Straßenrad-WM Alaphilippe - überrascht vom WM-Triumph in "freier Rolle"

Stand: 27.09.2021 07:30 Uhr

Der Musketier hat wieder zugeschlagen. In Flandern, dem Herzland des Radsports, brachte der Franzose mit dem Vintage-Bärtchen die heißen Herzen der heimischen Radsportfans zum Erstarren. Seine Attacke auf dem Stadtkurs der Brauereistadt Löwen erwischte den belgischen Top-Favoriten Wout Van Aert auf dem falschen Fuß. Und auch dessen Stellvertreter, der direkt aus Löwen stammende Jasper Stuyven, konnte nicht mehr als den undankbaren vierten Platz holen.

Von Tom Mustroph

Alaphilippe war nach seinem Triumph überwältigt. Nicht, weil er so sehr von seiner eigenen Leistung hingerissen war. Er wirkte vielmehr überrascht. "Ich bin hierher mit einer freien Rolle gekommen. Unser Plan war, dass Florian Senechal den Sprint fahren soll, wenn es dazu kommt. Meine Aufgabe war eher, das Rennen zu beleben. Ich habe keinesfalls damit gerechnet, dass ich eine ganze Runde hier allein fahren kann und allein ins Ziel komme", tat er seine Verwunderung kund.

Der Franzose war mit gebremsten Erwartungen und auch mit einem Gefühl von Erleichterung nach Flandern gereist. "Das vergangene Jahr hat viel Kraft gekostet. Wenn man das Weltmeistertrikot trägt, schauen alle auf einen. Greift man an, fahren die anderen mit. Hat man einen nicht so guten Tag, zerstören sie dich sogar", erzählte er. Auch deshalb fuhr er mit einer gehörigen Spur von Dankbarkeit nach Flandern, weil dieses Jahr im Rampenlicht jetzt zu Ende gehen sollte.

Starke französische Teamleistung

Auf dem 268 Kilometer langen Kurs kam aber vieles anders als Alaphilippe, und nicht nur er, es vermutet hatte. Das Team um den belgischen Top-Favoriten Van Aert wies weniger Substanz auf als erwartet. Prägende Figuren waren stattdessen die Franzosen. Die gesamte Nationalmannschaft schien vom Attackegeist des Anführers inspiriert. Früh initiierte Benoit Cosnefroy eine Ausreißergruppe. Auch Valentin Madouas war oft vorn zu sehen. Senechal, der etatmäßige schnelle Mann fürs Finale, schonte sich zwar. Er war zum Ende des Rennens aber ebenfalls vorn und fuhr noch auf Platz neun. Es war insgesamt eine sehr starke Teamleistung.

Sportschau Tourfunk, 26.09.2021 20:11 Uhr

Beflügelt durch die freie Rolle

Alaphilippe ragte dort nicht nur wegen seines WM-Titels noch heraus. Die freie Rolle, die er in der Planung innehatte, schien ihn über das gewohnte Maß hinaus zu beflügeln. Als Attackereiter hatte er sich schon 2018 in die Herzen der heimischen Fans gefahren. Er belebte damals die Tour de France mit einem ganzen Feuerwerk von Angriffen. Lohn waren nicht nur zwei Etappensiege, einer in den Alpen und einer in den Pyrenäen, sondern auch das gepunktete Trikot des Bergkönigs.

Rad-WM | Ergebnisse
Platz Fahrer Zeit
1. Julian Alaphilippe (Frankreich) 5:56:34 Stunden
2. Dylan Van Baarle (Niederlande) +32 Sekunden
3. Michael Valgren Hundahl (Dänemark) +32
4. Jasper Stuyven (Belgien) +32
5. Neilson Powless (USA) +32
6. Thomas Pidcock (Großbritannien) +49
7. Zdenek Stybar (Tschechien) +1:06 Minuten
8. Mathieu Van Der Poel (Niederlande) +1:18
9. Florian Senechal (Frankreich) +1:18
10. Sonny Colbrelli (Italien) +1:18
11. Wout van Aert (Belgien) +1:18
...
16. Nils Politt (Deutschland) +5:25

Im Jahr darauf beeindruckte er mit 14 Tagen im Gelben Trikot der Tour, einem Etappensieg im Zeitfahren und Platz fünf im Gesamtklassement. Zudem prägte er die Klassiker, gewann unter anderem Mailand - Sanremo, Strade Bianche und den Wallonischen Pfeil. In der Pandemiesaison 2020 kam er für seine Maßstäbe eher schlecht zurecht. Er entschädigte sich aber mit dem WM-Titel.

In dieser Saison spürte er dann die Last des Regenbogentrikots. Bei den Klassikern stand er im Schatten der neuen Stars Mathieu van der Poel und Wout Van Aert. Die Tour de France verlief mit "nur" einem Etappensieg für ihn auch unerwartet mager.

Bammel vor dem zweiten Jahr im WM-Trikot

Zur WM war er dann aber wieder da – und mit selbst für ihn überraschendem Ausgang. Ein wenig Bammel schien er vor dem zweiten Jahr hintereinander im Regenbogentrikot aber zu haben. Auf die Frage, wie es werden wird, meinte er nur: "Ehrlich, ich weiß es nicht."

Zuzuschreiben hat er sich all das aber selber. Er war nicht nur der Stärkste im Finale. Er setzte sich auch gegen den laut geäußerten Frust belgischer Fans durch. "Sie haben mir zugerufen, ich solle langsamer fahren. Sie benutzten dabei keine schönen Worte. Ich aber nahm das einfach als Ansporn", sagte er.

Der französische Radmusketier kämpfte sich durch Flandern wie einst d’Artagnan, der literarische Held. Der gewann in der Gegend als Musketier der Königin auf dem Weg nach London manch Duell mit Faust und Degen. Der Degen des Julian Alaphilippe ist ein Carbon-Rad.