Fußball | Bundesliga Hertha und die Relegation: Eher ein Geschenk als eine Strafe

Stand: 15.05.2022 11:50 Uhr

Nach der 1:2-Niederlage in Dortmund und dem dritten vergebenen Matchball im Abstiegskampf muss Hertha in die Relegation. So bitter das angesichts der Endphase der Saison ist, so glücklich muss sich Hertha letztlich damit schätzen.

Am 34. Spieltag präsentierte die Bundesliga ein Theaterstück, das an Dramatik nicht zu überbieten war. In der Schlussphase ging es auf vielen Plätzen um nicht mehr viel, die Blicke wanderten zunehmend auf das Fernduell zwischen Hertha BSC und dem VfB Stuttgart im Kampf um den Klassenerhalt. Bis zur 68. Minute hatten die Berliner überraschend bei Borussia Dortmund geführt, ehe Erling Haaland ausglich. Auch der VfB musste gegen den 1. FC Köln den 1:1-Ausgleich hinnehmen.

Zu diesem Zeitpunkt war Hertha gerettet, ja selbst der 1:2-Rückstand – der gerade eingewechselte Youssoufa Moukoko traf in der 84. Minute – änderte daran noch nichts. Doch dann traf Stuttgart in der 92. Minute zum 2:1 und damit mitten ins Berliner Herz. Der punktgleiche VfB schickte Hertha dank einer deutlich besseren Tordifferenz in die Relegation. Auf dem Dortmunder Rasen standen nach Abpfiff konsternierte Berliner dem feierlichen Abschied der Dortmunder Vereinslegenden Michael Zorc und Marcel Schmelzer gegenüber. Eine fast schon groteske Diskrepanz an Gefühlswelten.

Hertha vergab Matchball um Matchball

Der Schmerz wird bei den Berlinern tief sitzen. Nicht nur, weil Hertha es am letzten Spieltag verpasst hat, den Klassenerhalt aus eigener Kraft zu packen. Dieses Vorhaben zog sich bereits über die letzten drei Spieltage. Bei Arminia Bielefeld führten die Berliner lange mit 1:0, vergaben gar die hundertprozentige Chance auf die Vorentscheidung in Slapstick-Manier. In der 91. Minute kassierte die "alte Dame" dann noch den Ausgleich und vergab somit zwei wichtige Punkte.

Eine Woche später hatte Hertha gegen Mainz die große Chance, den grandiosen Rahmen eines Heimspiels mit 71.000 Zuschauern für die Vorentscheidung im Abstiegskampf zu nutzen. Gegen einen Gegner, für den es um nichts mehr ging, präsentierten sich die Berliner aber, gemessen an der prekären Tabellensituation, irritierend zahnlos. Ein Kopfball von Stefan Bell entschied die Partie, mit 1:2 verlor Hertha – erneut vergab man einen Matchball in den letzten Minuten einer Partie. Auch hier hätte im Nachhinein ein Punkt gereicht.

Hertha hätte den Abstieg verdient

Nur auf jene drei letzten Partien geblickt, ließe sich von einem bitteren Endspurt sprechen. Die nervenaufreibende Relegation als Strafe für zu zaghaftes Zupacken. Für die Hertha ist die Relegation aber keine Strafe, sondern vielmehr ein Geschenk. Für diese Perspektive muss der Blick allerdings auf die gesamte Saison der Blau-Weißen ausgeweitet werden.

Nach 34 Spieltagen hat Hertha BSC 33 Punkte gesammelt – also weniger als einen Punkt pro Spiel. In den vergangen zehn Jahren hatten die Relegationsteilnehmer durchschnittlich 32,2 Punkte – Hertha reiht sich somit bestens ein. Hätte es nicht den gänzlich überforderten Auf- und nun wieder Absteiger aus Fürth gegeben, hätten die Berliner die schwächste Abwehr und den zweitschwächsten Angriff der gesamten Liga gestellt. Gemessen am Personaletat und den Möglichkeiten des Kaders ist das ein Armutszeugnis.

Ein schief zusammengestellter und damit recht dysfunktionaler Kader traf auf ein angespanntes Verhältnis zwischen Geschäftsführer Fredi Bobic und Ex-Trainer Pal Dardai, das ohne akute sportliche Not beendet wurde. Es folgte eine kurze Amtszeit von Tayfun Korkut, die im Nachhinein als großer Ausrutscher bewertet werden muss und Dardais Rauswurf noch fragwürdiger macht. Dazu der vorzeitige Abschied Arne Friedrichs; Eklats zwischen Mannschaft und Fanszene; eine öffentliche Fehde zwischen Präsident und Investor – Hertha hat sich den perfekten Abstiegscocktail gemischt.

Magath hatte eine Vorahnung

Doch eine Zutat will noch nicht so wirklich dazu passen: Felix Magath. Der Trainerroutinier übernahm im März eine völlig zerrüttete Mannschaft auf Rang 17. Das ungleiche Trio aus Magath, Co-Trainer Mark Fotheringham und Assistent Vedad Ibisevic hat aus Herthas Spielern eine Einheit geschmiedet. Plötzlich gelang es den Berlinern wieder, ein Spiel auf der Kampfebene vollends anzunehmen.

Die Mittel der Mannschaft sind seit zwei Monaten sehr einfache, aber sie geben ihr Halt. Zwar gab es auch unter Magath Rückschläge, etwa die klare Derby-Pleite gegen Union Berlin oder der eine Punkt aus den letzten drei Spielen. Dennoch ist seine Verpflichtung insgesamt bislang als eine gute Entscheidung einzuordnen. Der Sprung von Rang 17 auf 16 – ein verklausulierter Erfolg.

Magath zeichnet sein gutes Gespür aus, für Mannschaftsstrukturen, die Bedürfnisse einzelner Spieler oder auch mediale Strömungen. Bereits vor Wochen bewies er ein gutes Bauchgefühl: "Als ich diesen Job übernommen habe, war ich sicher, dass wir in der Relegation gegen den HSV spielen", so Magath. Darauf arbeite er nicht hin, "aber es würde mich auch nicht überraschen, wenn es zu dieser Konstellation käme."

Und so kam es auch. Abseits gewisser Visionen ist Magath aber auch ein trockener Realist. Seit Wochen bekräftigt Herthas Trainer, sich auf das "Minimalziel" Relegation gewissenhaft vorzubereiten. Führt er seine Gedanken zu diesen so entscheidenden zwei Spielen aus, wirkt er bemerkenswert ruhig. Magath weiß, dass er seiner Mannschaft diese Ruhe vorleben muss.

Genau zehn Jahre nach Herthas denkwürdigen Relegationsspielen gegen Fortuna Düsseldorf müssen die Berliner erneut in den Ausscheidungsspielen um einen vakanten Platz im Oberhaus antreten. Ob Hertha solch einer enormen Drucksituation standhalten kann, lässt sich nur bedingt prognostizieren – dafür haben die Blau-Weißen in dieser Saison zu viele verschiedene Gesichter gezeigt. Klar ist aber: Die zwei zusätzlichen Partien sind nach dieser verkorksten Spielzeit vielmehr Geschenk als Strafe.

Sendung: rbb UM6, 15.05.2022, 18 Uhr