Radfahrer und ihre Schatten bei Tirreno-Adriatico

Radsport Ukraine-Krieg überschattet auch den Radsport

Stand: 10.03.2022 13:57 Uhr

Bei der Fernfahrt Tirreno-Adriatico gibt es wegen der Sanktionen gegen Russland ein Team weniger. Dem einzigen ukranischen Fahrer im Feld fliegen die Herzen der Zuschauer zu. Der Rennbetrieb wird aber fortgesetzt. Abseits der Strecke nehmen Hilfen für ukrainische Sportler Fahrt auf.

Von Tom Mustroph

An der Uferpromenade von Lido di Camaiore, dem Startort der Fernfahrt Tirreno-Adriatico, sind die Eingänge mancher Seebäder mit den blau-gelben Farben der Ukraine geschmückt. Mark Padun, dem einzigen ukrainischen Radprofi im Peloton, schallt bei der täglichen Vorstellung der Radprofis jedes Mal ein Sonderbeifall entgegen. Eine komplette Schulklasse rückte in Murlo, Startort der 3. Etappe, mit selbstgemalten Friedenstransparenten an.

Entsetzen und Pragmatismus

Padun selbst will nicht sprechen über den Krieg in seiner Heimat. Aber die russische Invasion ins Nachbarland hat auch die Herzen vieler Radprofis erschüttert. "Es ist so traurig, was dort geschieht", sagt Caleb Ewan, Sieger der 3. Etappe am Mittwoch (09.03.2022), zur Sportschau. Ein wenig ratlos wirkt der Australier aber auch. "Ich weiß nicht, was man machen kann", meint er.

Das spiegelt ganz gut die Stimmung im Fahrerfeld wieder. Viele sind entsetzt. "Ich verfolge die Nachrichten natürlich. Es bewegt einen. Aber es gehört auch dazu, dass wir hier unseren Job machen", sagt Nikias Arndt von Team DSM. Und das bedeutet für ihn, "mich in den nächsten fünfeinhalb Stunden voll auf das Rennen zu fokussieren". Das ist Pragmatismus, Flucht in die Arbeit, aber auch die Behauptung von Normalität in nicht normalen Zeiten.  

Russisches Team Gazprom-Rusvelo ausgeschlossen

Der Renndirektor des Tirreno, Mauro Vegni, sieht im Radsport sogar einen Motor für ein normales Miteinander: "Wir waren zu Beginn der Pandemie mit die Ersten, die für einen Neuanfang sorgten. Wir sind jetzt zwar müde von Covid und entsetzt vom Krieg, der alles in den Schatten stellt. Aber wir können auch jetzt wieder Gemeinsamkeiten herstellen."

Der ukrainische Radprofi Mark Padun (l.) und Tour-de-France-Sieger Tadej Pogacar

Solidarität vom Toursieger: Der ukrainische Radprofi Mark Padun (l.) und Tadej Pogacar

Gegenwärtig allerdings ist Abgrenzung das Thema. Der Rennstall Gazprom-Rusvelo, ursprünglich eingeladen mit einer Wild Card, wurde vom Weltverband UCI als russischer Rennstall von allen internationalen Sportveranstaltungen ausgeschlossen. "Wir befinden uns hier in einer Linie mit der Politik", sagt Vegni. Ein kleines Zeichen hat er selbst gesetzt. "Wir hatten viele Anfragen von Teams, die nachrücken wollten. Wir haben uns dann aber entschieden, den Platz freizulassen", erklärt Vegni, der auch Chef des Giro d’Italia ist. Ein simples Nachrücken wäre wohl auch zuviel der Normalität.

Einberufungsbefehl für ukrainischen Betreuer

Nicht dabei ist auch Jaroslaw Popowitsch. Der Ukrainer, als Radprofi unter anderem Dritter des Giro d’Italia 2003, sollte eigentlich als sportlicher Leiter für Team Trek-Segafredo zum Tirreno kommen. "Ich habe dann meinen Chefs gesagt, dass ich mich in dieser Situation nicht auf die Arbeit konzentrieren kann. Ich kümmere mich jetzt vielmehr darum, ukrainischen Radsportlern zu helfen, dass sie nach Italien kommen und hier trainieren können", sagte er in einem Videointerview. Popowitsch erzählte auch, dass ihm in der alten Heimat die Einberufungsurkunde für die ukrainische Armee zugestellt wurde. "Ich weiß nicht, was das jetzt für mich bedeutet, ich bin ja in Italien", sagte er.

Sportschau Tourfunk, 07.03.2022 12:45 Uhr

Von Gazprom zum Friedensteam?

Bei der Videokonferenz war auch Renat Khamidulin, General-Manager von Gazprom-Rusvelo. Er verurteilte den Krieg, nannte ihn "unvorstellbar in unseren Zeiten". Und er erzählte auch, dass er der UCI vorgeschlagen habe, mit seinem Team in neutral weißer Kleidung, neutralen weißen Fahrzeugen, ja sogar der Aufschrift "Frieden" darauf, an Rennen teilnehmen zu wollen. "Wir möchten, dass der Radsport ein positives Zeichen setzt", erklärte er. Die UCI lehnte ihm zufolge ab. Auf eine Nachfrage der Sportschau reagierte der Weltverband nicht.

Der Fall ist delikat. Schwer zu sagen, ob die UCI hier die Chance auf eine Friedensbotschaft verpasst oder die Aufweichung von Sanktionen verhindert hat. Viel Russland steckt im Namen des Teams. Auch die Lizenz ist russisch. "Hauptsponsor ist aber die deutsche Filiale von Gazprom. Das Managment sitzt in der Schweiz, der Sitz des Teams ist Italien", versicherte Khamidulin.

Und zum Team gehören neben neun russischen Profis auch sieben Italiener, zwei Tschechen, ein Spanier, ein Norweger und ein Costa Ricaner. Für das Schicksal der Fahrer und Betreuer äußerte Popowitsch Bedauern. "Sie haben einfach Pech in dieser Situation. Was können sie dafür, außer dass sie diesen Sponsor haben. Jetzt sehe ich viele Familien in Schwierigkeiten und für Renat ist es noch komplizierter, einen Sponsor für das nächste Jahr zu finden", meint der Ukrainer.

Radsporthilfe für die Ukraine

Individuelle Absetzbewegungen russischer Radprofis von Putins Kriegskurs gibt es bereits. Ineos-Profi Pavel Sivakov verurteilte die Invasion ins Nachbarland und strebt eine beschleunigte Übernahme der französischen Staatsbürgerschaft an. Alexander Vlasov vom deutschen Rennstall Bora hansgrohe sagte am Rande der Fernfahrt Paris-Nizza: "Ich will nur Frieden. Ich bin keine politische Person. Normale Menschen wie ich wurden gar nicht gefragt, ob sie den Krieg überhaupt wollen."

Bei den Radsportverbänden tut sich mittlerweile auch etwas. Enrico Della Casa, Präsident des europäischen Radsportverbands UEC, bestätigte gegenüber der Sportschau einen Hilfsfonds für ukrainische Sportler: "Gemeinsam mit dem türkischen, dem polnischen und dem Schweizer Verband helfen wir gegenwärtig ukrainischen Radsportlern mit Trainings- und Wettkampfmöglichkeiten."

Dabei handelt es sich um mehrere Dutzend Sportler, die sich bereits in diesen Ländern aufhalten und bei der geplanten Rückreise in die Heimat durch den Krieg blockiert wurden. Hat Popowitsch von Italien aus Erfolg, dürfen gern weitere Verbände bei der Unterstützung einsteigen.