ARD-Themenwoche | FSV Groß Kreutz Vom Krisenverein zur Leidenschaft einer ganzen Gemeinde

Stand: 14.11.2022 06:06 Uhr

Im Oktober wurde der FSV Groß Kreutz mit dem Stern des Sports in Silber für seinen besonderen Wandel in den letzten Jahren ausgezeichnet. Das Engagement geht mittlerweile weit über die Gemeinde hinaus und lockt Familien aus der ganzen Region. Von Flynn Jacobs

Bei der Einfahrt mit dem Auto in das von außen unscheinbare Dorf Groß Kreutz (Havel) im Landkreis Potsdam-Mittelmark fällt einem zunächst nichts Besonderes auf. Ein paar Einfamilienhäuser hier, ein Supermarkt dort, ein paar wenige Restaurants und Geschäfte und eine Dorfkirche. Auch beim Hören des Namens denkt der Ottonormalverbraucher womöglich zuerst an den ehemaligen Fußballer und Weltmeister Kevin Großkreutz. Doch die Gemeinde macht sich mittlerweile selbst einen Namen. Alles dank eines Sportvereins.

Silberner Stern
FSV Groß Kreutz als bester Verein Brandenburgs ausgezeichnet

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Besondere Auszeichnung für ein ganzes Dorf

Groß Kreutz schaffte es im Oktober über die kleine Ortszeitung hinaus in die großen Medien. Zu verdanken hat es die Gemeinde dem ortsansässigen Sportverein, dem FSV Groß Kreutz. Im Oktober wurde dieser vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) für sein gesellschaftliches Engagement geehrt. Die "Sterne des Sports" werden seit 2004 jährlich vom DOSB und den deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken zunächst auf lokaler (Bronze), in der zweiten Runde auf regionaler (Silber) und final auf Bundesebene (Gold) vergeben.
 
Der FSV Groß Kreutz setzte sich mit seinem Projekt "Sportverein im Wandel" nach der Bronze-Auszeichnung im September anschließend auch auf Landesebene durch. Nun wird der Verein als Landessieger das Land Brandenburg auch auf der "goldenen" Bundesebene bei der Verleihung am 23. Januar 2023 vertreten.
 
Die Überraschung bei der Silber-Vergabe war groß, die Freude in der Gemeinde riesig. Dabei hätte sich vor einigen Jahren in Groß Kreutz niemand diese Entwicklung ausgemalt. Diese kam damals eher gezwungenermaßen, als dem Verein eine Existenzkrise drohte.

Ein Fußballverein erfindet sich neu

Die Ehrung des DOSB erhielt der FSV Groß Kreutz für den starken Strukturwandel, der in den letzten fünf Jahren vollzogen und durch ehrenamtliche Arbeit gestemmt wurde. 2017 befand sich der FSV als reiner Fußballverein in einer Krise mit mäßiger Aussicht auf eine Besserung. Die Zahl der Mitglieder schrumpfte bedenklich, es gab keinen Nachwuchs mehr und einige Mannschaften mussten sogar abgemeldet werden. Die Vereinsführung um den Vorsitzenden Thomas Radant und seinen Stellvertreter Marcel Lukas entwickelte für die Rettung daher ein Konzept unter dem Motto "Sport für die ganze Familie".

Die Bewohner der Gemeinde sollten wieder mehr Freude am Sport und am Vereinsleben entwickeln. Im Zuge dessen hat der FSV in den vergangenen fünf Jahren insgesamt elf neue Sportabteilungen ins Leben gerufen, alle ermittelt durch die Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner im Ort. "Die Initialzündung war einfach festzustellen, dass es einen riesengroßen Bedarf gibt. Es gab eine große Nachfrage eines breiten Sportangebots im Ort", sagt Marcel Lukas, Vize-Vorsitzender des FSV. Zum Fußball kam ein buntes Potpourri an Angeboten hinzu, von klassischen Sportarten wie Volleyball, Badminton und Fitness über etwas speziellere wie Bambinisport, Gesundheitssport Ü60, Yoga und Streetdance.

Der stellvertretende Vorsitzende des FSV Groß Kreutz Marcel Lukas beim Streetdance-Training (rbb)

Marcel Lukas beim Street-Dance-Training

Starkes Mitgliederwachstum trotz Corona

Die Neuausrichtung des FSV vom Einspartenverein zum "Sport für die ganze Familie" war trotz einiger Widrigkeiten wie der Corona-Pandemie ein voller Erfolg. Die Nachfrage in der Gemeinde war sofort riesengroß, die Zahl der Mitglieder wuchs von knapp 70 im Jahr 2017 auf 409 an. Heute ist fast jeder Zweite im Dorf in irgendeiner Art und Weise im Verein aktiv. In einigen Groß Kreutzer Familien ist jedes einzelne Familienmitglied beim FSV aktiv und übt seinen neu entdeckten Sport aus.

 
Die Unterstützung in der Gemeinde ist riesig, immer wieder werden durch Spenden und Fördergeldgeber aus der Umgebung neue Anschaffungen und Modernisierungen ermöglicht. Erst kürzlich erhielt der Verein einen Fördergeldzuschlag in Höhe von 600.000 Euro im Rahmen des "Goldenen Plans Brandenburg" für den Ausbau des Vereinshauses. Das Dorf ist durch den Sportverein nochmal deutlich näher zusammengewachsen, mit dem FSV als gemeinsamen Nenner. "Es ist tatsächlich wie eine große Familie. Wenn man durch den Ort fährt, hebt man eigentlich nur noch die Hand und ist nur noch am grüßen, weil man so viele Leute kennt", sagt Marcel Lukas.

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Kein Ende des Erfolgs in Sicht

Neben der beeindruckenden Entwicklung des FSV sind der gesellschaftliche Einfluss und das Engagement der Beteiligten ausschlaggebend für die Preisverleihung gewesen. Marcel Lukas und seine Ehefrau Marie arbeiten ehrenamtlich für den Verein. Lukas ist gebürtiger Groß Kreutzer und dem Ort sowie dem Verein schon sein ganzes Leben lang stark verbunden. Die Arbeit im Verein ist für ihn und seine Frau daher eine Herzensangelegenheit. Eine Arbeitszeit von 30 Stunden oder mehr in der Woche ist keine Seltenheit für die beiden. "Es ist die Begeisterung fürs Ehrenamt, die Begeisterung mit Kindern zusammen zu arbeiten. Und solange es nicht so viel Kraft kostet, dass es keinen Spaß mehr macht, ist die Welt in Ordnung. Und an diesem Punkt war ich noch nie", sagt Lukas.
 
Ein Ende des Vereinszuwachses ist nicht in Sicht, das Interesse im Dorf und auch in der umliegenden Region ist überwältigend. In einigen Sportgruppen wie den Bambinis muss den Bewerbern deswegen sogar teilweise abgesagt werden. Der FSV scheint den ganzen Landkreis mit der Sportbegeisterung anzustecken. Nun hofft der Verein bei der Vergabe der Sterne des Sports im Januar, welche von Bundeskanzler Olaf Scholz verliehen werden, auf eine erneute Überraschung. Und wer weiß, vielleicht öffnet ein Titel bei den goldenen Sternen die Tür zum neuen großen Sportzentrum für ganz Brandenburg. Noch ist der FSV Groß Kreutz nicht am Ende seiner Entwicklung.

Sendung: rbb UM6, 11.11.2022, 18 Uhr