NDR-Sport Schmutzige Spiele: Wie das IOC Zwangsarbeit in China unterstützt

Stand: 24.01.2022 10:20 Uhr

Hunderttausende Uiguren sind in Chinas Region Xinjiang eingesperrt. Ein Sponsor des Internationalen Olympischen Komitees lässt dort trotz Zwangsarbeit produzieren - das IOC will von Menschenrechtsverletzungen aber nichts wissen.

Von Hendrik Maaßen, Anne Armbrecht

Mit welchem Gefühl er denn nach Peking fahre, wurde Thomas Bach gefragt. Wie es ihm persönlich gehe, wenn er um mindestens eine Million in Lagern eingesperrte Uiguren wisse. Doch der Präsident ließ sich auf die Frage nicht ein. "Wir fahren zu diesen Olympischen Spielen, um dort großartige sportliche Wettkämpfe zu erleben", sagte Bach. Er verzog dabei keine Miene - noch ging er nur mit einem Wort auf die unterdrückte Minderheit und die Menschenrechtsverletzungen Chinas ein.

Die Olympischen Winterspiele in Peking (4. bis 20. Februar) sind aus vielen Gründen umstritten. Es ist ein Wintersport-Großereignis in einer Region, wo fast nie Schnee fällt. Da sind der Größenwahn der Bauprojekte und Skigebiete, die in Naturschutzarealen aus dem Boden gestampft werden. Und dann ist da die verheerende Menschenrechtslage, allen voran rund um die Uiguren.

IOC-Funktionär mit fragwürdiger Doppelrolle

NDR und "Süddeutsche Zeitung" haben über mehrere Monate zu China und den Olympischen Spielen recherchiert. Daraus entstanden ist eine Sportclub Story, die eindrucksvoll vor Augen führt, wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) seine angebliche politische Neutralität vor sich herträgt - und sich gleichzeitig doch gemein macht mit den Machenschaften der chinesischen Regierung.

Eine wichtige Rolle spielt dabei Juan Antonio Samaranch Junior, Sohn des langjährigen IOC-Präsidenten. Wie schon sein Vater pflegt er intensive Beziehungen in die Diktatur. Der 62-jährige Spanier ist Chef der Samaranch-Stiftung in China. Er ist aber auch hochrangiges IOC-Mitglied und als solches Chef der Koordinierungskommission für die Winterspiele in Peking. Eine problematische Doppelrolle, wie mehrere Beispiele zeigen.

Die Stiftung im Andenken des verstorbenen IOC-Chefs setzt sich nach offizieller Darstellung für benachteiligte Kinder im Sport ein. Im vergangenen Jahr feierte sie mit einem Laufevent das 100-jährige Bestehen der Kommunistischen Partei. Auf einer anderen Veranstaltung zeigt sich Samaranch Junior in der Uniform der chinesischen Nationalmannschaft. Es scheint, als ließe er sich bereitwillig für die Interessen der chinesischen Regierung instrumentalisieren.

Problematisch erscheint auch einer der Stiftungsgeldgeber. Anta Sports ist der größte Sportartikelhersteller Chinas und drittgrößter der Welt. Seine Baumwolle für die Produktion bezieht das Unternehmen nach eigenen Angaben auch aus Xinjiang: jener Region im Westen des Landes, in der die muslimische Minderheit der Uiguren systematisch unterdrückt wird.

Eine Million Menschen sollen in Lagern interniert sein

Internationale Recherchen belegen, dass in Xinjiang Hunderttausende in Lagern interniert und zur Zwangsarbeit gezwungen werden - auch in der Baumwollproduktion. China bestreitet die Berichte. Unabhängige Beobachter werden nicht in die Region gelassen.

Die Vereinten Nationen sprechen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Schätzungen zufolge sollen bis zu eine Million Menschen in den Lagern interniert sein. Neben Zwangsarbeit ist auch von Folter und Vergewaltigungen die Rede. Und das IOC? Schweigt lieber dazu.

Thomas Bach hat "keine Zweifel" an den chinesischen Partnern

In der Olympischen Charta ist verankert, dass es im Rahmen der Spiele keine Menschenrechtsverletzungen geben darf. Angesprochen auf die mindestens eine Million in Lagern eingesperrten Uiguren sagt IOC-Präsident Thomas Bach der ARD lediglich:

"Wir fahren zu diesen Olympischen Spielen, um dort großartige, sportliche Wettkämpfe zu erleben, die unter den IOC-Regularien ablaufen. Das heißt, dass dort alle Rechte aus der Olympischen Charta und aus dem Ausrichtervertrag dann respektiert werden." Man hätte bisher keinen Zweifel, sagt Bach, dass die chinesischen Partner ihren Verantwortlichkeiten gerecht würden.

