Die Mannschaft von Rot-Weiß Erfurt feiert mit den Fans (imago images/Christoph Worsch)

Regionalliga Nordost Wie Rot-Weiß Erfurt vom Oberliga-Aufsteiger zum Cottbus-Verfolger wurde

Stand: 10.03.2023 06:25 Uhr

An der Tabellenspitze der Regionalliga Nordost hat Energie Cottbus es überraschend mit einem Aufsteiger zu tun. Der Traditionsklub Rot-Weiß Erfurt hat schwierige letzte Jahre hinter sich, ist nun aber wieder zurück auf dem Weg nach oben. Von Lukas Witte

Die Spannung im Kampf um die Meisterschaft könnte in der Regionalliga Nordost in dieser Saison wohl kaum größer sein. Nachdem lange Zeit die gesamte obere Tabellenhälfte in Schlagdistanz zur Spitze war, hat sich mittlerweile nach und nach ein Zweikampf herauskristallisiert.
 
Derzeit steht Energie Cottbus auf der Pole Position und hat wie jedes Jahr große Ambitionen, den Sprung in die 3. Liga zu schaffen. Doch dass der direkte Verfolger und Kontrahent um die Tabellenspitze ein Aufsteiger aus der Oberliga sein würde, damit hatte vor der Saison wohl niemand gerechnet.

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Die große Überraschung

Mit nur einem Punkt Rückstand und einem Spiel weniger steht Rot-Weiß Erfurt hinter den Lausitzern auf Platz zwei. Zuvor hatte der Traditionsklub aus Thüringen zwei Wochen lang sogar die Führung übernommen, doch wegen einer witterungsbedingten Spielabsage gab es in dieser Woche für sie keine Chance zu punkten und die Spitze zu verteidigen.
 
Dass Erfurt in der Regionalliga direkt um die Meisterschaft und damit die Teilnahme an den Aufstiegsspielen mitspielen würde, überrascht selbst den eigenen Trainer. "Natürlich war das Ziel, diesen tollen Traditionsklub in ruhigere Gewässer zu bringen und zu sportlichen Erfolgen zu verhelfen, aber es war nicht absehbar, wie schnell das geht", sagt Fabian Gerber.

Vater-Sohn-Gespann brachte Erfurt zurück auf Spur

Dabei liegen die besseren Zeiten noch gar nicht so lange zurück. In der Saison 2004/05 spielte RWE noch in der 2. Bundesliga und war später eines der Gründungsmitglieder der 3. Liga, in der sich der Verein ein Jahrzehnt lang immer im Tabellenmittelfeld bewegte. 2018 folgte der sportliche Niedergang: Als abgeschlagenes Tabellenschlusslicht kam Erfurt in finanzielle Schwierigkeiten und meldete Insolvenz an. Der damit verbundene Punktabzug besiegelte den Abstieg in die Regionalliga, womit der Verein zum ersten Mal in seiner Geschichte nur noch viertklassig spielte. Mit Hilfe von Sponsoren sollte es schnell zurück nach oben gehen, doch die Finanzprobleme setzten sich fort, sodass die erste Mannschaft 2020 den Spielbetrieb einstellen musste und in die Oberliga abstieg.
 
Gerade als der Traditionsklub am Boden schien, brachte ein Familien-Duo neue Hoffnung nach Erfurt. Der ehemalige Bundesliga-Spieler Franz Gerber wurde zum neuen Geschäftsführer und installierte im Sommer 2021 seinen Sohn Fabian als Trainer. Dieser führte die Mannschaft direkt zu einer Rekordsaison: Mit 20 Punkten Vorsprung wurde Rot-Weiß in der Südstaffel der Oberliga Meister und gewann dabei die letzten 19 Spiele in Folge. "Es war erst einmal der Plan, hier gewisse Strukturen reinzubringen. Am Anfang der Oberliga-Saison war an einen Aufstieg nicht zu denken", erinnert sich Trainer Gerber.

