Berlins Marvin Plattenhardt (l) kämpft gegen Munas Dabbur von TSG Hoffenheim um den Ball. (Foto: Andreas Gora/dpa)

Analyse nach dem 1:1 gegen Hoffenheim Hertha findet sich

Stand: 03.10.2022 10:43 Uhr

Das 1:1 gegen die TSG Hoffenheim hielt für Hertha BSC gleich mehrere Erkenntnisse bereit: Zwar ist das Team nur schwer zu schlagen, doch tut es sich auch mit dem Gewinnen schwer. Allmählich findet Hertha sein Niveau. Von Marc Schwitzky

Wer in der Länderspielpause das Fenster in die Welt von Hertha BSC aufgemacht hat, konnte meinen, in eine Zeitmaschine gefallen zu sein. Die Stimmung vom späten Ausgleich in Mainz getrübt, ein Rechtsstreit mit Noch-Torhüter Rune Jarstein und die Geschichte rund um einen angeblichen Spionage-Auftrag Windhorsts zur Diskreditierung von Ex-Präsident Werner Gegenbauer - das altbekannte Herthas-Chaos war perfekt. Die letzten Tage erinnerten an die vergangenen Jahre, in denen die "alte Dame" beinahe wöchentlich für neue Schlagzeilen sorgte und einfach nicht zur Ruhe kommen wollte.

Und dann auch noch Hoffenheim als kommender Gegner. Nach dem letzten Spiel gegen die TSG im April 2021 - dem ersten unter Felix Magath - holte Lars Windhorst zum Schlag gegen Gegenbauer aus. Öffentliche Schlammschlacht, Abwahlanträge, Präsidiumswechsel, Bernstein vs. Steffel, Neuanfang - der Rest ist Geschichte. Womöglich zeichnen die vergangenen Tage und auch das letztendliche 1:1-Unentschieden gegen Hoffenheim am Sonntag aber ein neues Bild von Hertha - ein wesentlich stabileres, in dem der Hauptstadtklub allmählich seinen Platz findet.

Hertha BSC - TSG 1899 Hoffenheim, v.l. im Zweikampf Dennis Geiger TSG 1899 Hoffenheim und Wilfried Kanga Hertha BSC, 02.10. 2022. (Quelle: imago images/S. Räppold)
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Windhorst-Causa - Hertha lässt sich nicht beirren

Da wäre zunächst die Geschichte rund um Investor Lars Windhorst, der laut der Financial Times eine israelische Sicherheitsfirma damit beauftragt haben soll, mit Privatdedektiven den damaligen Präsidenten Werner Gegenbauer und dessen Umfeld auszuspionieren. Darüber hinaus soll mit Social-Media-Bots und gekauften Fans, wie beispielsweise einem Karikaturisten, das Ziel verfolgt worden sein, das Meinungsbild der Hertha-Fans von Gegenbauer zu manipulieren.
 
Ein dickes Brett. Die Vorwürfe wiegen schwer, das Verhältnis zwischen Investor und Verein ist einmal mehr belastet. Hertha unter Rigide von Neu-Präsident Kay Bernstein richtet die erste Kommunikation an die Vereinsmitglieder selbst. Die Verantwortlichen erbitten sich Zeit, alle Informationen zu sammeln und zu prüfen - dazu gehört auch eine Stellungnahme Windhorsts selbst - bevor sie sich öffentlich zum Fall äußern. Spekulationen wird es nicht geben. Eine souveräne, weil schnelle und nachvollziehbare erste Reaktion. Das Bild des Chaos-Vereins wird hier keinesfalls mehr bedient, stattdessen die von Bernstein und auch Geschäftsführer Fredi Bobic so oft betonte Geschlossenheit vorgelebt.

Eine schwache erste Halbzeit

Und dann ist da ja noch das Sportliche, das fast schon wieder drohte unterzugehen. Nach der Länderspielpause und den zwei Unentschieden gegen Bayer Leverkusen und Mainz 05 stand die Frage im Raum, wo sich Hertha 2022/23 in der Bundesliga einzuordnen hat - im Spagat zwischen den Punkten, die es potenziell hätten sein können und denen, die es letztendlich geworden sind.
 
Gegen Hoffenheim, das mit 13 Punkten sehr gut in die neue Spielzeit gestartet war, wurde diese Frage erneut auf die Probe gestellt. Trainer Sandro Schwarz hielt an seiner Stammelf fest, Suat Serdar kehrte für den aktuell fehlenden Jean-Paul Boetius in die Startelf zurück, ansonsten gab es keine Veränderungen.
 
Im ersten Durchgang war zu spüren, dass sich die Berliner nach der Länderspielpause zunächst erst wieder finden mussten. Die Abläufe waren teilweise nicht klar ersichtlich, Stockfehler und fehlende Passschärfe störten das eigene Spiel erheblich. Gegner Hoffenheim wirkte wacher und zielstrebiger, während Hertha defensiv wie offensiv nicht griffig genug agierte. So kamen viele weichere Faktoren zusammen, die für eine leichte Überlegenheit der süddeutschen Gäste sorgten.

Lars Windhorst und Werner Gegenbauer auf dem Podium (picture alliance/dpa | Andreas Gora)
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Waren die ersten 20 Minuten noch recht hektisch, erlangte Hoffenheim ab dieser Phase immer mehr Spielkontrolle. In der 25. Minute münzte die TSG dies sogleich in die Führung um. Der auffällige Angelino konnte einmal mehr nicht von Herthas Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny eingefangen werden, dessen Flanke fand im Rückraum Ozan Kabak, der mit seinem Schuss unfreiwillig Andrej Kramaric bediente. Der in den Strafraum eingelaufene Kroate ließ sich nicht zweimal bitten und verwandelte zum recht verdienten 1:0.

