Auf der 5. Etappe der Tour de France Jumbo-Visma und Roglic versinken im Chaos
Jumbo-Visma erlebt auf der 5. Etappe der Tour de France einen schwarzen Tag. Auf dem Kopfsteinpflaster zerschellen für Primoz Roglic wohl schon alle Siegträume.
Eine knappe Dreiviertelstunde war nach dem Ende der 5. Etappe der Tour de France vergangen, als Primoz Roglic aus dem Mannschaftsbus seines Teams Jumbo-Visma kletterte, um von seinem Tag zu berichten. Aber ein Blick in sein Gesicht reichte, um zu erkennen, dass dieser Tag ihn nicht nur Zeit gekostet hatte.
Die blutunterlaufenen Augen lagen tief in ihren Höhlen und blickten ins Leere. "Ich hatte schon bessere Tage", sagte Roglic. Das war eine grobe Verharmlosung: Der Slowene dürfte bisher nur wenige schlechtere Tage auf dem Rad erlebt haben als an diesem Mittwoch, in dem die Tour de France auf dem Weg von Lille nach Arenberg 19,4 Kilometer des gefährlichen Kopfsteinpflasters in Frankreichs Norden unter die Räder nahm.
Roglic renkt Schulter selbst wieder ein
Roglic, der so gerne im Gelben Trikot nach Paris radeln möchte und als der erste Herausforder des zweimaligen Toursiegers Tadej Pogacar galt, war unterwegs gestürzt und hatte sich dabei die Schulter ausgekugelt, die er danach selbst wieder in die richtige Position brachte, wie er berichtete.

Primoz Roglic (r) und Tiesj Benoot vom Team Jumbo-Visma
Die zwei Minuten und acht Sekunden, die Roglic dadurch auf Pogacar verlor, dürften dem Team Jumbo-Visma und ihm daher auch nicht die größten Sorgen bereiten. Ob er die Tour schon verloren habe, wurde Roglic im Ziel in Arenberg gefragt. "Soweit denke ich noch gar nicht", lautete die Antwort. "Ich bin jetzt erstmal damit beschäftigt, die Folgen des Sturzes zu verarbeiten."
Grundsätzliche Überlegungen bei Jumbo-Visma
Die Zeit, um die Verletzungen auszukurieren, ist allerdings knapp. Auf der 6. Etappe von Binche nach Longwy am Donnerstag (07.07.2022) werden die Klassementfahrer zwar nicht besonders herausgefordert, doch schon am Freitag wartet mit dem Aufstieg zur Super Planche des Belles Filles die erste Bergankunft der diesjährigen Tour.
Bei Jumbo-Visma werden sie bis dahin ganz grundsätzliche Überlegungen anstellen müssen. Etwa die Frage, ob Roglic weiter Teil der Doppelspitze bleibt, oder ob der Däne Jonas Vingegaard nun die alleinige Kapitänsrolle übernehmen soll. Festlegen wollte sich in Arenberg noch niemand. Aber Roglics Gesundheitszustand dürfte eine entscheidende Rolle spielen.
Die niederländische Équipe erlebte auf dem Weg über die Pavés aber nicht nur wegen Roglics Sturz einen "Scheißtag", wie es Wout van Aert zusammenfasste. Der Belgier verteidigte zwar sein Gelbes Trikot, aber das war nur ein schwacher Trost.
Schaden für Vingegaard begrenzt gehalten
Vier Klassikerspezialisten hatte die Mannschaft in ihren Tourkader berufen, um die Doppelspitze mit Roglic und Vingegaard sicher durch diesen Tag zu bringen und Pogacar unter Druck zu setzen. Doch als sich der aufgewirbelte Staub über den elf Kopsteinpflastersektoren wieder gelegt hatte, war das Beste, was sich aus Sicht des Teams sagen ließ, dass es zumindest den Schaden für Vingegaard in Grenzen gehalten hatte.
Dass der Vorjahreszweite am Ende nur 13 Sekunden auf Pogacar verlor, der unbeschadet als Tagessiebter ins Ziel gekommen war, war nur einer geballten Kraftanstrengung zu verdanken gewesen, zu der sich das Team nach einem bis dahin chaotischen Auftritt noch aufraffte.
Vor allem Wout van Aert, der nach einem Sturz lange brauchte, um sich wieder auf das Rennen zu fokussieren, leistete wertvolle Arbeit dabei, aus der knappen Minute, die Vingegaard zwischendurch hinter Pogacar zurücklag, auf 13 Sekunden im Ziel zu verkürzen. "Ich war nach dem Sturz mental zuerst nicht in der Lage, den Jungs zu helfen", gestand van Aert. "Erst zum Schluss habe ich mich wieder normal gefühlt."
Chaotischer Radwechsel
Vingegaard war durch einen Defekt ins Hintertreffen geraten, hatte dann zunächst das Rad seines Teamkollegen Nathan Van Hooydonck übernommen, das ihm sichtlich zu groß war, und auf dem er kaum fahren konnte.
Wegen Kommunikationsproblemen innerhalb des Teams und einigem Hin und Her dauerte es eine Weile, bis Vingegaard endlich wieder auf dem richtigen Rad saß. Auch darüber werden sie bei Jumbo-Visma sprechen müssen. "Ich hatte ein Problem mit der Kette, vielleicht hätte ich sie selbst einfach wieder rausziehen müssen", erzählte der Däne später. "Aber ich war einfach zu gestresst in diesem Moment."
Pogacar im "Flow"
Überhaupt keinen Stress hatte dagegen Tadej Pogacar, der sich gänzlich aus allen Schwierigkeiten herausgehalten hatte. Und das, obwohl der Slowene schon auf dem ersten Pflasterstück von seinem Team isoliert war. "Ich hatte vorher Angst vor all den Dingen, die mir heute nicht passiert sind", erklärte Pogacar. Sein Team habe ihn sicher bis zum ersten Sektor gebracht. "Und von da an ging es nur noch darum, dem Flow zu folgen."
Pogacar stellte dabei einmal mehr seine Extraklasse auf jedem Terrain unter Beweis. Im Finale setzte er sich dann sogar noch gemeinsam mit dem Klassikerspezialisten Jasper Stuyven aus dem Feld mit den weiteren Klassementfahrern ab, um spielerisch ein paar weitere Sekunden auf die Konkurrenz herauszuholen. Sein Fazit war dann auch ein ganz anderes als bei Jumbo Visma: "Das war ein guter Tag für uns."