tokio entscheidende Punkte für die Olympiaqualifikation in Paris mit. Für die Quotenplatzvergabe der Spiele 2024 ist die Weltranglistenplatzierung ausschlaggebend. Vom 20. bis zum 22. Dezember findet in Jerusalem der letzte große Wettkampf des Jahres statt. Er zählt ebenfalls für die Olympiaqualifikation, und Anna-Maria Wagner rechnet sich gute Chancen aus: "Ich bin mir sicher, dass es besser laufen wird und ich auf dem Podest stehen werde."

Kampfgeist trotz post-olympischer Depression

Dass Anna-Maria Wagner wieder in der Judo-Weltelite mitkämpft, war vor einem Jahr noch nicht absehbar. Nach den Olympischen Spielen in Tokio, bei denen sie im Einzel und im Team-Wettbrwerb die Bronze-Medaille gewann, fiel sie in ein Loch und konnte sich lange Zeit nicht motivieren. Sie stellte sogar die Fortsetzung ihrer sportlichen Karriere in Frage. Unter anderem die Unterstützung ihres Sportpsychologen half ihr über die schwierige Zeit hinweg.

Dann infizierte sie sich Anfang Januar mit Corona - ausgerechnet in der Woche, in der sie wieder in den Trainingsalltag einsteigen wollte. Ein Rückschlag. Doch Wagner gab nicht auf und kämpfte sich wieder Stück für Stück an die Weltspitze heran. Im April meldete sie sich mit einem kraftvollen Grand-Slam-Sieg in Antalya in der Weltspitze zurück. "I am back" schrieb sie auf Instagram. Kurz darauf ein weiterer Grand-Slam-Sieg in Tiflis - Wagner setzte erneut ein Ausrufezeichen. Nach der Erfolgsphase nahm ihr jedoch wiederum eine weitere Corona-Erkrankung den Wind aus den Segeln. Den ersten Grand-Slam, der Punkte für die Olympia-Qualifikation 2024 gesichert hätte, musste die Judoka daraufhin absagen. Dem Jahreshöhepunkt fieberte die Kämpferin trotzdem optimistisch endgegen.

Bei der WM fehlte das Feuer

Bei den Weltmeisterschaften im uzbekischen Taschkent im Oktober lief es allerdings nicht so wie sich die 26-Jährige ihren Jahreshöhepunkt vorgestellt hatte. Als Weltranglistenerste - allerdings auch mit einigem Trainingsrückstand - angereist, zeigte Anna-Maria Wagner zunächst zwei starke Kämpfe, im Viertelfinale unterlag sie dann aber ihrer Teamkollegin Alina Böhm und konnte auch in der Trostrunde nicht die japanische Olympiasiegerin Shori Hamada bezwingen. Am Ende bedeutete das den 7. Platz. Endlos enttäuscht war die 26-Jährige jedoch nicht: "Ich habe es schnell akzeptieren können, weil ich für mich nicht alles gegeben habe an dem Tag, und ich finde, wenn man nicht alles gibt, kann man auch nicht alles erwarten." Die Judoka war sich sicher, dass der Kampfmodus zurückkommen wird.

Olympia im Blick: Qualifikation für Paris 2024 läuft bereits

Wagners Judo-Kalender ist voll. Seit Ende Juni läuft die Qualifikation für die olympischen Spiele 2024. Die Zeit bis Mai 2023 gilt als erster Teil der Ausscheidungen, dann folgt die WM in Doha, und anschließend beginnt die zweite olympische Qualifikationsphase. Der Judoka ist wichtig, von Anfang an hohe Punktwertungen zu erkämpfen, um die bestmöglichen Voraussetzungen für eine gute Setzung in Paris zu haben. Die Olympischen Spiele hat Anna-Maria Wagner fest im Blick. Sie waren "schon immer mein Ziel, aber ich konnte mich Anfang des Jahres nicht so richtig damit identifizieren. Man hat das Ziel schon im Kopf, aber das ist, als wenn man es irgendwo aufschreibt und in eine Schublade legt. [...] Jetzt kann ich sagen, dass ich zu 100 Prozent dahinter stehe."

Es wird kein leichter Weg nach Paris. Nur ein nationaler Startplatz wird pro Gewichtsklasse vergeben. Vor allem Europameisterin Alina Böhm (Heubach), die erst seit 2021 in der Gewichtsklasse bis 78 Kilogramm kämpft, wird etwas dagegen haben. Für Wagner ist die zusätzliche Konkurrenzsituation eine Veränderung: "Jetzt ist es eine neue Situation, weil man sich jeden Tag sieht und auch zusammen trainiert, was nicht unbedingt schlecht ist, aber es ist anders. Man muss da schon anders mit umgehen und mit dem Kopf daran arbeiten."
Am Ende wird die mentale Stärke entscheidend sein. Eine Sache ist gewiss: Das Feuer darf nicht fehlen.