Ein schneebedeckter Fußball (imago images/Eibner)
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Oberliga-Spieler mit starker Entwicklung

Und auch in der Regionalliga setzt der Aufsteiger die gute Form einfach fort. Viele der Spieler aus dem vergangenen Jahr sind geblieben und haben sich mittlerweile auch eine Klasse höher durchgesetzt. "Die haben eine total eingespielte Mannschaft mit überdurchschnittlichen Spielern. Was aber nicht heißt, dass die alle aus dem Profibereich kommen", erklärt Ronny Eichhorn, der Rot-Weiß Erfurt als Journalist für den MDR begleitet. "Die beiden Gerbers haben es verstanden, aus der Region Spieler zu holen, die jetzt in der Regionalliga absolute Stamm- und Spitzenspieler geworden sind", sagt er.
 
Ein Beispiel dafür ist Stürmer Romario Hajrulla, der im Winter vergangenen Jahres aus der zweiten Mannschaft von Carl Zeiss Jena kam und sich seitdem enorm entwickelt hat. Acht Tore und fünf Vorlagen gehen in der aktuellen Saison bereits auf sein Konto.

Bescheidenheit wird groß geschrieben

Zusätzlich zu den eingespielten Oberliga-Spielern gab es aber auch namenhafte Neuverpflichtungen. Im Februar verstärkte sich Erfurt mit Osayamen Osawe und Caniggia Elva, die beide Zweit- und Drittligaerfahrung vorzuweisen haben. "Wenn du siehst, was die für Potential haben, dann scheinen die Gerbers da irgendwie ein Händchen für zu haben. Sie haben punktuell genau die richtigen Leute geholt, die auch zum Verein passen", sagt Eichhorn.
 
"Ich glaube, dass wir einen guten Mix zwischen Jung und Alt gefunden haben. Die Spieler sind nicht willkürlich verpflichtet worden, sondern da steckt ein Plan dahinter", erläutert der Trainer die Transferstrategie. Dabei sei es nicht immer leicht gewesen, die Verhandlungen zu führen und die guten Spieler vom Verein zu überzeugen. Noch immer hängt die Insolvenz den Thüringern nach. "Wir mussten ganz kleine Brötchen backen. Es ist schon ein Wunder, dass wir aktuell mit den ganz Großen mitmischen. Wir haben nach wie vor eine der jüngsten Mannschaften und einen der kleinsten Etats der Liga", sagt Gerber.

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Ob die Gehälter tatsächlich so niedrig sind, bezweifelt Journalist Eichhorn. "Das ist glaube ich auch ein bisschen Understatement", sagt er. Trotzdem sei auch klar, dass sie finanziell von den anderen Teams an der Regionalliga-Spitze ein ganzes Stück entfernt sind. Und Understatement gehört zur Strategie des Traditionsklubs. "Wir dürfen da oben dabei sein und wollen die Großen natürlich so lange wie möglich ärgern, aber eigentlich haben wir da noch nichts verloren", gibt sich der Trainer bescheiden.

Große Chance für die ganze Region

Derzeit ärgern sie Energie Cottbus und setzen diese im Kampf um die Meisterschaft unter Druck. Eichhorn glaubt, dass das auch bis zum Ende so bleiben könnte: "Der Kader ist relativ breit aufgestellt. Eigentlich müssen die sich nicht hinter Cottbus verstecken." Die Chance auf eine Teilnahme an den Aufstiegsspielen und einen Durchmarsch zurück in die 3. Liga ist also groß.
 
Es wäre ein Erfolg, der für die gesamte Region enorm wichtig wäre. Derzeit gibt es in ganz Thüringen nicht einen Verein, der höher als Regionalliga spielt. "Die Hoffnung in der Region auf bessere Zeiten sind wieder da. So, wie es sie vor vielen Jahren schon einmal gegeben hat. Viele machen uns zu einem der Mitfavoriten. Das ist schön und ehrt unsere gute Leistung und Arbeit, aber wir bleiben demütig und auf dem Boden. Wir gucken einfach, was am Ende passiert. Aber was bis jetzt geleistet worden ist, ist schon sensationell", sagt Gerber.

Sendung: rbb24, 09.03.2023, 18 Uhr