Genug für einen, zu wenig für drei Punkte

Zwar war Hoffenheim auch im Anschluss die bessere Mannschaft, doch wie aus dem Nichts erzielte Hertha in der 37. Minute den Ausgleich. In typischer Manier gewannen die Blau-Weißen den Ball bereits in der gegnerischen Hälfte. Chidera Ejuke spielte mit herausragender Handlungsschnelligkeit einen perfekten Pass in die Schnittstelle der Abwehr auf Dodi Lukebakio, der den Ball aus rund elf Metern gekonnt ins linke Ecke schlenzte. Plötzlich stand es 1:1. Das Tor gab Hertha Auftrieb, bis zum Halbzeitpfiff waren die Berliner sogar um die Führung bemüht, doch bereitete die wackelige Defensive durchweg Sorgen.
 
Trainer Schwarz reagierte zur zweiten Halbzeit und nahm den schwachen Filip Uremovic vom Feld. Dafür feierte Neuzugang Agustin Rogel sein Debüt für Hertha. Mit dem Uruguayer kam der Gastgeber gut aus der Halbzeitpause, sofort wurde höher und aggressiver attackiert. "In der zweiten Halbzeit sind wir anders aufgetreten, waren mehr in der Hoffenheimer Hälfte. Man hat gesehen, dass wir dieses Spiel unbedingt drehen und gewinnen wollten", so Kapitän Marvin Plattenhardt. Die nun sicherer agierende Abwehr hielt den Rücken frei. Im letzten Drittel war jedoch weiterhin Sand im Getriebe, Hertha kam zu wenigen klaren Chancen. Einzig in der 56. Minute wurde es nach einem sehenswerten, weil schnell und präzise ausgespielten Angriff und einem Seitfallzieher Lukebakios wirklich gefährlich.
 
Die Berliner Druckphase blieb jedoch unbelohnt, stattdessen wurde Hoffenheim noch einmal zwingender. Eine gute Gelegenheit von Christoph Baumgartner (75.) und ein knappes Abseits-Tor von Robert Skov (86.) ließen Hertha trotz der klar erkennbaren Leistungssteigerung im zweiten Durchgang mit einem blauen Auge davon kommen. So endete die Partie mit 1:1.

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Stabilität oder Stagnation?

So wenig ereignisreich die Begegnung mit Hoffenheim insgesamt war, so zahlreiche Erkenntnisse gibt sie doch her. Es ist ein Ergebnis der vielen Wahrheiten. Denn ja, Hertha hat erneut den ersten Heimsieg und den zweiten Dreier überhaupt der Saison erneut verpasst. Es ist bereits das vierte Unentschieden in der laufenden Spielzeit, das dritte in Folge. Mit sieben Punkten aus acht Spielen verharrt die alte Dame weiter kurz vor den Abstiegsrängen, so wirklich kommt man nicht vom Fleck.
 
Andererseits entwickelt sich Hertha aktuell zu einem Team, das nur schwer zu schlagen ist. Man ist seit nun vier Partien ohne Punkverlust. Nur acht Bundesligisten haben aktuell weniger Niederlagen als Hertha auf dem Konto. Trainer Schwarz hat seine Mannschaft, die mittlerweile sogar auf Rückschläge in Form von Rückständen reagieren kann, deutlich stabilisiert. "Wir haben als Mannschaft erneut einen Schritt nach vorn gemacht, indem wir das Spiel nicht verloren haben. Das war ganz wichtig", resümierte Lukebakio nach Abpfiff.

Die beruhigende Achse Bernstein-Bobic-Schwarz

Zur Wahrheit gehört auch, dass die Leistungen in der bisherigen Saison für mehr Punkte hätten reichen können. Selbst etatmäßig stärkere Gegner wie Hoffenheim, Dortmund oder Frankfurt wurden an den Rand einer Niederlage gebracht. Die Tabelle rechnet diese gedachten Zähler logischerweise nicht mit ein, die Entwicklung Herthas stimmt allerdings positiv.
 
Das Spiel gegen Hoffenheim verriet viel über das derzeitige Niveau der Mannschaft in Blau-Weiß: Immer gut genug für mindestens einen Punkt, doch zu selten zwingend genug, um die drei Zähler mitzunehmen. Zu schlecht für den großen Wurf und eine völlig sorgenfreie Spielzeit, zu gut für Totalausfälle und für eine dramatische Saison wie die vergangene. Im Vergleich zu den letzten Jahren, in der sogar die meisten Unentschieden sehr glücklich zustande kamen, ein klarer Fortschritt.
 
Ob neben oder auf dem Feld - es zeigt sich, dass Hertha BSC um echte, nachhaltige Weiterentwicklung bemüht ist. Störgeräusche wie die Causa Windhorst werden still behandelt und auch etwas schwächere Partien wie gegen Hoffenheim zumindest mit einem Punktgewinn abgeschlossen. Die Achse Bernstein-Bobic-Schwarz wirkt beruhigend auf den zuletzt so durchgeschüttelten Verein und sein immer noch nervöses Umfeld. Nun wird das Ziel sein, die neu gewonnene Stabilität nicht in Stagnation abrutschen zu lassen und sich weiter zu steigern. Denn neben den vielen Wahrheiten gibt es eine ganz zentrale: Irgendwann müssen Siege errungen werden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 03.10.2022, 10:45 Uhr