14. Etappe der Tour de France Drei verschiedene Rennen an einem Tag
Michael Matthews gewinnt die 14. Etappe der Tour de France in Mende. Dahinter gibt es zwei weitere Rennen. Die Überführungsetappen verlangen den Fahrern alles ab.
Die Tour de France scheint eine einfache Angelegenheit zu sein. Sie dauert drei Wochen, die Strecke beträgt mehr als 3.000 Kilometer, unterteilt in 21 Etappen, und in Paris wird am Ende ein Sieger geehrt, der das Gelbe Trikot und jede Menge Ruhm mit nach Hause nehmen darf. Die Entscheidung fällt im Hochgebirge und bei den Zeitfahren, wo sich die größten Zeitabstände herausfahren lassen.
Doch so einfach ist es nur auf den ersten Blick. Denn in Wahrheit besteht die Tour aus mehreren Rennen, die am Ende zwar ein Ganzes ergeben, das aber doch ganz unterschiedliche Facetten aufweist. Auf der 14. Etappe von Saint Étienne nach Mende war das sehr gut zu zu erkennen.
Rennen eins: Der Kampf um den Etappensieg
Auf dem Papier stand eine Überführungsetappe, die vor allem den Zweck erfüllen soll, das Peloton schnellstmöglich aus den Alpen hinüber in die Pyrenäen zu bewegen, wo dann wieder die sehr hohen Berge auf dem Programm stehen. "Tage wie dieser, sind mit die härtesten, weil es viele Attacken gibt und wenig Kontrolle. Man ist die ganze Zeit auf der Pedale", sagte der Brite Geraint Thomas (Ineos-Grenadiers) im Ziel, nachdem er sich massenweise Eiswürfel und Eiswasser über den aufgeheizten Körper geschüttet hatte.

Auf den 192,5 Kilometern unter der heißen Sonne im Zentralmassiv fanden eigentlich drei Rennen auf einmal statt. Das erste war der Wettbewerb um den Tagessieg, den sich der Australier Michael Matthews sicherte. "Die Tour de France ist so ein spezielles Rennen", sagte der Australier. "Jeder kommt mit seinen eigenen, bestimmten Zielen hierher."
Auch Matthews hatte seine Ziele. Er ist eigentlich ein Sprinter, der vor allem die etwas schweren Ankünfte mag. Bei der Tour de France 2017 gewann er das Grüne Trikot des punktbesten Fahrers, gewann zwei Etappen mit ansteigenden Zielgeraden. Dass er auf einer Mittelgebirgsetappe mit einem zwar nicht sehr langen, aber extrem steilen Anstieg kurz vor dem Ziel als Ausreißer gewinnen würde, damit war nicht unbedingt zu rechnen.
Entscheidender Ratschlag von der Ehefrau
Zwei Mal war der 31 Jahre alte Radprofi bei dieser Tour schon nah dran gewesen am Etappensieg. Auf der 6. Etappe in Longwy, wo er 2017 gewonnen hatte, wurde er diesmal vom unersättlichen Tadej Pogacar übersprintet. In Lausanne zwei Tage später war es der Belgier Wout van Aert, der ihm den Sieg wegschnappte. Auch in den vergangen Jahren war Matthews oft nah dran gewesen, aber hatte es nicht mehr ganz nach vorne geschafft.
Er habe noch am Morgen vor der Etappe mit seiner Frau gesprochen, erzählte Matthews. "Sie hat gesagt: 'Wenn du gewinnen willst, musst du zocken und etwas anderes versuchen, was die Leute nicht von dir erwarten. Und das war mein Ziel heute, etwas anderes probieren und die Leute überraschen. Und es hat geklappt."
Matthews liefert auch das Rührstück des Tages
Es dauerte auch diesemal wieder lange, bis die Ausreißergruppe sich endlich gefunden hatte, aus der heraus sich Matthews etwa 52 Kilometer vor dem Ziel absetzte, weil er wusste, dass die guten Kletterer in der Gruppe, wie Lennard Kämna oder Thibaut Pinot, ihn auf dem drei Kilometer langen Steilstück hinauf zum Flugfeld oberhalb von Mende ohne Mühe loswerden würden.
