Slowene bei der Tour in Gelb Tadej Pogacar - einfach unwiderstehlich
Tadej Pogacar gewinnt die 6. Etappe der Tour de France in Longwy und übernimmt das Gelbe Trikot. Die Konkurrenten rätseln, wie sie ihn stoppen sollen.
"Vai, vai, vai", riefen die Betreuer im Mannschaftsbus von Tadej Pogacar, als der in Longwy zu seinem Sprint ansetzte. Dann folgten Jubelschreie, die fast lippensynchron zu denen Pogacars waren, der gleichzeitig auf der Ziellinie der 6. Etappe der Tour de France seine Freude herausschrie.
Nein, als selbstverständlich sehen sie Pogacars Siege beim UAE-Team, das in seinem Kern eine italienische Prägung hat, immer noch nicht. Obwohl sie natürlich längst wissen, dass ihr Kapitän auf dem Rad jeder Aufgabe gewachsen ist und gewinnt, wenn er gewinnen will. So hat es jedenfalls den Anschein.
Ein Alleskönner auf dem Rad
Beim Zeitfahren zum Auftakt der Tour de France in Kopenhagen war Pogacar zwar nicht der Schnellste von allen, nahm aber zumindest allen seinen vermeintlichen Konkurrenten im Kampf um den Gesamtsieg schon ein wenig Zeit weg.

Als die Tour sich am Mittwoch auf einen Teil der Kopfsteinpflaster-Passagen von Paris-Roubaix wagte, setzte sich der Slowene in einem Sektor von seinen Rivalen ab und verschaffte sich weitere Sekunden Luft im Klassement. Und nun eben der Etappensieg im Bergaufsprint in Longwy inklusive zehn Bonussekunden und Übernahme des Gelben Trikots.
Tadej Pogacar ist ein Alleskönner auf dem Rad. Das ist keine ganz neue Erkenntnis. "Wenn einer jetzt schon zweimal die Tour gewonnen hat, sollten wir auch nicht zu überrascht sein, dass er ein guter Radfahrer ist", sagte Rolf Aldag nach der 6. Etappe.
Abstände sind noch gering
Aldag ist der sportliche Leiter des Teams Bora-hansgrohe, das mit Alexander Vlasov gerne aufs Podium in Paris möchte. Der Russe, der in Longwy wegen eines Sturzes im Finale weitere fünf Sekunden einbüßte, hat vor der Tour sogar erklärt, dass er um den Sieg mitfahren möchte. Doch wie das gelingen soll angesichts von Pogacars Vorherrschaft - darüber rätseln sie nicht nur bei Bora-hansgrohe.
Noch sind die Abstände zwar gering - Pogacars schärfste Konkurrenten sind bis auf Primoz Roglic, der auf dem Kopfsteinpflaster am Mittwoch mehr als zwei Minuten verlor, nicht mehr als eine Minute entfernt - aber eine Schwachstelle des Slowenen ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil.
"Es ist noch nichts entschieden, aber er macht natürlich einen superguten Eindruck, und wir müssen uns überlegen, wie wir ihn angreifen können", erklärte Grischa Niermann. Der deutsche Ex-Profi leitet die sportlichen Geschicke der Jumbo-Visma-Mannschaft, die mit Roglic und Jonas Vingegaard die beiden Hauptkonkurrenten stellt.
Jumbo-Vismas Plan geht nicht auf
Die niederländische Equipe gab nach einem chaotischen Auftritt auf der Pavé-Etappe auch auf dem Weg nach Longwy erneut Rätsel auf. "Wir haben darüber auch philosophiert", sagte Aldag, als er später auf die Taktik von Jumbo-Visma angesprochen wurde.
In den ersten zwei Rennstunden hatte Jumbo-Visma in Person von Wout van Aert, der am Morgen noch in Gelb ins Rennen gegangen war, eine Attacke nach der anderen geritten, was das Rennen zusätzlich zum Rückenwind in den ersten zwei Stunden extrem schnell und herausfordernd gemacht hatte.
