Verschwundene Vereine | Wacker 04 Berlin Wie es ein Berliner Arbeiterklub fast in die Bundesliga geschafft hätte

Stand: 04.01.2023 17:29 Uhr

Wacker Berlin war in den 1970er Jahren eine große Nummer. Auch, weil an der Seitenlinie der Reinickendorfer oft erfolgreiche Trainer standen. Doch in der entscheidenden Bundesliga-Aufstiegsrunde sei es zur "Katastrophe" gekommen, erzählt Klub-Biograph Markus Franz. Der dritte von fünf Teilen der rbb|24-Serie über 'verschwundene Vereine' aus Berlin

Berliner Fußballvereine haben (Negativ-)Rekorde aufgestellt, unzählige Profis hervorgebracht, für unvergessene Spiele gesorgt. Einige dieser Berliner Klubs existieren heute nicht mehr. rbb|24 stellt sie vor: die verschwundenen Vereine (bisher erschienen: Spandauer SV, SC Tegel). Dieses Mal: Wacker 04 Berlin, der Reinickendorfer Verein, dem fast der Aufstieg in die Bundesliga geglückt ist.

Ist die Geschichte des verschwundenen Fußballklubs SC Wacker 04 eine schöne oder eine traurige? Die Antwort von Markus Franz klingt jedenfalls wehmütig. Die Atmosphäre und Verbundenheit wären einzigartig gewesen, deswegen mache es auch so viel Spaß, "in den Erinnerungen zu wühlen”, sagt der Autor der "SC Wacker - Fußballfibel".

Ein "historischer Sieg" mit schriftlicher Bescheinigung

Der SC Tegel sorgte Anfang der 60er völlig überraschend für einen der größten Momente der Berliner Amateurfußball-Geschichte. Das hat der Berliner Fußball-Verband sogar schriftlich bescheinigt. Mittlerweile ist von dem Verein aber nicht mehr viel übrig. Der zweite von fünf Teilen der rbb|24-Serie über 'verschwundene Vereine' aus Berlinmehr

Wacker, ein Arbeiterverein

Heute scheint nur noch wenig an den Verein aus Reinickendorf zu erinnern, der mal fast in die Bundesliga aufgestiegen ist. Auf dem Wackerplatz spielen mittlerweile die Reinickendorfer Füchse. Und als Markus Franz im Kindesalter Anfang der 1980er Jahre zum Verein stieß, waren die großen Zeiten schon vorbei.
 
Trotzdem: "Wenn man hier aufwuchs und sich für Fußball interessierte, hieß es direkt: 'Geh doch zu Wacker'", erinnert sich der 51 Jahre alte Reinickendorfer. "Das war halt unser Kiez." Genau wie sein eigentlicher Lieblingsverein, der VfL Bochum, habe auch Wacker in Berlin über das Image eines Arbeiterklubs verfügt, "ein Verein der kleinen Leute", wie er sagt. Auch wenn er als Wacker-Mitglied eher sportliche Tristesse miterlebt hatte: "Die großen Zeiten hallten noch nach", sagt er.

Markus Franz

Vereins-Biograph Markus Franz

Eins späterer Bayern-Trainer an der Seitenlinie

Wacker 04 hatte den Vorteil, dass die Mannschaft stets über herausragende Trainer verfügte. Franz nennt Heinz Lucas, der später auch Fortuna Düsseldorf trainieren sollte. Den legendären Pal Csernai, der Jahre darauf mit dem FC Bayern München Erfolge feierte. Und Klaus Barsikow, der den Verein geprägt haben dürfte, wie niemand sonst. "Der einzige Trainer in Deutschland, der mir bekannt ist, der einen einzigen Klub in sechs verschiedenen Ligen trainierte", schwärmt Markus Franz.
 
In der Zeit des geteilten Deutschlands verfügte der West-Berliner Klub außerdem zeitweise über einen entscheidenden Standort-Vorteil: Die erfolgreichsten beiden Mannschaften der damaligen Regionalliga Berlin konnten an der Bundesliga-Aufstiegsrunde teilnehmen - und sich damit direkt mit den großen Klubs messen. 1972 und 1973 waren die Reinickendorfer gegen Traditionsteams wie Rot-Weiss Essen und Offenbach noch ohne Chance.

