Philippe Gilbert, Johan Museeuw

Radsport Paris-Roubaix: Schlammschlacht auf dem Kopfsteinpflaster

Stand: 02.10.2021 14:12 Uhr

Der Wetterbericht sagt für Sonntag Regen im Norden Frankreichs voraus. Der in den Herbst verlegte Klassiker Paris-Roubaix dürfte damit noch gefährlicher werden.

Viele Radprofis werden in den vergangenen Tagen häufiger einen Blick auf die Wetter-App ihrer Smartphones geworfen haben. Und egal, ob sie dort das Wetter für Compiègne gecheckt oder die Aussichten für Roubaix ermittelt haben, sie dürften kaum begeistert gewesen sein.

Für Sonntag (03.10.2021) ist überall zwischen dem Start und dem Ziel des Kopfsteinklassikers Paris-Roubaix Dauerregen vorhergesagt. Gleiches gilt auch für Arenberg, wo im nahegelegenen Wald von Arenberg eine besonders schwierige der insgesamt 30 berüchtigten Pflasterpassagen auf die Fahrer wartet.

Letztes nasses Roubaix 2002

Dort zerschmetterte der Belgier Johan Museeuw 1998 bei einem Sturz in Nässe und Matsch sein Knie so schwer, dass ihm zwischenzeitlich sogar eine Amputation drohte. Die Ärzte bewahrten ihn davor, und so konnte der später als Doper entlarvte Museeuw nach seinem Sieg 1996 noch zwei weitere Erfolge in Roubaix feiern - den letzten 2002.

Diese Ausgabe vor 18 Jahren war die bislang letzte mit Regen und Schlamm. Von den damals gestarteten 181 Profis erreichten lediglich 41 das Ziel, der Rest gab vorher auf oder verpasste das Zeitlimit. Seitdem war das grobe Pflaster des französischen Nordens immer trocken, wenn sich das Peloton auf den Weg durch die "Hölle des Nordens" machte.

Johan Museeuw bei Paris-Roubaix 2002

Gilbert: "Es wird chaotisch"

Doch diesmal wird Paris-Roubaix wohl ziemlich sicher wieder eine Schlammschlacht. Schon bei der Streckenbesichtigung habe es viele Stürze gegeben, berichtete der Belgier Philippe Gilbert am Donnerstag. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir da ohne Stürze Rennen fahren sollen. Ich bin schon bei Schnee und Sturm gefahren, aber noch nie durch so einen Matsch", sagte der 37 Jahre alte Ex-Weltmeister. "Ich freue mich überhaupt nicht darauf. Es wird chaotisch."

Gilbert gewann 2019 die bislang letzte Ausgabe des legendären Rennens. Die Ausgabe 2020 fiel der Corona-Pandemie zum Opfer, die das Rennen in diesem Jahr vom Frühjahrs- zum Herbstklassiker gemacht hat - nasses Laub und der nasse Dreck der abgeernteten Felder inklusive. So wie bei Gilbert dürften die Wetteraussichten daher auch bei vielen anderen Startern die Begeisterung deutlich mindern.

Van der Poel findet's "ziemlich cool"

Lediglich der Niederländer Mathieu van der Poel nannte die Aussicht auf ein Regenrennen "ziemlich cool", auch wenn es dadurch natürlich gefährlicher werde. Van der Poel, 26, ist eines der Wunderkinder des Radsports, die derzeit den Radsport aufmischen. Und seine Euphorie mag auch damit zu erklären sein, dass er das Rennen zum ersten Mal in Angriff nimmt.

Fest steht, dass nasse Pflastersteine und Schlamm das Rennen noch schwerer machen werden. Gegensteuern ist auf den glitschigen, ungleichmäßig verlegten Pavés quasi unmöglich, das Rad durch den Morast zu steuern, kostet zusätzliche Kraft und ist extrem gefährlich.

"Du weisst nicht, wie tief die Pfützen sind, kannst da drin steckenbleiben und dir den Hals brechen", hat Rolf Aldag in dieser Woche der Website "cyclingmagazine.de" erzählt. Aldag, der heute als sportlicher Leiter des Teams Bahrain Victorious im Auto sitzt, war bei der letzten Regenausgabe von Paris-Roubaix 2002 selbst noch aktiv auf dem Rad und beendete das Rennen damals auf Rang 25.

Cross-Weltmeister im Vorteil?

So werden die Fahrer, die durchkommen, also diesmal nicht mit staubverschmierten Gesichtern ins Velodrome in Roubaix einfahren, sondern so wie vor 18 Jahren mit einer dicken Kruste getrockneten Schlamms auf der Haut. Wem darunter ein Siegerlächeln gelingen wird, ist mehr denn je auch eine Frage des Glücks und des Durchhaltevermögens des Materials. Denn auch Defekte sind ein fester Bestandteil des Rennens.

Der Niederländer van der Poel zählt ebenso zu den Favoriten wie der Belgier Wout Van Aert. Beide sind mehrmalige Cross-Weltmeister und damit an Bedingungen wie sie am Sonntag erwartet werden bestens gewöhnt. Gleiches gilt für den Tschechen Zdenek Stybar, der zur belgischen Equipe Deceuninck-Quick Step gehört, die gleich mehrere Sieganwärter in ihren Reihen hat.

Van Aert hat allerdings Zweifel daran, dass ihm und den anderen die Erfahrungen im Gelände diesmal zwingend weiterhelfen werden. "Es wird ein großes Durcheinander, wenn das Pflaster nass ist, ich gehöre nicht zu denen, die sich auf ein nasses Roubaix freuen" sagte er dem Portal "Cyclingnews".

Zehn deutsche Starter

Zu den 175 Startern, die die Tortur am Sonntag in Angriff nehmen, gehören auch zehn deutsche Radprofis. Dazu zählt auch John Degenkolb, der Sieger von 2015. Der 32-Jährige leidet allerdings noch an den Folgen eines schweren Sturzes beim WM-Rennen am vergangenen Sonntag, weshalb er selbst nicht mit einem Top-Ergebnis rechnet.

"Man braucht sich keine Illusion machen, dass man da mit einer guten, normalen Verfassung an den Start gehen wird", sagte Degenkolb. Sein Team Lotto-Soudal hat mit Gilbert aber noch einen weiteren Spezialisten am Start. Doch auch der hat sich im Vorfeld zumindest verbal selbst aus dem Kreis der Favoriten genommen.

Gilbert gewann 2019 im Sprint gegen Nils Politt, der diesmal das deutsche World-Tour-Team Bora-hansgrohe gemeinsam mit Peter Sagan, dem Sieger von 2018, anführen wird. "Paris-Roubaix ist das Rennen, bei dem man den Kopf ausstellen und gar nicht überlegen sollte", sagte Politt dem Sport Informationsdienst. "Sonst hat man keine Chance." Das dürfte insbesondere bei Regen und Schlamm gelten.