Am Fuße des Anstiegs hatte Matthews nur noch zwei Begleiter, den Österreicher Felix Großschartner und Luis Leon Sanchez. Beide hatten schnell keine Reserven mehr, aber von hinten kam der Italiener Alberto Bettiol und fuhr etwa anderthalb Kilometer vor dem Gipfel an Matthews vorbei. Aber der Australier fand irgendwo noch einen letzten Rest Energie, um Bettiol am Ende hinter sich zu lassen. Er habe seine Frau und seine Tochter nicht entäuschen wollen, erklärte Matthews, und lieferte nach dem Tagessieg damit auch noch das Rührstück des Tages.
Rennen zwei: Der Kampf ums Gelbe Trikot
Während Matthews und Bettiol auf den letzten Kilometern ihr Rennen um den Etappenerfolg ausfochten, nahm weiter hinten das zweite Rennen des Tages Konturen an: der Kampf um das Gelbe Trikot. Das Jumbo-Visma-Team um den Gesamtführenden Jonas Vingegaard aus Dänemark führte das Feld mit Schwung in den letzten Anstieg, und danach dauerte es nicht lange, bis der Toursieger der beiden vergangenen Jahre, Tadej Pogacar, die erwartete Attacke auf das Maillot Jaune setzte.
Vingegaard konnte dem Angriff seines Hauptkonkurrenten wie schon in den Tagen zuvor mühelos folgen und ließ sich auch im Zielsprint nicht von dem Slowenen abschütteln. Dahinter versuchten die anderen Klassementfahrer derweil, ihre Verluste zu begrenzen. "Ich erwarte, dass er jede Gelegenheit nutzen wird, um anzugreifen", sagte Vingegaard. Was Pogacar nur zu gerne bestätigte. "Von jetzt an werde ich es immer wieder versuchen, vielleicht sogar schon morgen wieder", erklärte er.
Die 15. Etappe am Sonntag führt hinaus aus dem Zentralmassiv nach Carcassone, ewartet wird ein Massensprint. Aber so etwas ficht Pogacar natürlich nicht an. Am Samstag etwa wagte er eine frühe Attacke - da waren noch rund 182 Kilometer zu fahren. "Er kam zu mir und hat gesagt, Jumbo hat Schwierigkeiten", berichtete der Dritte der Gesamwertung, Geraint Thomas. Der Waliser aber sah nicht viel Sinn in einer Attacke, weil sie letztlich wohl lediglich fast alle Klassementfahrer von ihren Teamkollegen getrennt hätte.
Rennen drei: Ewans Kampf gegen das Zeitlimit
Pogacar sagte, seine Beschleunigung habe nur dazu gedient, "ein paar Spielchen zu spielen." Diese Spielchen wiederum sorgten für das dritte Rennen an diesem Tag - den Kampf von Caleb Ewan gegen das Zeitlimit. Der australische Sprinter war am Tag zuvor in einer Kurve gestürzt und hatte sich am Knie verletzt.
Der Kampf um die Ausreißergruppe und Pogacars Wirbel in der Favoritengruppe sorgten dafür, dass Ewan gleich am ersten Anstieg des Tages aus dem Peloton zurückfiel. Seine Mannschaft Lotto-Soudal stellte später drei Fahrer ab, um Ewan rechtzeitig ins Ziel zu bringen. Einmal erhaschte der Hubschrauber ein Bild von dem Quartett, wie es vor dem Besenwagen daherfuhr.
"Ich hatte einen beschissenen Tag", berichtete Ewan, nachdem er 39,07 Minuten nach seinem Landsmann Michael Matthews und rund neun Minuten vor der erlaubten Karenzzeit ins Ziel gekommen war. "Aber wie dem auch sei: Ich bin noch im Rennen und werde weiterkämpfen. Das Glück kann sich wenden. Ich hoffe immer noch, dass ich eine Etappe gewinne." Dafür muss er nur an einem der entsprechenden Tage das richtige Rennen bei der Tour de France erwischen.