Aber 1974 hätte der Aufstieg gelingen können, glaubt Franz. Es sei die beste Wacker-Mannschaft aller Zeiten gewesen: mit Bernd Sobeck – Sohn der Hertha-Legende "Hanne" Sobeck, mit Hans-Joachim Altendorff, der vorher Hertha-Kapitän gewesen war, sowie dem Stürmer Reinhard Lindner.
 
Mit einem sensationellen 1:0-Sieg startete man die Runde beim 1. FC Saarbrücken, gar mit 5:0 wurde der 1. FC Nürnberg überrumpelt. Nach dem dritten Spiel - einem 1:1 gegen Wattenscheid - "die Katastrophe", wie Franz sagt. Im Training verletzten sich gleich drei Leistungsträger, die deswegen für das wichtige Spiel gegen Konkurrenten Eintracht Braunschweig passen mussten: Torhüter Peter Scholich, Libero Sobeck und Spielmacher Hansi Mielke. "Das heißt, Wacker spielte das entscheidende Spiel gegen Braunschweig ohne Torwart, ohne Libero, ohne Mittelfeldregisseur", sagt Franz. Die Partie ging 1:3 verloren. "Hätten sie dieses Spiel gewonnen, wären sie wahrscheinlich in die Bundesliga aufgestiegen." Nach der Niederlage wurde Wacker in der Aufstiegsrunde sukzessive nach unten durchgereicht.

Der Kipppunkt war erreicht

Immerhin durfte Wacker in der darauffolgenden Saison in der neugegründeten "2. Bundesliga – Staffel Nord" starten. Doch die großen Erfolge blieben aus, und der Kipppunkt war erreicht. "Es ging schon damit los, dass die Spieler von nun an Handgeld verlangten", sagt Franz. Doch woher sollte das Geld kommen? Von den nur rund 2.000 Zuschauern am Wackerplatz jedenfalls nicht. Und von TV- oder Marketing-Geldern konnten Klubs, die nicht in der Bundesliga spielten, damals nur träumen. Der Verein nahm immer höhere Schulden auf, irgendwann sei die Rede von einer Million Mark gewesen, so Franz.

"Fußball war eine Identifikationsfläche für Heimat und das ist einfach weg"

Hardy Grüne hat sich jahrelang mit dem Verschwinden von Traditionsvereinen beschäftigt. Im Interview spricht er über die Liebe zum Regionalfußball - und er erzählt, was er tat, als sein Lieblingsverein verschwand.mehr

Ein Wacker-Fan aus Dänemark

1994 zog der langjährige Präsident Fitz Herz einen Schlussstrich, löste den Verein auf. Zwischenzeitlich fusionierte man noch mit Konkurrenten BFC Alemannia, eine Idee, die Franz heute als “gruselig” bezeichnet. “Bei Fusionen geht alles verloren.”
 
Die Geschichte des Fußballklubs SC Wacker 04 - eine schöne oder eine traurige? Es gebe da noch eine andere Geschichte, sagt Franz, eine persönliche, die erst die Leidenschaft für Wacker ermöglicht habe. Anfang der 90er, bei einem Spiel gegen den Spandauer SC, stand ein Mann mit lila Schal am Spielfeldrand, den Farben von Wacker. Franz habe sich gewundert: Eigentlich habe man sich unter Wacker-Anhängern gekannt, sagt Franz, aber dieser Herr war neu – und dann gleich mit Fanschal? Es war ein Mann aus Dänemark, wie sich herausstellte, Anwalt von Beruf, in den 70ern hatte er regelmäßig seinen Onkel in Berlin besucht und dann zusammen die Heimspiele von Wacker. Das Kind von damals wurde groß, doch die Liebe zu Wacker blieb.
 
Den Mann aus Dänemark und Markus Franz verbindet mittlerweile eine Freundschaft zwischen Dänemark und Reinickendorf. Eine schöne Geschichte.

Sendung: rbb24Inforadio, 04.01.2022, 08:15 Uhr