Houle gewinnt 16. Etappe Der Helfer siegt für seinen toten Bruder
Der Kanadier Hugo Houle gewinnt die 16. Etappe der Tour de France. Den überraschenden Sieg widmet er seinem toten Bruder.
Auf den letzten Kilometern hatte Hugo Houle Zeit, sich vorzubereiten auf die Gefühle, die ihn gleich überwältigen würden. Lange hatte er selbst nicht daran geglaubt, aber nun hatten sie dem Kanadier aus dem Teamfahrzeug schon signalisiert, dass es reichen würde für den Etappensieg. "Genieße es", kam das Kommando über Funk.
In Houles Gesicht ringen Freude und Schmerz
Also fuhr Houle nun als Solist auf die Ziellinie der 16. Etappe in Foix zu, zeigte mit seinem rechten Zeigefinger in Richtung Himmel, ballte dann die Faust und riss schließlich beide Arme in die Höhe. In seinem Gesicht rangen in diesem Moment Freude und Schmerz miteinander. "Ich habe vorher noch nie gewonnen. Und heute zu siegen war ein Traum, den ich für meinen Bruder hatte, der vor zehn Jahren gestorben ist", sagte Houle. "Ich wollte diese Etappe zu seinen Ehren gewinnen."
Es ist eine tragische Geschichte, die Houle mit den Tränen kämpfend in Foix erzählte. Pierrik Houle war im Dezember 2012 beim Joggen von einem Auto erfasst worden. Der Fahrer des Wagens beging Fahrerflucht. Als Hugo Houle zur Unfallstelle kam, bekam sein drei Jahre jüngerer Bruder gerade von den Rettungssanitätern eine Herzmassage. "Ich habe seine Hand gehalten, sah das Blut aus seinem Ohr und seinem Mund laufen und wusste, dass er tot ist."

Harter Arbeiter für die Teamkollegen
Hugo Houle hatte da gerade seinen ersten Vertrag bei einem Team in der World Tour unterschrieben. Ab der Saison 2013 fuhr er für die franzöische Mannschaft 2013 Ag2R La Mondiale, aber der Fokus auf den Radsport war nur schwer zu finden. "So ein Verlust hinterlässt eine große Lücke. Man braucht Monate, um wieder klarzukommen", sagte Houle. Er habe in seiner ersten Saison am Klassiker Paris-Roubaix teilgenommen. "Aber ich wusste gar nicht, was ich da sollte." Das Team habe ihm damals die Zeit gegeben, über den schweren Verlust hinwegzukommen. Dafür sei er sehr dankbar.
In den Jahren darauf entwickelte sich Houle zu einem harten Arbeiter für seine Teamkollegen, ein Wasserträger, der sich für den Glanz der anderen aufopfert - erst bei Ag2R La Mondiale, dann beim Team Astana und seit der vergangenen Saison für das Team Israel-PremierTech, wo er an der Seite des viermaligen Toursiegers Christopher Froome fährt.
"Er ist ein toller Teamkollege, absolut selbstlos, Nichts ist ihm jemals zu viel. Er ist ein zäher Bursche", erzählte der Brite über Houle. "Es ist toll zu sehen, wie jemand, der normalerweise 100 Prozent für seine Kapitäne und seine Teamkollegen gibt, heute diese Chance genutzt hat."
Als Helfer für Woods in der Gruppe
Houles Erfolg war bereits der zweite Etappensieg für die israelische Mannschaft. In der ersten Woche hatte Simon Clarke die 5. Etappe über das Kopfsteinpflaster des französischen Nordens gewonnen. Dass nun ausgerechnet Houle einen weiteren Tagessieg hinzufügte, war nicht nur für ihn eine große Überraschung.
Der Kanadier sollte eigentlich auch an diesem Tag wieder nur ein Helfer sein. Diesmal für seinen Landsmann Michael Woods, mit dem er zu Beginn der Etappe in die Ausreißergruppe gesprungen war. Woods hat schon zwei Etappensiege bei der Spanien-Rundfahrt in seinen Palmarès stehen, im vergangenen Jahr gewann er das Bergtrikot der Tour de Suisse.
"Jeder, der die Gruppe gesehen hat, hat wahrscheinlich gesagt, dass Woods unsere beste Option für den Etappensieg ist", sagte Froome und dürfte damit Recht gehabt haben. Als Houle an der Mur de Péguère, dem letzten Anstieg des Tages, attackierte, war dies deshalb auch kein Angriff in eigener Sache, sondern im Dienste Woods.
"Meine Idee war, dass Michael weniger Druck haben würde, wenn ich vorne rausgehe", sagte Houle. "Die anderen mussten hinterherfahren und er musste nur mitsurfen." Tasächlich fuhr Woods danach immer am Hinterrad des US-Amerikaners Matteo Jorgenson, der als einziger Konkurrent die Verfolgung aufnahm. Aber näher als auf 30 Sekunden kam er nicht an Houle heran. Später stürzte Jorgenson auch noch auf der Abfahrt hinunter Richtung Foix.
Erster kanadischer Etappensieg seit 34 Jahren
Houle ist der erste Kanadier seit Steve Bauer 1988, der eine Etappe der Tour de France gewonnen hat. Bauer trug damals auch für kurze Zeit das Gelbe Trikot und kam als Gesamtvierter in Paris an. Er hoffe, dass sein Beispiel die nächste Generation kanadischer Fahrer inspririere, sagte Houle. "Damit es nicht wieder 34 Jahre dauert, bis ein Kanadier eine Etappe gewinnt."

Vielleicht hat der 31 Jahre alte Radprofi an diesem Nachmittag in den Pyrenäen tatsächlich neue Fans in seiner Heimat gewonnen. Sein erster Anhänger aber hat seinen Triumph in Foix nicht miterleben können: sein Bruder Pierrik, mit dem er sich als Kind so oft sportlich gemessen hatte. "Er hat alles verfolgt, was im Radsport gemacht habe", sagte Houle und musste noch einmal schwer durchatmen. "Er war mein größter Fan."