Nach rund 80 Kilometern war van Aert dann endlich weggekommen zunächst mit zwei, später mit einem Mitstreiter und schließlich ganz alleine, bis er 12 Kilometer vor dem Ziel eingeholt und überholt worden war - womit das Gelbe Trikot dann auch futsch war.
"Der Plan war anders als das, was dann passiert ist", gestand van Aert später. Tatsächlich hatten sie bei Jumbo-Visma auf eine große Ausreißergruppe gehofft, in der dieser sein Gelbes Trikot hätte verteidigen können, ohne dass sein am Vortag so durchgeschütteltes Team dafür hätte arbeiten müssen.
"Jumbo muss sich jetzt mal wieder einkriegen"
"Es war dann nur eine kleine Gruppe, aber ich hatte so viel Energie reingesteckt, dass ich nicht mehr zurückkonnte und das Trikot geehrt habe", sagte van Aert. Mit dem Belgier vorne musste Jumbo-Visma zwar auch nicht die Nachführarbeit im Feld verrichten, aber hinten bildeten sich diverse Koalitionen, um die Ausreißer wieder zurückzuholen.
Die Nervosität der niederländschen Équipe ist auch im Peloton spürbar. "Jumbo muss sich jetzt mal langsam wieder einkriegen", schimpfte Maximilian Schachmann vom deutschen Team Bora-hansgrohe, nachdem Primoz Roglic unterwegs einen Sturz verursacht hatte. "Weil die einfach wirklich wie die Kaputten auf dem letzten Zentimeter fahren, es nicht können und sich dann an der Straßenkante aufhängen."
Pogacars Team scheint angreifbar
Die Last, das Gelbe Trikot zu verteidigen, liegt aber nun, da die Tour am Freitag der ersten Bergankunft auf La Super Planche Des Belles Filles entgegenfährt, beim UAE-Team. Pogacars Manschaft ist vielleicht die einzige Schwachstelle in der Rüstung des Slowenen.
Auf der Kopfsteinpflaster-Etappe am Mittwoch waren seine Kollegen schon vor dem ersten Pavé-Stück nicht mehr an Pogacars Seite. Und als das Rennen zu Beginn der Etappe nach Longwy ein Höllentempo entfachte und eine Attacke auf die nächste folgte, waren drei seiner Mitstreiter schnell abgehängt und kamen später nur mit Mühe wieder heran.
"Im Moment würde man davon ausgehen, dass eher als er vielleicht die Mannschaft angreifbar ist", sagte Rolf Aldag. Allerdings war Pogacars Siegsprint in Longwy von Rafal Majka und Brandon McNulty mustergültig vorbereitet worden.
Zur Not eben im Alleingang
Pogacar jedenfalls wird nicht müde, sein Team zu loben. "Sie haben mich zur Ziellinie gebracht, da musste ich es für sie vollenden", sagte Pogacar, dessen Mannschaft das Rennen nun, da er im Maillot Jaune fährt, kontrollieren muss.
"Zum Gelben Trikot sagt man nicht nein", erklärte Pogacar. "Das Trikot gibt Selbstvertrauen und motiviert die ganze Mannschaft." Und zur Not muss er es eben alleine richten. Dass er das kann, hat das 23 Jahre alte Wunderkind nun ja schon oft genug unter Beweis gestellt.
Maximilian Schachmann, der bei Bora-hansgrohe seinen Kapitän Alexander Vlasov unterstützt, macht sich daher auch keine Illusionen. Er hat sich bei seinem ehemaligen Teamkollegen Rafal Majka erkundigt. Der Pole - Pogacars wichtigster Helfer in den Bergen - hat ihm ein paar Daten verraten. "Da muss schon viel dazwischenkommen", hat Schachmann daraus geschlussfolgert, "dass das nichts wird." Mit dem Toursieg von Tadej Pogacar.