IOC-Mitglied Pound nennt Rechtsverletzungen "Hörensagen"

Auch auf mehrmalige Nachfrage vermeidet der 68-jährige Deutsche die Begriffe Menschenrechtsverletzungen und Uiguren vollständig. Ein anderer Funktionär stellt die Verbrechen im Gespräch sogar infrage. "Alle möglichen Menschen behaupten Dinge. Ich habe keine Ahnung, ob sie richtig oder falsch sind", sagt Richard Pound, seit 1978 IOC-Mitglied. "Ich habe keine Ahnung, ob sie persönliche Erfahrungen haben oder ob es sich um Hörensagen handelt."

Die Frage nach dem Umgang mit den Uiguren ist nicht die erste, bei der das IOC für seine Beziehungen mit China in der Kritik steht. Schon 2008 hatten Sportfunktionäre vorrangig geschwiegen, als es um die brutale Niederschlagung von Protesten tibetanischer Mönche vor den damaligen Sommerspielen in Peking ging.

Unbequeme Fragen schaden nur dem Geschäft

Die Geschäftsbeziehungen nach China sind den Funktionären in Lausanne offenbar zu wichtig. Neben Sportartikelhersteller Anta Sports, der seine Baumwolle aus Xinjiang bezieht, zählt auch Alibaba, das chinesische Amazon, zu den wichtigsten Partnern des IOC. Dazu kommen allein im Wintersportsektor 300 Millionen potenzielle neue Kunden. Stellungnahmen zu Politik oder anderen unbequemen Fragen nach den Partnern? Können da wohl nur schaden.

Bei Athletinnen und Athleten stoßen die Einlassungen des IOC allerdings zunehmend auf Unverständnis. "Diese ständig vorgebrachte Begründung mit der politischen Neutralität ist eigentlich eine vorgeschobene Ausrede des IOC", sagt Maximilian Klein von Athleten Deutschland. Klein ist bei der Interessenvertretung verantwortlich für die internationale Vernetzung und Fragen der Sportpolitik. Als solcher ist er auch mit Menschenrechtsorganisationen in regem Austausch.

Athletensprecher Klein: "Das hat wenig mit Politik zu tun"

Politische Neutralität sei für das IOC wichtig, damit es global tätig sein könne, sagt er. "Politische Neutralität entbindet jedoch nicht von der Verpflichtung, sich auch zu Menschenrechtsverletzungen zu verhalten. Menschenrechte gelten universal. Das hat wenig mit Politik zu tun."

Wenn das IOC seiner Verantwortung, seinen Idealen folgen würde, kämen Unternehmen wie Alibaba oder Anta Sports nicht als Großsponsoren infrage, sagt Klein. "Weil wir nicht wissen, ob ihre Produkte mit Zwangsarbeit oder Menschenrechtsverletzungen in Verbindung stehen."

Das IOC sagt, alles sei sauber - prüfen lässt sich das nicht

Wie also will das IOC sicherstellen, dass seine eigene Kleidung von Anta Sports nicht aus Zwangsarbeit stammt? Auf einer Online-Pressekonferenz gefragt, verweist IOC-Generalsekretär Christophe Dubi auf einen Nachhaltigkeitsbericht, der noch vor den Spielen erscheinen soll. Als der Bericht am vergangenen Wochenende online geht, findet sich darin zu der Lieferkette von Anta Sports allerdings nichts.

In einer Mail schreibt das IOC, dass man die Uniformen habe prüfen lassen und alles sauber sei. Überprüfen lässt sich das nicht. Das IOC liefert zu der Behauptung keine Belege.

Samaranch verweigert ein Interview

Es gebe allerdings erhebliche Zweifel, ob überhaupt noch prüfbar sei, ob solche Produkte mit Zwangsarbeit in Verbindung stünden, sagt auch Klein von Athleten Deutschland. Man wisse, dass einige Prüffirmen die Arbeit vor Ort eingestellt hätten. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch stützen diese Aussage.

Die ebenfalls von Anta Sports unterstützte Samaranch-Stiftung in China antwortet lange Zeit überhaupt nicht auf Fragen. Stiftungschef und IOC-Mitglied Samaranch Junior verweigert ein Interview. Nach einigen Wochen heißt es in einer Mail, die Zusammenarbeit sei 2016 ausgelaufen. Auf der Homepage der Stiftung ist der Sponsor allerdings auf aktuellen Bildern präsent.

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Sportclub | 23.01.2022 | 23:35 Uhr