Van Aert gewinnt 4. Tour-Etappe Eine Attacke für Gelb und Grün
Das Team Jumbo-Visma setzt auf der 4. Etappe einen überraschenden Angriff. Wout van Aert gelingt der Sieg, aber der Plan geht trotzdem nicht ganz auf.
Der Mann im Gelben Trikot breitete die Arme aus und ließ sie auf und ab schwingen wie die Möwen über dem breiten Strand von Calais. "Dieses Trikot verleiht Flügel", erklärte Wout van Aert nach seiner Solofahrt ins Ziel der 4. Etappe der Tour de France. "Ich bin auf den letzten zehn Kilometern geflogen. Hier alleine im Gelben Trikot anzukommen, ist etwas ganz Besonderes. Daran werde ich noch lange denken."
Etappe schon lange markiert
Es war in der Tat ein bemerkenswerter Alleingang des 27 Jahre alten Belgiers, der auf den ersten drei Etappen drei Mal als Zweiter ins Ziel gekommen war. Und diesmal nun endlich ganz vorne landete. An einem Tag, an dem das Feld auf den 171,5 Kilometern zwischen Dünkirchen und Calais über viele schmale Straßen mit grobem Asphalt und über zahlreiche Hügel hatte rollen müssen.
Am letzten dieser Anstiege, dem Côte du Cap Blanc-Nez, hatte das Jumbo-Visma-Team mit einer Tempoverschärfung die Attacke vorbereitet, die weit mehr war als nur der Versuch, van Aert endlich seinen Etappensieg zu verschaffen. "Diese Etappe hatten wir uns schon lange vor der Tour markiert", berichtete van Aert. "Wir wollten hier Schaden anrichten und sowohl für das Gelbe wie auch das Grüne Trikot etwas probieren."
Roglic und Vingegaard sollten mitgehen
Van Aert liegt derzeit in beiden Wertungen vorne. Er soll das Maillot Vert des punktbesten Sprinters bis nach Paris tragen. Das Gelbe Trikot trägt er dagegen derzeit nur stellvertretend. Nach Vorstellung des Teams soll das Maillot Jaune am Ende entweder Primoz Roglic oder Jonas Vingegaard gehören - den beiden Kapitänen der niederländischen Équipe.
Teil des Plans, um dieses Ziel zu erreichen, ist es auch, den Toursieger der vergangenen beiden Jahre, Tadej Pogacar, frühzeitig in die Defensive zu bringen. Und sei es nur, um ihm vor den Hochgebirgsetappen ein paar Sekunden abzunehmen. Und genau das war ein Baustein der Strategie auf dem Weg nach Calais. Denn Roglic und Vingegaard hätten durchaus mitgehen sollen mit van Aert.
Vingegaard war dann auch zunächst hinterhergesprungen, gemeinsam mit dem Briten Adam Yates vom Team Ineos-Grenadiers. Doch am Ende war van Aert entweder "zu schnell", wie Roglic sagte, oder die beiden Kapitäne waren doch ein Stück zu weit hinten platziert, wie Teamkollege Christophe Laporte bemängelte.
Blaupause bei Paris-Nizza
Dabei hatte Jumbo-Visma ja schon im Frühjahr die Blaupause für ein solches Szenario gezeichnet. Auf der 1. Etappe der Fernfahrt Paris-Nizza hatten Laporte, Roglic und van Aert einen weniger steilen, dafür etwas längeren Anstieg kurz vor dem Ziel genutzt, um dann gemeinsam in einer Art Mannschaftszeitfahren die Plätze eins, zwei und drei zu belegen.
"Es ist nicht gut gelaufen", klagte Vingegaard dann auch später. "Ich wäre gerne dabei gewesen." Zumal offenbar auch nicht bei allen im Feld angekommen war, dass es an der Spitze einen Angriff gegeben hatte. Etwa bei Jasper Philipsen, der den Sprint um Platz zwei gewann und jubelte, als habe er den ersehnten Etappensieg gelandet.
"Ich dachte alle wären noch zusammen", sagte Philipsen im Ziel peinlich berührt. Als Jumbo-Visma van Aerts Attacke lancierte, war der Belgier ziemlich weit hinten platziert. Auch sein Teamkollege Mathieu van der Poel - seit Jahren auf vielen Terrains ein Rivale von van Aert - war offenbar nicht im Bilde gewesen, wie Philipsen bestätigte.
Auch Pogacar zu weit hinten
Der Topfavorit auf den Gesamtsieg, der zweimalige Toursieger Tadej Pogacar, war nicht optimal platziert, als Jumbo-Visma zum Angriff blies. "Ich war ein bisschen zu weit hinten", gab der Slowene zu. Wäre der Plan seiner Konkurrenten vollständig aufgegangen, hätte ihn das ein paar Sekunden kosten können. "Vielleicht gibt ihm das zu denken", sagte Jumbo-Visma-Coach Frans Maasen.
Dass Pogacar sich aber von einer am Ende irgenwie nur halb aufgegangenen Attacke beeindrucken lässt, ist zweifelhaft. Auf der 5. Etappe über das gefürchtete Kopfsteinpflaster des Frühjahrsklassikers Paris-Roubaix wird er sich weiterer Angriffe ausgesetzt sehen. "Das wird eine tolle Show", ahnt Pogacar.