Pferdesport Springreiter André Thieme und der Superstar an seiner Seite

Stand: 23.05.2022 10:35 Uhr

André Thieme hat aufs richtige Pferd gesetzt. Mit der Fuchsstute Chakaria feiert der Europameister und Pferdehändler aus Mecklenburg Erfolge. In zwei Jahren will er sich in Paris für die verpatzte Olympia-Premiere schadlos halten.

Es hat genagt an ihm - wochenlang. "Bei den Olympischen Spielen in Tokio bin ich das erste Mal mental an meine Grenzen gestoßen", sagt André Thieme und erinnert sich mit reichlichem Unbehagen an die "kleinen Fehler", die ihm und seinem damals vielleicht noch ein bisschen unerfahrenen und zudem vom "extravaganten Umfeld spürbar beeindruckten" Paradepferd Chakaria die olympische Premiere verdorben haben. "Ogottogott, so hab' ich mir das nicht vorgestellt. Warum tue ich mir das eigentlich an?" Gedanken, die inzwischen längst dem Wunsch nach einer Revanche in zwei Jahren in Paris gewichen sind. Springreiten ist schließlich nicht nur Thiemes Passion, sondern auch Broterwerb des 47-Jährigen.

"Klickeffekt" nach zermürbender Zeit

Doch so einfach wie es klingt, war es beileibe nicht, die selbst empfundene Schmach aus dem Kopf zu löschen. "Meine Frau kann ein Lied davon singen, die weiß, dass das nicht alles so einfach war für mich", erzählt Thieme in der NDR Sportclub Story. Zermürbend sei die Zeit gewesen.

Erst die Hilfe einer Homöopathin und vermutlich auch laute und harte Rockmusik, für die er schon immer schwärmt, hätten ihn zurück in die Erfolgsspur gebracht. Dieser immense Druck ("Das können sich normale Leute nicht vorstellen") sei auf einmal von ihm abgefallen. "Ein Klickeffekt, weil eigentlich ja nichts passieren kann; man verliert ja nichts, außer so ein bisschen Ruhm und Ehre. Was ist das schon am Ende?"

Chakaria - absolut unverkäuflich

Ein bisschen mehr ist es dann aber doch. Der gelernte Pferdewirtschaftsmeister aus Plau am See steht schließlich in der Verantwortung für seine Reitanlage im Ortsteil Karow im Landkreis Ludwigslust-Parchim und für seine Angestellten. Allein mit Preisgeldern und der Unterstützung von Sponsoren wäre das kaum zu finanzieren. Thieme handelt deshalb auch mit Pferden, muss sich bisweilen sogar - wie einst von Contanga - von Top-Pferden trennen.

Absolut unverkäuflich ist nur Chakaria, mit der er als erster Springreiter aus den neuen Bundesländern die Qualifikation für Olympia geschafft hatte. Thieme: "Ich weiß, dass es in Tokio nur Kleinigkeiten waren, die den Ausschlag gegeben haben. Und die würde ich gern besser machen."

Ein Superstar an Thiemes Seite

Es dauerte nur vier Wochen - und das hauchdünn verpasste Einzel-Finale der besten 30 auf dem Olympia-Parcours im Equestrian Park war fast schon wieder Geschichte. Bei der Europameisterschaft in Riesenbeck zeigte das Duo eine perfekte Leistung, holte mit der Mannschaft Silber und vor den Augen der ganzen Familie im Einzel den EM-Titel. "Ich bin wirklich zerfressen vom Ehrgeiz", gibt Thieme zu, "ein Vollblutsportler mit diesem Superstar an meiner Seite."

Ehrgeiz und ein strenger Lehrmeister

Der Ehrgeiz ist ihm wohl in die Wiege gelegt worden. Reiten lernte er von seinem Vater Michael. Der war Obersattelmeister auf dem Landgestüt Redefin nahe Schwerin. Als Dressurreiter konnte er von einer Karriere, wie sie sein Sohn nach der Wende machen konnte, in der DDR nur träumen. Dennoch reüssierte er als Ausbilder und Trainer - bei seinem Filius sowieso, dem überdies großes Talent auf dem Fußballplatz nachgesagt wurde. Aber streng sei der Vater gewesen, erinnert sich Thieme Junior.

"Ich weiß, dass es für mich so war", sagt André Thieme beim gemütlichen wie seltenen Beisammensein mit dem Vater, Ehefrau (und Geschäftspartnerin) Corinna und Schwester Christina. "Da kann er fünfmal sagen, dass er nicht streng war." Verständlich wohl, wenn man Tag für Tag auf demselben Gestüt lernt und arbeitet und jeder Fehler sofort korrigiert und analysiert wird.

Hundertprozentiges Vertrauen

Harte Zeiten und ein langer Weg, aber: "Im Nachhinein ist es natürlich so, dass man eben nur durchs viele Reiten, durchs viele Trainieren und durchs ständige Überwachen auch besser wird.“ Das perfekte Pferd gehört dazu - und das hat Thieme unzweifelhaft in Chakaria gefunden, mit der er im Dezember 2020 in den Perspektivkader aufgenommen wurde.

Eine fast symbiotische Verbindung, wie es heißt. "Chakaria ist ganz besonders. Sie ist superskeptisch, war die ersten Monate bis Jahre extrem scheu", so Thieme. Menschenscheu könnte man auch sagen, es sei schwer, mit ihr so richtig warm zu werden. "Aber wenn wir uns nicht mögen würden, wären solche Erfolge niemals möglich."

Aufs richtige Pferd gesetzt

Mit Chakaria hat Thieme aufs richtige Pferd gesetzt. Und deshalb durfte die Fuchsstute nicht fehlen, als Thieme sein Winterlager - wie immer in den letzten 20 Jahren - in Florida aufgeschlagen hat. Hochdotierte Turniere reitet er dort, kassiert unter anderem auf der größten Reitsportanlage der USA in Ocala Preisgelder, die es in dieser Größenordnung hierzulande nicht gibt und die neben dem Pferdehandel das Bestehen der Turnieranlage in Karow sichern. Den "Great American $1 Million Grand Prix“ hat er im vergangenen Jahr zum insgesamt vierten Mal gewonnen.

Chakaria - Thiemes tierisch große Liebe

Chakaria habe sich nach der Europameisterschaft lange ausgeruht, so Thieme in der NDR Sportclub Story. "Wirklich regeneriert." Zur Saison-Vorbereitung sei sie aber natürlich mit über den großen Teich geflogen. Gut erholt und in bester Erfolgslaune, wie Platz drei im Weltcupspringen von Ocala zeigte. Mit Cellisto gewann Thieme zudem den 100.000-Dollar-Grand Prix. Zurück in Deutschland ging es für den Europameister und seine zwölfjährige Fuchstute gleich weiter mit dem Maimarkt-Reitturnier in Mannheim - und dem Sieg im Großen Preis.

Die nächsten großen Herausforderungen, mit dem Höhepunkt Weltmeisterschaft im August in Dänemark, warten schon: der Derby-Wall zum Beispiel, Pulvermanns Grab und die anderen nicht minder kniffligen Hindernisse beim Deutschen Spring-Derby. Dreimal konnte Thieme in Klein-Flottbek mit Nacorde gewinnen (2007, 2008, 2011). Jetzt auch mit Chakaria - seiner tierisch großen Liebe?

Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 22.05.2022 | 23:15 Uhr