Pidcock gewinnt in Alpe d'Huez Junger Alleskönner mit großen Ambitionen
Der Brite Thomas Pidcock gewinnt bei seinem Tourdebüt die 12. Etappe der Tour de France in Alpe d'Huez. Der prestigträchtige Erfolg soll erst der Anfang sein.
Als das Tosen vorbei war und Thomas Pidcock in Alpe d'Huez ein kurzer Moment der Ruhe hinter dem Podium vergönnt war, schüttelte er immer noch den Kopf. Kopfschüttelnd war der Brite kurz vorher auch schon Richtung Ziel der 12. Etappe der Tour de France gefahren, nachdem er im Solo durch das Menschenmeer an diesem ikonischen Anstieg des Radsports gefahren war.
"Das war sicherlich eine der besten Erfahrungen, die ich im Radsport gemacht habe. Man ist buchstäblich Slalom gefahren durch die Fahnen der Leute, die Fäuste und Gott weiß, was sonst noch", sagte er später, immer noch ergriffen von den Erlebnissen in den 21 Kehren hinauf nach Alpe d'Huez.
Kommender Superstar des Radsports
Pidcock ist erst 22 Jahre alt, er gibt in diesem Jahr sein Tourdebüt. Aber es ist nicht so, als hätte der Brite nicht schon bewegende Erfahrungen auf dem Rad gemacht. Im vergangenen Jahr gewann er Olympiagold mit dem Mountainbike, im Winter wurde er Weltmeister im Cyclocross. Pidcock - da sind sich die meisten Beobachter des Radsports einig - ist ein kommender Superstar des Radsports.

Thomas Pidcock im Anstieg nach Alpe d'Huez
Wobei sich das mit dem kommend jetzt eigentlich fast schon erledigt hat. Wer in jungen Jahren einen Tour-Etappensieg in Alpe d'Huez vorzuweisen hat, hat seinen Platz in den Geschichtsbüchern des Radsports schon festgeschrieben. Doch dabei soll es nicht bleiben. "Ich habe in diesem Jahr eine Etappe der Tour gewonnen, ich bin ziemlich zufrieden", sagte Pidcock in Alpe d'Huez. "Ich bin hier, um zu lernen. Und ich habe verdammt viel gelernt."
Atemberaubend in den Abfahrten
Pidcocks Fahrt zu diesem prestigeträchtigsten Etappensieg der diesjährigen Tour de France war eine gute Demonstration seiner Qualitäten. Die Idee, in die Ausreißergruppe zu gehen, war schon nach der 11. Etappe entstanden, auf der er seine bis dahin gute Platzierung im Gesamtklassement eingebüßt hatte. "Ich habe gestern genug Zeit verloren, sodass ich gehofft habe, ein bisschen Freiheit zu bekommen", erklärte er.

Thomas Pidcock bei der 12. Etappe der Tour
Doch als sich die Gruppe des Tages bildete, war Pidcock zunächst gar nicht dabei. Erst als er mit dem Hauptfeld auf dem Gipfel des Col du Galibier ankam, attackierte er auf der Kuppe, um sich auf die Verfolgung der Ausreißer zu begeben. Die Art und Weise, wie Pidcock sich in die Abfahrten stürzte, war selbst für einen Mountainbiker und Cyclocrosser atemberaubend.
In Alpe d'Huez wurde Pidcock später gefragt, woher diese Fähigkeit käme. "Übung", erklärte er. "Ich bin aufgewachsen damit, Rad zu fahren, bin jeden Tag durch den Wald zur Schule gefahren. Danach war meine Schuluniform komplett verdreckt. Ich bin daran gewöhnt, mein Rad in Situationen am Limit zu handhaben. Ich habe ein gutes Gespür für mein Rad."
Pidcock hat größere Ambitionen
Gemeinsam mit dem viermaligen Toursieger Chris Froome, der an diesem Tag zum ersten Mal seit seinem schweren Unfall 2019 wieder ein wenig wie sein altes Selbst aussah, fuhr Pidcock die Lücke zu der Ausreißergruppe zu, die später mit mehr als fünf Minuten Vorsprung in den legendären Schlussanstieg ging. Dort setzte sich Pidcock dann gut zehn Kilometer vor dem Ziel ab und fuhr seinem ersten Tour-Etappensieg im Solo entgegen. Auch bergauf zeigte er dabei eine beeindruckende Klasse.
Pidcock gehört zu jener Generation junger Fahrer, die eine ganze Palette an Fähigkeiten mitbringen, und die, wie etwa Wout van Aert und Matthieu Van der Poel, in verschiedenen Disziplinen glänzen. Der Belgier und der Niederländer vereinen mehrere Cyclocross-Weltmeistertitel auf sich. Auch der zweimalige Toursieger Tadej Pogacar hat zuletzt mehrfach unter Beweis gestellt, dass er nicht nur im Hochgebirge glänzen kann, sondern auch Kopfsteinpflaster und Schotterpisten beherrscht.
"Ich vergleiche mich mit Fahrern wie Pogacar oder Wout", sagte Pidcock mit dem Selbstbewusstsein eines Olympia- und Tour-Etappensiegers. Der Erfolg soll aber erst der Anfang sein: "Ich habe nach dieser Erfahrung größere Ambitionen für dieses Rennen in der Zukunft." Gemeint waren damit nicht nur weitere Etappensiege.